"Krone"-Interview

Explosions In The Sky: Instrumentale Botschaften

Musik
25.07.2017 11:08

Dass Musik auch ohne Gesang besondere Emotionen evozieren kann, das beweisen die Texaner Explosions In The Sky seit mittlerweile 18 Jahren. Mit unverändertem Line-Up und große Motivation changieren im Post-Rock-Genre, ohne sich selbst zu stark einschränken zu wollen. Die Botschaften vermittelt das Quartett rein instrumental - und ist gerade deshalb besonders spannend. Basisst Michael Stewart nahm sich für uns Zeit, um über das ganze spezielle Projekt zu sprechen.

(Bild: kmm)

"Krone": Michael, ihr habt euch nach dem Feuerwerk benannt, das am 4. Juli, dem amerikanischen Unabhängigkeitstag, alljährlich in eurem Land zu sehen ist. Heuer habt ihr euren 18. Geburtstag gefeiert, eine ziemlich große Zeitspanne. Was kommt dir in den Sinn, wenn du auf die bisherige Bandkarriere zurückblickst?
Michael James: Wie alt ich mittlerweile bin. (lacht) Wir haben uns unlängst Bilder unserer ersten Tour angesehen und sie mit den Bildern von vor sechs Monaten verglichen. Da siehst du schon einen brutalen Unterschied. Als wir durchstarteten, waren wir junge, wilde, unverbrauchte Kids. Ich war 21 Jahre alt, Gitarrist Munaf Rayani 18. Wir waren jung, frisch und unschuldig und heute ist es schön zu sehen, dass wir so lange durchgehalten haben. Natürlich gibt es Tage, an denen du Dinge tun musst, auf die du keine Lust hast, aber ich würde mit niemandem tauschen wollen. Ich kann all meine Energie und Zeit in etwas stecken, das von meinem Hobby zum Beruf mutierte. Es gibt nichts, dass ich mehr liebe. Ich kann Gott nur dafür danken.

Hast du dich über die 18 Jahre hinweg stark verändert?
Natürlich, zumindest hoffe ich das. Ich bin sicher ein besserer Mensch als früher. Als 20-Jähriger hast du keine Ahnung von Menschen und vom Leben. Du bist zu impulsiv und nicht immer gerecht. Es wäre fatal, hätten sich die Dinge heute nicht zum Besseren gewandelt. (lacht)

Ich finde es auch beeindruckend, dass ihr die ganzen 18 Jahre über im selben Line-Up spielt.
Glücklicherweise waren wir von Anfang an sehr gute Freunde. Das heißt nicht, dass wir uns nicht hier und da wie Brüder in die Haare kriegen und es mal ordentlich kracht, aber nach 18 Jahren haben wir gelernt, dass wir konstruktiver um unsere Ideen kämpfen und auch nach hitzigen Diskussionen noch genug Zeit für eine versöhnliche Umarmung bleiben muss. Es ist heute noch immer so gut wie früher.

Gab es auch mal Zeiten, wo der Weiterbestand von Explosions In The Sky in Gefahr war, weil ihr vielleicht nicht immer so besonnen reagiert habt?
Nicht wirklich. Wir hatten unsere Kämpfe, aber das gibt es in jeder Band und in jeder Beziehung. Wirklich gefährdet waren wir aber nie, das traue ich mich behaupten.

Wie viel Platz ist denn eigentlich für Patriotismus in eurer Band, wenn ihr euch schon nach den Feuerwerken am amerikanischen Unabhängigkeitstag benannt habt?
Wir feiern da immer unsere eigene Party. Für uns ist der Bandgeburtstag wichtiger als der amerikanische Unabhängigkeitstag.

Ihr seid aber durchaus politisch interessiert, auch wenn man das bei euch nicht heraushört, da ihr als eine reine Instrumentalband agiert.
Wir versuchen, das Politische nicht zu stark mit der Musik zu kreuzen. Natürlich haben wir alle unsere Ansichten und Meinungen, aber wir wollen sie nicht zu stark mit der Band an sich verknüpfen. Jeder kann mit mir den ganzen Tag darüber diskutieren, aber bitte nicht in Zusammenhang mit Explosions In The Sky.

Ihr hattet immer schon eine etwas andere Perspektive auf euch selbst als eure Fans. Die sehen euch oft als die großen Retter des Post Rock, ihr bevorzugt es, einfach als Rockband bezeichnet zu werden.
Das stimmt, denn Post Rock war niemals mein Lieblingsmusikgenre. Ich habe immer nach etwas mehr gesucht, nach Musikern, die die Grenzen viel stärker niederreißen. Ich bin der felsenfesten Überzeugung, dass der Post Rock seine besten Tage noch nicht gesehen hat und dahingehend noch viel mehr möglich ist. Wenn sich die Bands in dem Genre mehr reinlegen, dann werden sie die Stärken der großen alten Rockbands noch stärker mit futuristischen Klängen vermischen, um das Label "Post" wirklich zu verdienen. Wir spielen Powerchords, haben Gitarre, Bass und Schlagzeug und sind nicht so komplex wie andere. Wenn uns jemand als Post-Rock-Band sieht, dann freue ich mich darüber und bin sehr stolz, aber ich denke einfach, dass andere Bands diese Bezeichnung eher verdient haben.

