Prince in Action

Halbzeit für den “Funkzwerg”

Musik
27.08.2007 16:18
Eine Europa-Tour ist verdammt anstrengend, muss sich Prince Rogers Nelson wohl gedacht haben, als er sich für 21 Termine im August und September die Londoner O2-Arena reservierte. Und er tat gut daran, denn anstatt ihn auf seine alten Tage durch die Lande tingeln zu lassen, besorgten sich knapp 480.000 Fans ein Ticket bzw. Flug/Hotel/Ticket-Packages und pilgern nun selbst Show für Show zu ihrem Funk-Herrgott. Krone.at schaute zur Halbzeit des Prince’schen Konzert-Marathons in der britischen Hauptstadt vorbei.
(Bild: kmm)

Die Londoner O2-Arena ist ein Kessel, leicht oval, mit wenig Stehplätzen, dafür aber umso steileren und höheren Rängen; wenn Prince dann von dichten Nebelschwaden umhüllt aus seiner Symbol-förmigen Bühne in der Mitte der riesigen Arena schießt, und sich die Fans in den obersten Reihen sprungartig in die Standing Ovations erheben, befürchtet man unten, sie würden alle paar Sekunden in Scharen herunterpurzeln. Kein Vergleich zu den akustischen Baracken, wie man sie in Österreich bei Großevents häufig vorfindet...

Während der zweistündigen Show des Funkzwergs, der seit den Achtzigerjahren viele Kapitel der Musikgeschichte – Online-Pionierarbeiten, wie das erste, ausschließlich im Internet veröffentlichte Album und der erste Online-Shop eines Künstlers, oder extravagante Vertriebsideen wie bei seiner neuesten Platte Planet Earth, von der drei Millionen Exemplare im Juli mit einer britischen Tageszeitung verschenkt wurden – eröffnete, brodelt der Konzertkessel ununterbrochen auf Siedetemperatur. Prince wirft Hits wie 1999, Cream, Musicology und Controversy in den Sud und verfeinert die Suppe mit James Browns Play That Funky Music White Boy und etlichen musikalischen Seitenhieben auf die Rolling Stones, wegen denen er nach zehn Shows und Wochen der Vorherrschaft in der Konzertarena am Westende Londons sein Equipment abbauen musste. This is my place!, ruft der trotz Stöckelschuhe nur einen Meter sechzig große Multiinstrumentalist, als er Start Me Up und Miss You verfunkt.

Vor zwei Monaten ist Prince 49 geworden. Das Alter merkt man dem dürren Gitarrenvirtuosen, der sein Antlitz stets mit millimetergenau getrimmtem Operlippenbart verziert, überhaupt nicht an. Wenn er zwischen seinen beiden Tänzerinnen – bildhübsche Zwillingsschwestern, denen der Funkmaster gerade bis zum BH-Verschluss reicht – mit ekstatischen Hüftbewegungen die Klampfe würgt, erst recht nicht. Keine Gelegenheit lässt er aus, um die in seinen Songs häufig vorhanden Anspielungen auf Lust und Begierde zu demonstrieren. Da wird das verchromte Mikrofonstativ plötzlich zur Go-Go-Stange, sobald es der Meister auf seinem Weg über die Ausläufer seines überdimensionalen Männlein-Weiblein-Symbols hinter sich herzieht und sich an jedem Zipfel der Bühne an den kalten Stahl schmiegt.

Nach einer Stunde Frontalangriff stellt er die Flamme aber kleiner und nimmt den Sex aus dem Programm; 23.000 fiebernde Zuschauer müssen abkühlen – ob sie wollen oder nicht – während Prince die Heimorgel mit Beatmaschine auf die Bühne wuchten lässt und Little Red Corvette, Diamonds & Pearls und (so scheint es) sämtliche Balladenhits aus seinen über vierzig Alben in einem Medley verwurstet. Hunderte, vornehmlich männliche Fans nehmen die Piano-Einlage als willkommene Pause, gehen Bier holen, stellen sich am Klo an oder fröhnen vor der Arena (drinnen darf man ja per Gesetz nicht mehr...) dem Tabakkonsum. Dann – endlich! – Purple Rain, und die restlichen 11.500 Zuseher, die in den letzten vierzig Minuten nur den knochigen Hintern von Prince zu Gesicht bekamen, werden wieder bedient.

Mit 3121 – die Eintrittskarten kosten übrigens 31,21 Pfund – und Kiss wird es wieder heiß auf der Herdplatte, Stufe zwölf von zwölf. Jetzt darf sich auch die Band, die bis dato still und starr, aber mit der Perfektion eines Uhrwerk im Hintergrund werkte, auf der Bühne ausbreiten. Maceo Parker, ehemals Saxofonist bei James Brown, trötet Prince und Publikum die Gänsehaut auf den Rücken und Drummerin C.C. Dunham treibt ihren Arbeitgeber bei einem fünfminütigem Jam-Solo, das zwischendurch aus dem Nichts entstand, den Schweiß auf die Stirn. Mit Nothing Compares 2 U – Sinead O’Connors Hit, den Prince für sie schrieb – entlässt er das Publikum in die leider nicht mit Sternenfunkeln (das so gut gepasst hätte...) gesegnete Nacht.

Prince selbst hat erst um drei Uhr morgens Schluss gemacht - nach der Jam-Session auf der Aftershow-Party im Club Indigo2 neban. Kurz vor eins marschierte er mit der kompletten Kapelle vor etwa 400 Zusehern (keine VIPs, man konnte ganz normal Karten kaufen) noch einmal auf und feuerte mit Sonnenbrille und weißem Seidenmantel bekleidet haufenweise B-Sides und Coverversionen ab. Viel jazziger, viel virtuoser und viel anstrengender für Ohr und Hirn, als es bei einem Konzert vor 23.000 Leuten Sinn machen würde. Das hat das vierstündige Prince-Erlebnis, dass es noch zehn Mal zu sehen gibt, natürlich perfekt gemacht. Der Funkzwerg hat gezündelt. Und wie!


Christoph Andert, London

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