Live in der Arena

Macy Gray wagt den Schritt in die Alterskarriere

Musik
27.03.2017 23:04

Vor ausverkauftem Haus in der Wiener Arena gab die US-R&B-Rauchstimme Macy Gray Montagabend ihr großes Österreich-Comeback. Die 49-jährige Goldstimme ruhte sich aber nicht auf den Lorbeeren der Vergangenheit aus, sondern zeigt sich im Zuge ihrer "Stripped"-Tour als gereifte Jazzerin mit dem Sinn für seriöse Größe. Ein gewagter, aber gelungener Versuch, der Gray neue Karrieretüren öffnet.

(Bild: kmm)

Die Tour begann am 1. März im finnischen Helsinki, doch von Müdigkeit keine Spur. Macy Gray, mit ihrer Hit-Single "I Try" 2001 in Europa quasi von Null auf Hundert zum Superstar mutiert, konnte zwar niemals an diesen Erfolg anschließen, war aber ständiger Wegbegleiter kundiger R&B- und Pop-Fans der letzten Dekaden. Nun spielt sie in respektablen, aber nicht unbedingt großen Arenen, kann dafür aber immer mal wieder das "Sold Out"-Schild vor die Tür hängen. So auch am Montagabend in der Wiener Arena, dem ersten Österreichauftritt nach drei Jahren, als sie beim Wiener Donauinselfest abgefeiert wurde.

Jazz in der Arena
Nun ist Macy Gray 2017 aber nicht mehr die Macy Gray des Millenniums. Die wilderen Tage sind einer gewissen Altersmilde gewichen, auch wenn die im September den 50er feiernde Sängerin auf der Bühne um keinen Tag gealtert erscheint. 2016 erwies sich - nicht zum ersten Mal - als Zäsur für ihre musikalische Ausrichtung. Auf dem letzten Herbst erschienenen Studioalbum "Stripped" setzte Gray ihre Vorliebe für den Jazz in Szene. Sie schrieb dafür neue Songs, coverte sich quer durch den Gemüsegarten (u.a. Metallica und Bob Marley) und verwandelte ihre eigenen Klassiker zu neuen Soundextrakten. Umso verwunderlicher schien daher, dass die Locationwahl auf die Wiener Arena fiel. Das Konzerthaus war vermutlich schon besetzt, ansonsten hat man die große Chance auf den passenden Rahmen schlichtweg verschlafen.

Doch auch zwischen den rustikalen Gemäuern am Erdberg braucht Gray nur wenige Minuten, um ihr treues Publikum in ihren charismatischen Bann zu ziehen. Der Opener "Relating To A Psychopath" zieht sich unbescheiden und kompakt auf etwa zehn Minuten, beinhaltet erste instrumentale Soli und lässt der durchdringenden Rauchstimme genug Platz, um ihr Timbre tatkräftig zu zelebrieren. Einer edleren Szenerie wäre in diesem Fall auch das Bühnenbild gerecht geworden. Die vierköpfige, hervorragend aufspielende Band wird von Wohnzimmerlampenschirmen flankiert. Die Musiker selbst sind mit roten und blonden Perücken bestückt und absolvieren den bunten Ritt durch knapp 20 Jahre Bandgeschichte in Anzug mit Krawatte.

Divenhafte Erscheinung
Die ansonsten so makellose Akustik der Arena tut sich vor allem am Anfang schwer mit dem wuchtigen Gesang Grays. Im Laufe des Konzerts pendeln sich Mikrofon und Mischpult auf ein vernünftiges Maß ein und geben der Diva mit der Strubbelfrisur den nötigen Punch, der für ihre Kunst unerlässlich ist. In einem bodenlangen schwarzen Kleid mit High Heels gewandt, eine Federboa um den Hals gewickelt, übernimmt Gray von Anfang an die Bühnenpräsenz und überzeugt zuvorderst mit der exakt getakteten Harmonie mit ihrer Begleitband. Neben den dominierenden Bassstampfern und ausladenden Saxofon-Soli steht die Künstlerin eindeutig im Mittelpunkt. Auf übertrieben lange Jam-Sessions wird möglichst verzichtet. Zur Halbzeit wird für einen Kostümwechsel eine kleine Pause eingebaut.

Während Gray geschickt durch ihre einzigartige, aber nicht immer kritikfreie Karriere mäandert, geraten gerade die Stärken der neuen Songs zur vollen Entfaltung. Die wuchtige Anti-Suchtballade "Annabelle" entfacht live ihre volle Wirkung, das am Ende des Konzerts gestellte "The Heart" ist von derart wuchtiger Stringenz getragen, dass selbst beim hervorragend gelaunten Wiener Publikum für kurze Zeit wortloses Staunen überhandnimmt. Dazwischen ist die gut gelaunte Gray in Redelaune, versucht das Publikum aus der Alltagslethargie zu reißen und zum Feiern zu animieren. Vieler Worte bedürfte es nicht, denn ihre Anhänger kamen ohnehin emotional geladen und voller Vorfreude zum Konzert.

Wink zur Disco
Zwischen all den sanften, inbrünstig vorgetragenen Tönen blitzt natürlich die Vergangenheit durch. Den einen oder anderen Disco-Stampfer klammert sie nicht aus, das etwas kurz geratene Radiohead-Cover "Creep" hingegen hätte an diesem Abend durchaus noch mehr Wucht vertragen. Dass sie den auf dieser Tour so oft exerzierten Bob Marley-Hit "Everything's Gonna Be Alright" in Wien ganz weglässt, fällt angesichts der Fülle an Hits maximal in der Rückbetrachtung auf.

Das vom Publikum aus vollen Kehlen mitgesungene "I Try" erschafft kurz vor dem Ende mühelos Gänsehaut, die bis ins ferne Döbling reicht. Nur der Frank Sinatra-Klassiker "My Way" als abschließende Ethno-Jazz-Version schmerzt im Gesamtbild. Macy Gray beweist in Wien dennoch eindrucksvoll, dass sie über die Jahre zu einer erwachsenen Künstlerin gereift ist, die sich vollends ihrer Leidenschaft hingibt und mittlerweile keine Angst vor Stilbrüchen hat. Das garantiert nicht nur den Respekt in der Gegenwart, sondern wohl auch eine goldene Alterskarriere in ferner Zukunft.

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