Endlich glücklich

Nada Surf: “Lucky”

Musik
01.02.2008 02:02
Spätestens seit ihrem letzten Album „The Weight Is A Gift“ müssen Fans von „Nada Surf“ emotionale Intelligenz beweisen. Tief schürfen die Lyrics von Frontmann Matthew Caws, immer darauf erpicht, Depression und Euphorie eng beieinander zu halten. Dass ein Nada-Surf-Album jemals „Lucky“ heißen wird, hätte angesichts der Vorzeichen niemand angenommen - höchstens als zynischen Titel. Doch das 1992 gegründete Trio aus dem Big Apple hat das Gefühl Hoffnung entdeckt. krone.at sprach mit Drummer Ira Elliot über die lang ersehnte neue Platte.
(Bild: kmm)

„Bis jetzt hat niemand von uns behauptet, dass der Albumtitel ‚Lucky‘ auf uns bezogen sei. Aber wir können es nicht leugnen - Glück hatte wir schon verdammt viel in den letzten Jahren“, lacht Ira Elliot und spielt nicht zuletzt auf zahlreiche „Kleinkriege“ an, die Nada Surf in den letzten 15 Jahren mit Plattenfirmen und Vertriebslabels in aller Welt führen mussten, ehe sie zum Independent-Label „City Slang“ fanden.

Das Gfrett mit der Industrie
Die einen wollten sie zu etwas machen, dass sie nicht waren. Anderen war es wiederum zu kompliziert, sich vernünftig mit der Musik von Nada Surf auseinanderzusetzen und man bemühte sich wenig, die Alben der drei New Yorker an den Mann zu bringen. Nach dem ersten Album „High/Low“ mit dem Smashhit „Popular“, war das nachfolgende, düstere „The Proximity Effect“ der Plattenfirma zu kompliziert. Nada Surf brachen mit dem Label und gründeten für die Veröffentlichung kurzerhand ihr eigenes. Die Fans kauften die Platte, trotzdem musste die Band durch die finanziellen Belastungen erst einmal pausieren und sich mit Jobs über Wasser halten.

Das Studio bei den Aufnahmen zum dritten Longplayer „Let Go“ bezahlten sie vier Jahre später mit mühsam zusammengekratzten Ein- und Fünfdollarnoten. Die Platte brachte Nada Surf den Durchbruch in Europa (speziell in Frankreich) und den USA, und von da an, konnten Matthew Caws, Daniel Locra und Ira Elliot unabhängig von zielgruppenfixierten Artdirektoren arbeiten.

Aber als „Independent“ muss man sich selbst um quasi alles kümmern: Gerade eben erst fiel bei Nada Surf der Entschluss, eine „Lucky“-EP an Konzertgeher in Spanien zu verschenken. Das spanische Label, das sie bisher hatten, war nicht einmal fähig gewesen, ihr Album in die Läden zu bringen. „Was soll ich sagen? Ein Laden voller Idioten“, echauffiert sich Ira beim Gedanken an die zahlreichen Anfragen spanischer Fans, die das neue Nada-Surf-Album vergeblich im Plattenladen suchten.

Songs, über die Diplomarbeiten geschrieben werden
Aber zurück zu „Lucky“: „Der Titel reflektiert nicht nur unser Glück als Band. Matthew hatte beim letzten Album viele persönliche Probleme verarbeitet, diesmal hat er sich entschieden, die positiven Seiten im Kopf zu behalten, um nicht wieder gegen die Depression zu verlieren. Unterm Strich, wenn du alles Gute und Schlechte, das uns passiert ist, zusammenzählst, musst du das tun“, sagt Ira.

Für die Aufnahmen zu „Lucky“ mieteten sie sich ein Loft im New Yorker Stadtteil Brooklyn, lebten dort über Wochen zusammen und spielten die neue Platte ein. Heraus kamen hinreißende Gitarrenpopsongs wie „Beautiful Beat“, „Here Goes Something“ oder das balladeske „Are You Lightning“, das klingt, als hätten sie Norah Jones gecovert; es gibt davonpreschende Rocksongs wie „From Now On“ oder entspannte Balladen wie „The Film Did Not Go ‘Round“.

Furchtbar melancholische Melodien, in denen sich fast kein einziger Dur-Akkord findet, durchreißen dazwischen die Flut an hoffnungsvollen Chants: Der Opener „See These Bones“ und das zerhackte „The Fox“ versprechen jene Härte und Songpoetik, über die ein österreichischer Anglistikstudent vor drei Jahren seine Diplomarbeit (siehe Infobox) schrieb. Ira erinnert sich an die Interviewanfrage aus Wien und dass Matthew Caws sofort Feuer und Flamme war. „Es hatte ihn zunächst sehr amüsiert, aber nach einer Zeit erschrak er gewaltig, als er erkannte, dass da jemand jedes Detail seiner Arbeit der letzten fünf Jahre unter die Lupe nehmen und zerpflücken wird“, lacht Ira Elliot.

Das Glück wohnt im New Yorker Loft
Die Zeit im New Yorker Loft beschreibt Ira als „sehr intensiv“. „Wir kennen uns alle in- und auswendig und wissen schon beim Aufkommen einer Idee, ob das funktionieren wird oder nicht. Die Chemie zwischen uns ist in den Jahren eigentlich nur besser geworden. Aber der Sinn des Zusammenwohnens war auch, produktiver sein zu können. Manchmal hast du über Tage keinen vernünftigen Einfall - da hilft es, wenn andere da sind. Bei uns hängt schließlich alles an Matthew. Wenn er nichts ‚liefert‘, haben wir anderen nichts zu tun“, lacht Ira, „manchmal tut er mir Leid, mit dem all dem Druck auf den Schultern.“

Es gab auch Tage, da hatten sie ihre Instrumente in der Hand, standen fixfertig im Studio und konnten einander vor Ideenlosigkeit nur anstarren. „Das fühlt sich an, als würdest du unentwegt gegen eine Wand laufen. Wir mussten dann immer ein paar Tage Pause machen, um wieder in den ‚flow‘ zu kommen.“

Dass „Lucky“ jetzt so klingt, wie es klingt, war für Ira eigentlich eine Überraschung: „Bevor wir ins Studio gingen, jammten wir unendlich viele Stunden. Damals deutete alles darauf hin, dass die Platte voll mit harten Rocksongs sein wird. Ich fühlte mich, als würde ich plötzlich bei den Queens Of The Stoneage spielen! Nicht dass ich nicht stolz wäre, wenn wir ein Queens-Of-The-Stoneage-Album hinbekommen würden, aber für Matthew ist das nichts. Er braucht Balance zwischen Rocksongs und Liedern, die Zeit zum Atmen geben.“, sagt Ira.

Über ein paar dieser „Super-Rocksongs“ dürfen sich jetzt die Spanier freuen, denn die verschenken Nada Surf auf der Gratis-EP vor ihren Konzerten in Madrid, Barcelona, etc. In Österreich ist die Fanbase groß genug, dass sich das am 1. Februar erscheinende Album hierzulande kaum mit Absatzschwierigkeiten plagen wird müssen. Wer die rockige Giveaway-EP trotzdem haben will, sollte beim nächten Nada-Surf-Konzert „ganz lieb fragen“, sagt Ira Elliot. Ganz lieb.

9,5 von 10 glücklichen New Yorkern


Christoph Andert

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