Als Band ohne Sänger arbeitet ihr für gewöhnlich extrem demokratisch. Ist es in der Praxis wirklich möglich, gleichberechtigt agieren zu können?
Das kann schon sehr schwierig sein. Viele Bands funktionieren auch nur, wenn der Chef klar sagt, in welche Richtung ein Song geht - das kann im Endeffekt vieles erleichtern. Bei uns muss aber jeder jeden Teil eines Songs lieben, erst dann wird er aufgenommen. Das kann manchmal wirklich lange dauern, so wie etwa die vier Jahre zwischen den letzten beiden Alben. (lacht) Es ist nicht genug, wenn drei von vier Leuten happy sind, alles muss einstimmig beschlossen werden, es gibt kein Mehrheitswahlrecht. Wir haben auch für "Wilderness" weit mehr Songs geschrieben, als auf dem Album waren, aber nur die übriggebliebenen wurden von allen gemocht.

Spart ihr euch die verworfenen Ideen für eventuelle spätere Veröffentlichungen auf?
Wir haben eine enorm große Festplatte mit alten Ideen, aber das Lustige daran ist, dass du zwar anfangs immer reinhörst und versuchst, das neu zu verarbeiten, dann aber schnell merkst, warum du diese Ideen ursprünglich verworfen hast. Ich kann mich nicht daran erinnern, dass wir eine vergangene Arbeit wirklich aktiv neu aufbereitet haben. Meist sammeln wir also eher umsonst. (lacht)

Was definiert die unterschiedlichen Charaktere bei euch, wodurch Explosions In The Sky zu einer einzigartigen Band wird?
Schwierig. Wir alle haben verschiedene musikalische Hintergründe. Wir haben schon ähnliche Interessen, aber es gibt Leute, die mehr auf Hip Hop und R&B, Punkrock, Noise oder Metal stehen. Zusammen ist es unser Ziel, all diese Meinungen und Ideen zu vermischen und etwas Ganzes zu kreieren, mit dem alle zufrieden sind. Der Explosions-Sound lukriert sich aus der Mischung all dieser Einflüsse.

Seid ihr stolz darauf, dass ihr über die Jahre einen ziemlich einzigartigen Sound entwickeln konntet?
Natürlich sind wir das. Ich liebe den Sound, den wir für uns kreieren. Natürlich erfinden wir das Rad mit unseren Songs nicht neu und können die Musikwelt damit auch nicht revolutionieren, aber ich habe das Gefühl, dass wir eine Nische gefunden haben, die so noch nicht besetzt war. Wir haben ein Gefühl für bestimmte Melodien und Kompositionen.

Viele eurer langjährigen Fans haben etwas Zeit gebraucht, bis sie in euer letztes Album "Wilderness" gefunden haben...
Das haben wir so erwartet und es war okay für uns. Man kann nicht immer jeden glücklich machen. Wenn jeder deine Musik mag, dann ist sie wahrscheinlich ziemlich langweilig. (lacht) Ich kann damit leben, dass wir musikalisch polarisieren und nicht alle befriedigen können. Wenn jemand etwas braucht, um hineinzufinden finde ich das sogar gut, denn nichts ist schlimmer, als zu einfach und beliebig zu klingen. Wir wussten, dass es für einige Menschen eine Herausforderung wird, den etwas verschrobenen Klängen von "Wilderness" zu folgen.

Wie entstehen eure opulenten Klanglandschaften. Sind das Tagträume oder bestimmte Fantasien, die ihr dann in instrumentale Musik kanalisiert?
Das spielt auf jeden Fall mit. Das Songwriting beginnt meist mit einem sehr simplen Riff und dann entsteht der gesamte Song meist aus einer Mischung aus dem Riff und einer visuellen Idee, die sich in uns zusammengebraut hat. Das projizieren wir meist in den Songtitel, die die einzige Chance für uns sind, unsere Gedanken zu erklären versuchen. Die Songtitel reflektieren also unsere Ideen und Inspirationen.

Habt ihr wirklich nie darüber nachgedacht, es zumindest mal für ein Album mit einem Sänger zu versuchen?
Nicht ernsthaft. Wir wussten ganz früher bei der dritten Bandprobe, dass wir unseren Sound so mögen und nicht unbedingt einen Sänger dazu benötigen. Ein Sänger würde die Band auch in eine Richtung verändern, die uns nicht gefallen würde. Überlegt haben wir alle Varianten, aber wir empfanden einen , über die Musik sagen können. Ich bin mir sehr sicher, dass wir da noch viel machen können und unseren Höhepunkt noch lange nicht erreicht haben. Vielleicht kommt auch einmal der Zeit, wo wir uns mit Worten ausdrücken wollen - das kann man nie ganz ausschließen.

