Elitäre Treffen

So wollen Lobbyisten in Brüssel an unsere Daten

Web
17.10.2017 13:59

Welche Daten dürfen Konzerne über die Internetnutzer sammeln und - etwa mit personalisierter Werbung - zu Geld machen? Diese Frage beschäftigt das EU-Parlament bei der geplanten Überarbeitung der E-Privacy-Richtlinie, in der der Umgang gewinnorientierter Firmen mit potenziell höchst privaten Daten geregelt wird. Doch eine Verbesserung des Datenschutzes wird schwierig: Die IT-Industrie versucht sich mit einem ganzen Heer an Lobbyisten an der Einflussnahme auf den Gesetzgebungsprozess.

"Das ist eine der schlimmsten Lobbyismuskampagnen, die wir je gesehen haben", schreiben die Bürgerrechtler vom Corporate Europe Observatory (CEO), das sich zur Aufgabe gesetzt hat, den vielen Lobbyisten in Brüssel auf die Finger zu schauen. CEO wirft der IT-Industrie kurz vor einer wichtigen Abstimmung zu der Richtlinie am Donnerstag im EU-Parlament die massive Beeinflussung der Abgeordneten vor. Die Befürchtung: Am Ende könnten die Abgeordneten dadurch nicht im Sinne der Bürger, sondern im Sinne der Konzerne abstimmen.

Datenschutz kann Konzerne Geld kosten
Aber worum geht es bei der E-Privacy-Richtlinie? Wie "Heise" zusammenfasst, im Grunde um den Umgang von (Internet-)konzernen mit unseren Daten - etwa aus Online-Profilen, wie wir sie bei Facebook und anderen Netzwerken haben. Es geht aber auch um Datensammelei durch Cookies, den Umgang mit Metadaten und Verschlüsselung sowie technische Sicherungen. Die Konzerne sind hier naturgemäß gegen starken Datenschutz, da der ihre Gewinne aus personalisierter Werbung auffressen könnte. Die Bürger dagegen haben sehr wohl ein Interesse daran, dass ihre Daten geschützt werden.

Meinungsmache bei elitären Cocktailrunden
Dazwischen stehen die EU-Politiker. Sie debattieren im Parlament und der EU-Kommission darüber, wie sich der Datenschutz auf EU-Ebene entwickeln soll. Und betrachtet man, wie die Konzerne diese Entscheidungsträger mit allen Mitteln für sich zu gewinnen versuchen, könnte am Ende durchaus ein Gesetz herauskommen, das vor allem die Wirtschaft begünstigt. CEO spricht in diesem Zusammenhang von einem regelrechen Bombardement der EU-Politiker durch Lobbyisten, die sie mit Positionspapieren und Änderungsanträgen eindecken und nebenbei nach persönlichen Treffen fragen - etwa bei elitären Cocktailrunden mit den Lobbyisten.

EU-Politiker treffen vor allem Konzernvertreter
Natürlich gibt es nicht nur Lobbyisten, die im Auftrag der IT-Wirtschaft agieren, sondern auch solche, die Konsumentenschützer vertreten. Analysiert man, mit wem sich die für Digitalfragen zuständigen EU-Politiker in erster Linie treffen, wird allerdings schnell klar, für wen sie ein offenes Ohr haben - und für wen nicht. Wie CEO herausgefunden hat, gab es allein 2016 41 Lobbyistentreffen mit den EU-Kommissaren Andrus Ansip und Günther Oettinger. In 88 Prozent der Fälle trafen sich die Politiker mit Wirtschaftslobbyisten, so gut wie nie unterhielten sie sich mit Bürgerrechtlern. Im Fall Günther Oettinger ist die Nähe zu Wirtschaftslobbyisten dabei nicht einmal eine Neuheit: Von ihm ist bereits seit 2015 - damals noch Digitalkommissar - bekannt, dass er einen guten Draht zu Konzernen hat und fast nur deren Lobbyisten trifft.

IT-Konzerne investieren Millionen in Lobbying
Ihre Meinungsmache lassen sich die IT-Konzerne einiges kosten. In einem Bericht von Transparency International aus dem Jahr 2015 wurden die Konzerne mit den größten Lobbying-Ausgaben identifiziert und hier liegt Microsoft mit einem Jahresbudget von 4,5 Millionen US-Dollar ganz vorn, aber auch Google oder Huawei investieren Millionen in die Meinungsmache in Brüssel.

Auch im aktuellen Fall der E-Privacy-Richtlinie lobbyieren unter anderem Microsoft und Google, aber auch die Deutsche Telekom und eine ganze Phalanx verschiedener IT-Industrieverbände. Wie stark die Lobbying-Bemühungen sind - laut CEO haben sie sich intensiviert, nachdem ein erster Privatsphäre-freundlicher Entwurf der Richtlinie fertiggestellt wurde - zeigt sich auch an der parlamentarischen Berichterstatterin Marju Lauristin: Sie soll sich 140 Mal mit Lobbyisten getroffen haben, insgesamt soll die IT-Lobby rund 800 Änderungsanträge im Zusammenhang mit der E-Privacy-Richtlinie in die laufenden Debatten eingeschleust haben.

Gesprächsklima "aggressiv, rau und unhöflich"
Wie wichtig es der IT-Industrie ist, dass die Daten der Europäer ihr weiterhin zugänglich bleiben, zeigt sich auch daran, dass sich einige Abgeordnete regelrecht bedrängt von den vielen Lobbyisten fühlen. Das Gesprächsklima sei "aggressiv, rau und unhöflich", heißt es im Bericht von CEO. Seitens der Industrie warne die Lobby davor, dass zu viel Datenschutz ganze Branchen zerstören könnte, auf Privatsphäre bedachte Politiker halten dem entgegen, dass sie derartige Argumentationen schon zu oft gehört hätten und neue Gesetze nicht automatisch den Tod ganzer Branchen bedeuten.

Wichtige Entscheidungsträger auf Seiten der Industrie
Trotzdem zeichnet sich ab, dass die Lobbyisten ihr Ziel erreichen dürften - teils mit Schlagwörtern, die den Zeitgeist treffen, etwa Medienvielfalt und Fake News. Wichtige EU-Politiker wie Michal Boni, der Verhandlungsführer der Europäischen Volkspartei, aber auch Berichterstatterin Lauristin, hätten sich nach zahlreichen Lobbyisten-Treffen jedenfalls auf die Linie der Industrie eingelassen, heißt es in dem CEO-Bericht. Geht es nach ihnen, wird beispielsweise das Tracking von Nutzern im Internet und sogar offline in Geschäften erlaubt. Und auch wichtige Mitgliedsstaaten wie Deutschland stünden eher auf Seiten der Industrie als auf Seiten der Bürger, so CEO.

Konzerninteressen auch bei Roaming durchgesetzt
Welchen Einfluss Lobbyisten auf neue Gesetze haben können, hat sich in der Vergangenheit schon mehrfach gezeigt - zuletzt etwa bei der Abschaffung der Roaming-Gebühren innerhalb der EU. War anfangs geplant, Roaming Ende 2015 zur Gänze abzuschaffen, zog sich die Diskussion der EU-Politiker, Lobbyisten und nationalen Regierungen letztlich noch gut zwei Jahre länger dahin. Am Ende wurde im Sommer 2017 dann zwar eine Roaming-Regelung eingeführt, allerdings mit etlichen Schlupflöchern wie im Ausland reduziertem Datenvolumen und zeitlichen Beschränkungen bei der Internetnutzung im Ausland. Auch hier haben Lobbyisten also die Interessen der Konzerne zumindest teilweise durchgesetzt.

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