Neues Star-Projekt

Gizmodrome: Ein absoluter Unfall als Glücksfall

Musik
19.09.2017 12:42

Stewart Copeland, Adrian Belew, Mark King und Vittorio Cosma finden sich für zwei Wochen in Mailand zusammen, um zwölf Songs im Fahrwasser von Prog Rock,. Funk, Jazz, Reggae und Rock'n'Roll einzuspielen. Das auf den Namen Gizmodrome lautende All-Star-Projekt will 2018 auch die Bühnen erobern und mehr als nur eine kurze Duftnote setzen. Copeland und Belew sprachen mit uns ausführlich über die Intention hinter dem Projekt, warum sie sich beim Einspielen wie Kinder fühlten und wie wild in der klassischen Musik gefeiert wird.

(Bild: kmm)

Wer sich interessehalber durch das World Wide Web klickt, wird bereits bemerkt haben, dass eine Genrekategorisierung der Supergroup Gizmodrome schwer zu finden ist. Ist das jetzt Progressive? Gibt es einen Punk-Touch? Eine Art-Rock-Attitüde? Eigentlich völlig egal, denn das kontinentalumspannende Zusammenspiel der vier Könner braucht keine eingrenzende Bezeichnung, um erklärt zu werden. Gizmodrome ist so etwas wie der Kreativitätspool einer positiv konnotierten Midlife-Crisis, ein Get Together alternder Rocker, die sich völlig frei von Zwängen und Einordnungen auf die Kraft ihres Geistes verließen und das Ergebnis daraus in zwölf Songs kanalisierten. Dass trotz des bunten Instrumentariums so schnell ein Label ansprach, liegt natürlich an den Protagonisten. Stewart Copeland (The Police), Adrian Belew (King Crimson, Talking Heads), Mark King (Level 42) und Vittorio Cosma (PFM) sind geschätzte Kapazunder im Prog-Kosmos, da könne man ruhig blind zugreifen.

Freundesgespann
Das Entstehen dieses zukunftsträchtigen Projekts könnte einem Musiker-Märchenbuch entstammen. Copeland trifft Cosma 2003 beim italienischen Musikfestival "The Night Of The Tarantula", freundet sich mit ihm an, wird wenig später vom Bürgermeister in den musikalischen Stamm der Region aufgenommen und zum Ehrenbürger des süditalienischen Salento ernannt. Copeland und Cosma touren mit der "Tarantula"-Show durch Europa und Südamerika, nebenbei beginnen die beiden Unzertrennlichen zu jammen und Songs zu schreiben. Copeland, nach seiner herausragenden Karriere bei The Police und als Filmsoundtrackschreiber längst zum respektierten Opernkomponist gereift, spürt, wie die Lust am Rock zurückkehrt. Auch dem klassisch tätigen Cosma behagt das digitale Hin- und Herschicken von Soundfiles und Arrangements über den Atlantik. Doch erst der italienische Produzent Claudio Dente, der eher zufällig auf die Ideen des Kreativduos stieß, machte den Musikern Beine. Belew und King waren schnell angeworben und innerhalb von nicht einmal zwei Wochen war das Debütalbum in Mailand eingespielt.

"In Italien herrscht eben la dolce vita", lacht Mastermind Copeland im Interview mit der "Krone", "wir hatten nie eine Agenda, wie, wo und wann wir etwas machen. Vittorio und ich hatten unter dem Namen Gizmo immer wieder auf Piazzas und Palazzos gespielt. Als durch Claudio alles ins Rollen kam, war die Band innerhalb von 20 Minuten via Telefon zusammengeschlossen. Die Songs standen bereits, an ihnen gab es nichts mehr zu rütteln, aber durch das Bandfeeling und das Liveeinspielen im Studio, bekamen die einzelnen Tracks eine völlig neue Seele." Doch wie klingt das Ergebnis von zwei Amerikanern, einem Briten und einem Italiener? "Gizmodrome" mäandert zwischen Reggae, Funk, viel Prog Rock, wenig Jazz und etwas leichtfüßigem Rock'n'Roll. Eine Gemengelage aus den unterschiedlichsten Ecken, die sich in der Mitte zu einem fertigen Konstrukt formt. Die Tracks sind oft herausfordernd und nur selten wirklich eingängig, was anhand der beteiligten Musiker aber auch nicht zu erwarten war.

