Live im Gasometer

Marilyn Manson: Kleine Nadelstiche des Bösen

Musik
21.11.2017 00:53

Mit dem neuen Album "Heaven Upside Down" im Gepäck spielte Marilyn Manson Montagabend mit gebrochenem Bein vor einem restlos ausverkauften Wiener Gasometer. Der einstige Schockrocker mag an diabolischer Strahlkraft eingebüßt haben, vermochte aber geschickt nuancierte Provokationen in sein auditiv unterstütztes Kammerschauspiel einzubauen.

(Bild: kmm)

Unzählige Diskussionen wurden darüber geführt, wie ein einstiger Kinderzimmerschreck wie Marilyn Manson in der Generation 4.0 noch Aufsehen erregen kann. In Zeiten von Hardcore-Pornos, IS-Enthauptungsvideos oder in Bewegtbild gegossenen Horrorclown-Pranks wirken durch Videos krabbelnde Maden oder sexuelle Entgleisungen mit Johnny Depp (wie im Video zur aktuellen Single "Say10") nicht mehr viel mehr als augenzwinkernd-amüsant. Manson, der sich sein Pseudonym aus dem just heute verstorbenen Auftragsritualmörder Charles Manson und der einstigen Femme Fatale Marilyn Monroe schnitzte, war vor den sozialen Medien das, wofür KISS 20 Jahre und Alice Cooper knapp 30 Jahre davor standen: das personifizierte Einbrechen aller guten Sitten. Anno 2017 muss man sich schon mehr bemühen, will man einer abgestumpften Masse noch ein Gruseln ins Gesicht zaubern.

Provokationsversuche
Einen - mehr oder weniger - ehrenwerten Versuch des Provozierens versuchte der 48-Jährige unlängst im kalifornischen San Bernardino, als er - das Bein nach einem Bühnenzwischenfall gebrochen - im Rollstuhl fahrend mit einer täuschend echten Gewehrattrappe Richtung Publikum zielte. Wenige Tage nach dem tragischen Massaker in Texas fanden das selbst eingefleischte Manson-Jünger nur mäßig lustig, zumal die Schmerzgrenze in punkto derbem Humor über dem großen Teich ohnehin nicht ins Unendliche reicht. Dazu gab es noch einen tragischen Todesfall (ex-Gitarrist Daisy Berkowitz), einen Vergewaltigungsvorwurf (ex-Bassist Twiggy Ramirez) und zahlreiche unterirdische Liveauftritte (mit dem Tiefpunkt beim Metal-Festivalgiganten Wacken) zu verbuchen. Kein Wunder, dass Mr. Manson vor seinem Gig im ausverkauften Wiener Gasometer sämtliche Interviewanfragen mit der fadenscheinigen Ausrede "verletzt" abblockte.

Aber sei's drum - was zählt, das ist auf der Bühne. Und dort hat sich der einstige Schockrocker in den letzten Jahren auch nicht unbedingt mit Ruhm bekleckert. Man erinnere sich an das meteorologisch als auch qualitativ verregnete Arena Open Air 2014 oder die als Show getarnte Farce, die er 2012 im Vorprogramm von Rob Zombie in der Stadthalle abspulte. Doch Manson hat sich in der Zwischenzeit längst wieder gefangen - auch musikalisch. "The Pale Emperor" (2015) war ein erster Schritt zurück zur gewohnten Mischung aus Innovationskraft und Düsternis, das erst vor einem guten Monat veröffentlichte "Heaven Upside Down" hat tatsächlich Hitmaterial zu verbuchen, von dem Manson an diesem Abend mit "Revelation #12", "Kill4Me", "We Know Where You Fucking Live" und dem eingängigen "Say10" auch fleißig liefert. Die 15 Minuten Verspätung - geschenkt. Viel verwunderter war so mancher, dass der Zeremonienmeister auf der Bühne so richtig aufs Gaspedal drückte. "I'm a bit broken, but unbreakable", warf er verschmitzt in die Runde, um unmissverständlich klar zu machen, dass ein gebrochenes Bein kein Hindernis für eine ordentliche Teufelei ist.

