Hinter den Kulissen

H.-P. Martin hinter den Kulissen des EU-Gipfels

Österreich
20.10.2007 13:32
Hans-Peter Martin gelangte beim EU-Gipfel in Lissabon in den streng abgeschirmten Bereich der Regierungschefs - und beobachtete auch die EU-Medienvertreter. Der Ex-"Spiegel"-Korrespondent, nun unabhängiger EU-Abgeordneter, enthüllt die Banalität des neuesten EU-Verhandlungsbasars und wie dort Meinung gemacht wird.

Der fensterlose Raum wirkt wie ein Bunker in einem schlecht belichteten Gruselfilm. Doch er ist echt. Im blaugrauen Halbdunkel sitzen in einem absurd langen Oval 27 Staats- oder Regierungschefs sowie deren Außenminister, dazu die Brüsseler EU-Spitze. Gespenstisch. Selbst die engsten Berater müssen den Saal verlassen, auch alle Sicherheitsleute. Keiner, der nicht zum engsten Machtzirkel des EU-Rates gehört, darf bleiben, Zeitungsjournalisten werden schon vor dem Gebäude rüde abgewiesen.

Mit ein paar Tricks und viel Portugiesisch, das ich als "Spiegel"-Korrespondent in Südamerika gelernt habe, hatte ich insgesamt vier Kontrollstellen umgangen, um bei dieser entscheidenden Gipfelsitzung hinter geschlossenen Türen dabei zu sein, bei der es um Sein oder Nichtsein des neuen EU-Reformvertrages ging.

Es war Donnerstag, halb sieben Uhr abends, als mir eine lichtarme Raumecke und später eine Dolmetscherkabine Schutz bot. Mit Zähnen und Klauen verteidigen die Regierungschefs die Geheimhaltung dieser Sitzungen, der Saal wurde eigens in die Mitte des riesigen Atlantik-Pavillons in Lissabon eingebaut, abhörsicher mit Scharfschützen am Dach.

Umständliches Herumgerede
Doch wozu all dies? Denn es ist alles unheimlich banal. Umständlich beharren die einzelnen Redner auf ihren Positionen, die längst öffentlich bekannt sind. Nicolas Sarkozy schäkert fast peinlich mit Angela Merkel. Sie beide wissen um ihr letztes Wort. Österreichs Kanzler Alfred Gusenbauer macht sich hingegen keineswegs stark gegenüber der EU, wie dies die große Mehrheit der Österreicher wünschen würde, sondern fällt vor allem durch Schweigen auf.

Es hakt an dem polnischen Wunsch, knappe EU-Mehrheitsbeschlüsse auch in Zukunft blockieren zu können und an einem einzigen zusätzlichen Abgeordnetensitz im EU-Parlament, auf den sich Italiens Regierung versteift. Verkniffen, als ob es um Überlebenswichtiges ginge, klagt Premier und Ex-EU-Kommissionspräsident Romano Prodi sein Leid. Er versteht sein Geschäft. Vielleicht soll das alles so vertraulich bleiben, weil sonst noch klarer würde, wie kleinkariert und echten Problemen fremd so viele EU-Mächtige tatsächlich sind.

"Das werden WIR nicht zulassen"
Als ich der so genannten "Arbeitssitzung" den Rücken kehre, lassen unmittelbar vor dem abgeschotteten Saal die ausgesperrten Regierungs- und EU-Beamten keinen Zweifel, wer aus ihrer Sicht das Heft wirklich in der Hand hat: sie selbst. "Das werden WIR nicht zulassen", quittieren vor allem Briten immer wieder Lösungsvorschläge, die unter den Regierungschefs kursieren.

Von fünf Polizisten umstellt
Hilfe suchend wenden sich die Premiers und Kanzler auch sofort wieder an ihre Topbeamten, als sie in einer Pause den innersten EU-Bunker verlassen. Plötzlich aber stellt sich einer von ihnen vor mich hin und herrscht mich an: "Was machen denn Sie hier?" Es ist der Generalsekretär des EU-Parlaments, Harald Römer. Er hat im Mai entschieden, mich zu bestrafen, weil es zu angeblichen Formfehlern bei der Beschäftigung einiger Mitarbeiter gekommen sein soll. Eine bürokratische Farce, die mir vor allem öffentlich schaden soll.

