Verschwunden

173 Kinder waren im Juli in Österreich abgängig

Österreich
05.08.2007 20:27
Plötzlich sind sie spurlos verschwunden. Sie tauchen einfach nicht mehr auf: auf dem Weg zur Schule, vom Besuch bei Freunden oder vom Training im Sportverein. In Österreich gelten durchschnittlich 150 bis 200 Kinder und Jugendliche als abgängig. Am 1. Juli 2007 waren es genau 173 der unter 18-Jährigen, nach denen gesucht wird. Eine der bekanntesten Vermissten ist Natascha Kampusch, die acht Jahre lang von einem Mann in ein Verlies gesperrt wurde.

"Doch ein Verbrechen ist nicht die Hauptursache für Angängigkeit", sagt Regine Wieselthaler-Buchmann, die im Bundeskriminalamt (BK) für Vermisste zuständig ist. Den größten Anteil machen - besonders bei Jugendlichen - die Ausreißer aus. "Sie laufen wegen familiärer Schwierigkeiten, wegen der bevorstehenden Zeugnisverteilung oder wegen Feiertagen wie Weihnachten weg."

Und die Ausreißer setzen sich dabei keine Grenzen. "Das ist ja heute ganz anders als früher. Früher hat der Weitblick bei der österreichischen Grenze aufgehört", meint Wieselthaler-Buchmann. Mit dem Internet verschaffen sich die Jugendlichen einen ganz anderen Überblick, ist die Ermittlerin überzeugt. Und mit dem Mobiltelefon verschaffen sie sich eine gewisse Flexibilität.

Internet macht das Ausreißen leichter
Vor zwei Jahren etwa haben zwei 16-jährige Burschen kurz vor Schulschluss die Kreditkarte des Vaters genommen, um per Internet zwei Tickets für die Fidschi-Inseln zu kaufen, um dort für zwei Wochen Ferien zu machen. "Sie haben einfach nicht daran gedacht, dass sich jemand sorgen machen kann", so Wieselthaler-Buchmann. In London sind sie den Fahndern noch "durchgeschlüpft", aber in den USA war Schluss mit dem Davonlaufen, die Burschen wurden bereits von der Polizei erwartet und postum retour geschickt. Dass die beiden so weit gekommen waren, ist dem Internet zu verdanken. "Heutzutage würde sich jeder Mitarbeiter eines Reisebüros wundern, wenn zwei 16-Jährige Tickets für die Fidschi-Inseln kaufen."

Wieselthaler-Buchmann wusste von einem weiteren Fall, wo es ein 13-Jähriger aus reicher Familie einfach daheim nicht mehr ausgehalten hat. Er hat sich in den Zug gesetzt und sich in ein Nobelhotel in Norddeutschland für einige Wochen "residiert", wie die Ermittlerin erzählt. "Bei der Abgängigenfahndung gibt es nichts, was es nicht gibt. Und die modernen Kommunikationsmittel erleichtern das."

Selbstjustiz mittels Kindesentziehung
Bei jüngeren Kindern kann laut Wieselthaler-Buchmann der Grund des Verschwindens oft eine Kindesentziehung durch Mutter oder Vater sein. "Ein nicht mit der Obsorge berechtigter Elternteil kann die Entscheidung des Gerichts nicht akzeptieren und übt Selbstjustiz aus, indem er das Kind entführt." Beispiel dafür ist das Verschwinden der steirischen Geschwister Ingrid und Phillipp Ehmann. Seit 2004 dürften die Kinder mit ihrem Vater Johann Ehmann unterwegs sein, dem das Sorgerecht entzogen wurde und der per Haftbefehl wegen schwerer Nötigung gesucht wird. Der Haftbefehl erleichtere die Sache natürlich, weil man ihm auch im Ausland habhaft werden könne, meint Wieselthaler-Buchmann.

Besonders schwierig werde es in Ländern, wo dem Vater automatisch das Sorgerecht zugesprochen wird. "Da bekommen wir höchstens die Meldung, dass es den Kindern gut geht und dem Vater die Obsorge obliegt." Diese Fälle würden sich über Jahre hinziehen. "Und sie sind die ungutesten", sagt Wieselthaler-Buchmann.

Bei einigen ist auch ein Unfall der Grund für ihr Verschwinden. "Jemand fällt in den hochwasserführenden Fluss, ist von einem Berg abgestürzt oder in eine Gletscherspalte gefallen." Besonders in warmen Sommern seien immer sehr viele Wanderer vermisst. "Ein sehr kleiner Teil machen die Selbstmord oder jene, die einem Verbrechen zum Opfer gefallen sind, aus", erzählt Wieselthaler-Buchmann.

Anzeige ganz wichtig
Ganz wichtig ist im Abgängigkeitsfall die Anzeige. "Neben der Personsbeschreibung darf nichts Verschwiegen werden", sagt Wieselthaler-Buchmann. Oft wird aus Scham - weil vielleicht das Kind beim Ladendiebstahl erwischt wurde - der Polizei nicht alles gesagt. "Das ist aber enorm wichtig, weil wir nur so punktgenau fahnden können", so die Ermittlerin. Auch Freunde oder Internetbekanntschaften können ein Anhaltspunkt sein. Damit kann die Inlandsfahndung, die Fahndung in den 14 Schengenstaaten bzw. die Interpolfahndung gestartet werden.

In Österreich werden durchschnittlich 750 bis 800 Menschen vermisst, 150 bis 200 sind Kinder und Jugendliche. Wien ist mit der Anzahl der Verschwundenen führend, an letzter Stelle steht das Burgenland.

Symbolbild

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