Wie stark reflektiert die Musik eure Persönlichkeiten?
Ein bisschen, aber das bleibt nicht aus. Als Künstler kannst du dich glaube ich nie ganz aus einem Projekt rausnehmen. Das versuchen zwar viele, aber es gelingt nicht.

Ihr habt auf "Wilderness" kürzere Songs geschrieben als üblich. Ist es einfach, mit kurzen, kompakten Songs Botschaften zu übermitteln?
Die kürzeren Songs passierten weder zufällig, noch haben wir bewusst darauf hingearbeitet. Es war einfach anders für uns und wir wollten uns verändern. Es war für uns notwendig, nicht immer auf ewig lange Songs zu setzen, sondern unsere Gedanken auch einmal etwas kompakter zu gestalten. Die Leute haben sich von uns schon immer solch lange Songs erwartet und erwartbar sein ist für einen Kreativen nie gut. Wir haben einfach etwas anderes probiert und einen kompletten Gedanken in ein viel engeres Zeitkorsett gesteckt. Das war für uns sehr herausfordernd und hat uns Spaß gemacht.

Ihr seid auch bekannt dafür, fast schon die gesamte Welt betourt zu haben. Wo hattet ihr die intensivsten oder aufregendsten Liveerfahrungen?
Das ist schwer zu sagen. Das Publikum kann sich von Land zu Land ziemlich stark unterschieden. Wir hatten in Japan wohl unsere besten Shows. Für gewöhnlich sind die Leute sehr reserviert, aber bei den letzten Auftritten sind sie richtig aus sich herausgegangen, das war für uns ein Überraschungseffekt. Ich finde ja, dass ein gutes Konzert nicht davon abhängt, wie wir spielen, sondern wie das Publikum agiert. Wenn das Publikum überhaupt nicht mitgeht, dann kann die persönliche Show noch so gut sein, es war kein Erfolg. Wir sind dafür verantwortlich, die Leute in Bewegung zu bringen. In Japan fügte sich alles zusammen - wir spielten gut und die Leute waren enthusiastisch.

Ihr seid bekannt dafür, sehr intensive und memorable Liveshows zu zelebrieren. Wie schwierig ist das manchmal, alles abzurufen, wenn man einen wirklich schlechten Tag hatte?
In unserer Musik finde ich mich jeden Abend wieder, selbst wenn davor alles danebengeht und ich müde oder krank bin. Immer, wenn wir auf die Bühne gehen, kommt die Energie von irgendwoher und verleitet mich zu Höchstleistungen. Es gibt wirklich Tage, wo du nicht einmal aufstehen willst, aber nach spätestens zwei Songs ist der Knopf umgesprungen und alles fließt. Ich kann das nicht rational erklären, aber es gab noch nie ein Konzert, das mich wirklich nervte. Es gibt natürlich Shows, die nicht so gut funktionieren, aber in die Musik finde ich immer. Ich kann mich darin verlieren.

Was wäre der perfekte Film, in den eure Musik passen würde?
Für "Wilderness" haben wir oft an "2001" gedacht. Der visuelle Aspekt dieses Kubrick-Kultfilms kam uns immer wieder in den Sinn, als wir an unserem Album arbeiteten.

Könntest du dir auch vorstellen, irgendwann einmal ein Drehbuch für einen Film zu schreiben, dessen Verlauf sich perfekt mit eurer Musik verknüpfen würde?
Ich weiß nicht, das ist doch eine ganz andere Sparte. Wir haben schon Leute in der Band, die in punkto Schreiben ein gewisses Grundtalent haben, aber darüber haben wir noch nie ernsthaft nachgedacht. (lacht)

Arbeitet ihr schon wieder an neuem Material?
Wir werfen uns immer gegenseitig Ideen zu, aber um ernsthaft daran zu arbeiten, sind wir derzeit zu viel unterwegs. Nach September kommt eine längere Pause und ich hoffe, wir können dann aktiver an neuen Songs schrauben.

Gibt es einen speziellen Traum, den ihr euch mit der Band noch erfüllen möchtet?
Ich glaube, wir haben uns alle Träume erfüllt. Würde die Band morgen aufhören, hätte ich nichts zu reklamieren. Ich kann mit meinen besten Freunden seit 18 langen Jahren durch die ganze Welt fahren, vor grandiosem Publikum spielen und mit meinem Hobby meinen Lebensunterhalt verdienen. All meine Träume sind erfüllt. Natürlich vermisse ich heute meine Familie, wenn ich unterwegs bin, aber ich würde trotzdem nicht tauschen wollen. (lacht)

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