Neue Herausforderung
"Vielleicht klingen wir europäisch, aber wir wollen von Pittsburgh über Rio de Janeiro bis hin zu Erlangen ohnehin alle Menschen erreichen", lacht Belew. Copeland, in seiner Zeit bei The Police immerhin zu einem der weltbesten Rock-Drummer aller Zeiten geadelt, wird bei den anstehenden Live-Konzerten Frontmann und Gitarrist sein - eine weitere Zäsur und der Beweis, dass es den Altherren Ernst ist, mit dem Wiederauffrischen ihres musikalischen Lebens. "Ich werde mich vor riesigen Marshall-Türmen bewegen und den Rockstar markieren", lacht der 65-Jährige mit dem für ihn so typischen Humor. Top-Gitarrist Belew sieht Gizmodrome ebenfalls als neue Herausforderung. "Im Gegensatz zu meiner Hauptband Power Trio bin ich nicht der Frontmann, sondern muss die schweren Teile auf der Gitarre spielen und mich noch mehr konzentrieren. Der Moment der Wahrheit kommt immer auf der Bühne, wenn du die im Studio eingespielten Stücke allabendlich auf die Leute runterprasseln lassen musst."

Dass es Gizmodrome nicht ganz gelingt, an der eigenen musikalischen Vergangenheit der einzelnen Bandmitglieder vorbei zu musizieren, war zu erwarten. Das entscheidende Wort für den Aufnahmeprozess war "instinktiv". "Wir sind nie herumgesessen und haben Ideen analysiert, sondern rannten herum, hatten Spaß, nahmen etwas auf und saßen dann wieder einmal gemütlich für einen Kaffee vor dem wundervollen Mailänder Dom", erinnert sich Belew an die Ungezwungenheit beim Entstehungsprozess. "Wir fühlten uns wie Kinder", fügt Copeland hinzu, "ein guter Freund von mir sagt immer, dass das Finden einer Melodie, die die Menschen zum Staunen bringt, wichtiger und spannender ist als das Kreieren von Musik selbst. Nach dieser Prämisse gingen wir auf diesem Album vor."

Das Feuer wiederentfacht
Dass Copeland nach so vielen Jahren noch einmal zum Rock zurückkehren würde, glaubte er lange selbst nicht. "Das war nie mein Plan. Dieses Projekt ist ein absoluter Unfall. Ich hatte mein geregeltes Leben in der orchestralen Musik, habe auch erst unlängst mit einem Symphonieorchester in Wien gespielt. Ich war Komponist und echter Musiker, ganz weit weg vom Rockbusiness." Der anfängliche Schock ob des fortschrittlichen Rückschritts in die eigene Vergangenheit wich schnell spitzbübischer Freude. "Zuhause bin ich ein Vorstadtvater, der seine Kinder in die Schule fährt, anonym lebt und ganz normal einkaufen gehen kann. Wenn ich aber mit der Musik in der Welt unterwegs bin, führe ich ein ganz anderes, verrücktes Leben. Ich habe 16 Jahre lang kein Album mehr veröffentlicht und alles fühlt sich wieder neu und frisch an."

Wer allerdings denkt, in der hochkulturellen Klassik ginge es gemäßigter zu, der irrt, wie Copeland lachend erzählt: "Von manchen Bläsern im Orchester habe ich ganz neue Formen von Drogen gelernt, die feiern wie die Tiere. Es gab mal eine Party in San Antonio, wo ein Orchester eine Hotelbar in kurzer Zeit zum wildesten Platz der Welt verwandelte. Es war so, als wäre ich mit Mötley Crüe unterwegs gewesen, seither kann mich nichts mehr schockieren." Diese Erfahrungen führen Copeland übrigens auch zu seinem zweiten Buch, das er so schnell wie möglich veröffentlichen möchte. "Ich schreibe über Tücken und Regeln. Es sollte ein Leitfaden für junge Musiker werden, wie sie in diesem Geschäft überleben können. Etwa wie betrunken man sein darf, um eine U2-Show zu sehen oder was man essen darf, wenn man mit einem schlimmen Kater im Flugzeug sitzt. Lebenswichtige Tipps eben."

Zuverlässig und live
Mit Gizmodrome wird es mit der noch offenen, aber für 2018 avisierten Club-Tour durch Europa und die USA aber wesentlich ruhiger zugehen, die großen Party Animals sind die vier Musiker im gestandenen Alter längst nicht mehr. "Natürlich können wir superprofessionell arbeiten, ansonsten hätte ich niemals Filmkompositeur oder Klassikmusiker werden können", wird Copeland kurz ernst, "in diesen Kreisen braucht man keine Rockstars, sondern zuverlässige Menschen. Wir haben uns aber für 2018 alle unsere Terminkalender freigehalten, weil wir darauf brennen, die Gizmodrome-Songs live zu spielen. Wir wollen die größte Band Italiens werden."

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