Ob er selbst hier bei den Regierungschefs der Chef sei, frage ich ihn, und warum er nicht endlich die echten Missstände statt EU-Kritiker im EU-Parlament bekämpfe. Kurze Zeit später umstellen mich fünf Polizisten, ich muss raus, rüber ins Messegebäude zu den Journalisten. "Sie bekommen da doch genug Informationen, da gibt es die offiziellen Verlautbarungen", meint der Einsatzleiter Ismael Jorge.

"Der gemeine Pole bockt schon wieder"
Mehr als 1.000 Medienvertreter sind da, keiner kann direkt zu den EU-Gipfelteilnehmern. Doch es ist dieser Journalistenpulk, der via Fernsehen und Zeitungen dann berichtet, was angeblich wirklich los sei, mehr als 200 Meter von den Sitzungen entfernt. Grotesk. Mehr als acht Stunden hocken sie herum und sollen exklusive News nach Hause liefern. Doch man kennt sich ja, so wird es zum Sport in der Halle, dass ein Journalist den anderen interviewt, fast wie in einem Kaninchenstall. So kocht sich eine Meinung auf, ein EU-Berichterstattungseinheitsbrei. Für das leibliche Wohl der ewig wartenden Medienmasse ist freilich luxuriös gesorgt, sie wird in der Gipfelbeobachtungshalle mit immer währenden, üppigen Buffets versorgt.

Bei einer jähen Pressekonferenz, kurz nach 21 Uhr, konzentrieren sich mangels Nachrichten mehr als 2.000 Journalistenohren auf den portugiesischen Außenminister. Fast atemlos lauschen sie aber dem Nichts. Denn auch der Portugiese verliert sich im Nichtssagenden. Konkreter wird kurz später ein polnisches Delegationsmitglied. Doch es spricht nur Polnisch. Polnisch sprechende Journalisten übersetzen später einiges ins Englische. Leider ist ihr Englisch dürftig. "Der gemeine Pole bockt schon wieder", spottet da der deutsche Journalist Andre Spengenberg immer wieder, sein fast geleertes Weinglas in der Hand.

Nur gefilterte Informationen
Doch kaum einer der Medienleute ist zum ersten Mal bei einem EU-Gipfel. So kennt man jeden im Atlantik-Pavillon, vor allem Pressesprecher der Regierenden, ab und zu nehmen die ihr Handy ab. Es sind Informationen von drinnen, doch gefiltert. Wie es wirklich ist, bleibt im Dunklen, trotz all der grellen Scheinwerfer und Live-Schaltungen in der Medienhalle.

Und wehe, man verscherzt es sich mit Beamten und Regierenden. Dann hat man gar nichts mehr zu melden. Unabhängigkeit, Berichterstattung im Bürgerinteresse, würde da zur Existenzbedrohung. So muckt kein Journalist auf, als Kanzlerin Merkel und ihr Außenminister zum Abschluss dieser Nacht nur wenigen, handverlesenen Journalisten Interviews geben, vor allem den politisch beeinflussbaren öffentlich-rechtlichen TV-Anstalten ARD und ZDF. Man könnte ja vielleicht das nächste Mal dabei sein.

Doch was ist jetzt eigentlich das Ergebnis des EU-Gipfels? Der neue britische Premierminister Gordon Brown behauptet ja: "Wir haben einen völlig anderen Vertrag", darum müsse es die von seinem Vorgänger zur EU-Verfassung versprochene Volksabstimmung in Großbritannien nicht geben. "Stupid", ganz einfach "dumm", nennt dies der liberale britische Teilnehmer an der Regierungskonferenz, Andrew Duff. Wie Österreichs Grüner Johannes Voggenhuber meint er, dass 95 Prozent der gescheiterten EU-Verfassung jetzt einfach "umgepackt" worden seien. "Spiegel Online" nennt das Gipfelresultat gar den "Durchbruch für eine Totalreform der europäischen Verträge".

Keine einzige kritische Frage
Da steckt Zündstoff in den Verhandlungsergebnissen. Um 1.07 Uhr Ortszeit hält Kanzler Alfred Gusenbauer seine Pressekonferenz. Doch kein Journalist, auch nicht von "Profil", "Standard" oder "Kurier", stellt auch nur eine einzige Frage! So viel Unkritisches habe ich in meinen 15 "Spiegel"-Jahren weltweit nirgendwo erlebt.

Um 1.15 Uhr ist der Spuk vorbei. Doch die EU-Dunkelkammer der Macht im Lissaboner Pavillon bleibt. Hier soll am 13. Dezember um 11 Uhr der neue EU-Reformvertrag feierlich unterzeichnet werden.

Hans-Peter Martin, Kronen Zeitung

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