Fachwelt gespalten

Suchtgefahr: Bald Warnhinweise bei “FIFA” & Co.?

Web
23.05.2017 07:29

"Dieses Spiel kann Ihre Gesundheit gefährden." Stehen - analog zum Tschickpackerl - solche Warnhinweise bald auf den Verpackungen beliebter Games wie "FIFA" oder "Overwatch"? Geht es nach der Weltgesundheitsorganisation WHO, wäre dies eine Option. Doch die Wissenschaft ist gespalten. Ein deutscher Experte für Online-Medien warnt davor, Games vorschnell zu dämonisieren.

Thorsten Quandt von der Universität Münster warnt in einem Gastbeitrag für das IT-Portal "Golem" vor der überstürzten Dämonisierung von Online-Spielen. Dem Experten zufolge arbeite die WHO aktuell gemeinsam mit der US-Psychologenvereinigung American Psychological Association (APA) daran, das Krankheitsbild "Online-Spielsucht" zu definieren und in Listen psychischer Krankheiten aufzunehmen.

Die Organisationen hätten große Definitionsmacht: Was in ihren Listen als Störung angeführt wird, kann von medizinischen und psychiatrischen Anbietern diagnostiziert, behandelt und mittelfristig auch verrechnet werden, so Quandt.

Wissenschaft gespalten: Sucht oder nicht?
Das Problem: Darüber, dass es sich um krankhaftes Verhalten handelt, wenn jemand viel Zeit mit Online-Spielen verbringt, ist die Wissenschaft nicht einig. Oft handle es sich laut Quandt auch nur um Phasen, vielfach verlören Gamer ganz von selbst ihr Interesse an einem Online-Game. Experten befürchten, dass die WHO und die APA Gamer mit ihren Definitionen unter einen Störungs-Generalverdacht stellt, obwohl sie sich womöglich nur verhalten, wie Jugendliche sich im Zeitalter des Internet nun einmal verhalten. In Deutschland spielt heute immerhin jeder Fünfte Bürger - unter Jugendlichen ist es jeder Dritte - Online-Spiele.

WHO definiert Gaming-Sucht recht schwammig
Mit der eher schwammigen Definition von Sucht, wie sie die WHO in der Vorabversion ihrer nächsten "Internationalen Klassifizierung der Krankheiten" anstrebt, wäre ein großer Anteil von ihnen per Definition "gestört". Und der Weg für die eingangs skizzierten Warnhinweise wäre frei. Tatsächlich fordere die WHO im Begleittext zur Definition tatsächlich Verbote entsprechender Inhalte, Werbe-Beschränkungen und Warnhinweise, wie es sie etwa bei Zigaretten gibt, schildert der Wissenschaftler.

Nicht jeder Forscher spricht von Suchtverhalten
Dabei gibt es viele Wissenschaftler, die nicht glauben, dass intensives Spielen als krankhaftes Verhalten zu verstehen ist. Sie warnen in einem Debattenpapier vor überstürztem Handeln: Games in die Suchtecke zu stellen, könne Gamer stigmatisieren und in der Öffentlichkeit ein falsches Bild über die potenzielle Schädlichkeit von Computerspielen erzeugen.

Schlimmstenfalls könnten eigentlich gesunde Menschen - vor allem Kinder oder Jugendliche - wegen Falschdiagnosen von Dritten in die Psychiatrie eingewiesen werden. Tatsächlich sprechen manche Forscher von einer Art "moralischer Panik": Ängstliche Ablehnung von Dingen, die man nicht versteht. Sie traf in der Vergangenheit schon andere Medien: Literatur, Comics oder Heavy Metal.

Forscher warnen vor Anti-Gaming-Hardlinern
Wissenschaftler, die sich für einen differenzierten Blick aussprechen, sehen in der WHO und in der APA eine Hardliner-Fraktion am Werk, die eine solche moralische Panik vorantreibt, ohne sich ein umfassendes Bild vom Phänomen Online-Games zu machen. Man versuche sozusagen unter weitgehendem Ausschluss der wissenschaftlichen Öffentlichkeit, mit politischen Mitteln die Überzeugungen einiger Akteure als Fakten durchzusetzen.

Die Auswirkungen könnten weit über die Videospielszene hinaus spürbar werden, warnt der Forscher. Nach der Online-Spielsucht seien weitere Krankheitsbilder zu erwarten: Von Handysucht bis hin zu Social-Media-Depressionen gäbe es viele Möglichkeiten, neue "Medien"-Krankheiten zu klassifizieren, warnt Quandt. So gesehen sei der Versuch der WHO und der APA, exzessives Online-Gaming als Krankheitsbild zu etablieren, ein gefährlicher Präzedenzfall.

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