Meister des Visuellen
Das Bühnensetting ist in der Tat immer noch opulent. Vor den ständig wechselnden Backdrops thront Manson in bester Axl Rose- und Dave Grohl-Manier sitzend auf einer Art beweglichen OP-Trage, flankiert von zwei überkreuzten Pistolen. Assistiert wird er die ganze Show hindurch von zwei Assistenten in grünen Chirurgen-Kitteln, was den optischen Effekt zusätzlich verstärkt. Wieder einmal beweist Manson, dass er in erster Linie ein Meister des Visuellen ist und musikalisch noch viel Luft nach oben bleibt. Das ist, man ist versucht zu sagen "erwartungsgemäß", auch an diesem Abend nicht anders. Schon bei "This Is The New Shit" verschluckt Manson ein paar Wörter, "Mobscene" und "Deep Six" holpern auch eher angestrengt über die Bühne, aber ein redliches Bemühen und wirklich proaktive Interaktion mit dem begeisterungsfähigen Publikum kann man ihm nicht abstreiten. Zudem spielt heute auch der Sound mit und lässt die Industrial-Metalkracher aus mehr als zwei Dekaden mit ordentlichem Schwung aus den Boxen wabern.

Doch auch wenn die aktuellen Songs endlich wieder den Spannungsbogen aufweisen, den man viele Jahre zuvor sträflich vermisste, sind es doch die Klassiker, die sich für die Ewigkeit empfehlen. Von seinen mit Abstand besten Alben "Antichrist Superstar" (dem Album, das ob seiner Mischung aus pervers-maschineller Kompromisslosigkeit und provokativer Lyrik eine ganze Generation voller Teenager in die Welt der harten Musik einführte) und "Mechanical Animals" (dem direkten Nachfolger, der sich in poppigen Glam-Sphären wagte und Manson zum Ziggy Stardust der Grufti-Bewegung gedeihen ließ) füttert er doch ein gutes Drittel der nicht einmal eineinhalbstündigen Show aus. "The Beautiful People", die Manson-Hymne schlechthin, macht ihm gegenwärtig aber nur mehr wenig Spaß, doch beim Eurythmics-Cover "Sweet Dreams" leidet er auf seinem Krankenbett robbend immer noch wie ein junger Hund. Der "Gute-Nacht-Song" "Tourniquet" hat 21 Jahre nach seinem Entstehen nur noch an Intensität dazugewonnen, das Pingpong mit dem Auditorium läuft immer besser.

Kleine Nadelstiche
Was auch immer Manson auf der Bühne veranstaltet, es wirkt die meiste Zeit über etwas bemüht und nicht vollständig ausgegoren. Statt einem ordentlichen Horrorhaus gibt‘s eben nur mehr Geisterbahn, aber auch dort lässt es sich bekanntlich eifrig gruseln, wenn die Stimmung passt. Neben all der verzerrten Mimik und theatralischen Gestik, die sich wie ein unsichtbarer Schleier über das Konzert legen, kommt das Wiener Publikum aber auch in den Genuss zweier rarer Ereignisse. Einerseits covert Manson im ersten Showdrittel angesichts des Todes seines Namensidols Charles Manson dessen Song "Sick City". Leidend singend, nur begleitet von der Gitarre von Tyler Bates. "Egal, was ich über ihn denke oder von ihm halte ist das ein guter Song aus den 60ern." Da schafft er es also doch wieder, mit einem Cover eines Auftragsmörders und Hakenkreuzträgers für Aufregung zu sorgen. Nur in der Musikhistorie wackelt Manson, denn "Sick City" erschien erst 1970. Abgeschlossen wird der Gig vom elegischen "Coma White", einem seiner besten und auf dieser Tour nur sehr selten zelebrierten Songs aus der kurzen "Glam-Ära". Die Kunstfigur Marilyn Manson lebt jedenfalls. Und wenn die große Provokation schon nicht mehr möglich ist, vermag der Entertainer noch immer kleine Nadelstiche der Rücksichts- und Geschmacklosigkeiten zu setzen. Gut so, weitermachen!

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