"Krone"-Speed-Dating

Ist diese Regierung noch zu retten, Herr VdB?

Österreich
28.01.2017 17:00

20 Minuten mit dem neuen Staatsoberhaupt: Mit Conny Bischofberger spricht Alexander Van der Bellen (73) über den Koalitionspoker, die Terrorgefahr in Österreich und wie ein schottischer Krimiautor ihn inspiriert hat.

Für Punkt 11.05 Uhr ist am Samstagvormittag das "Krone"-Interview mit dem frisch angelobten Bundespräsidenten angesetzt. Zeitrahmen: 20 Minuten, eine Art "Speed-Dating". An Cobra-Beamten geht es über rote Teppiche und an barocken Gemälden vorbei bis ins ehemalige Schlafgemach von Kaiserin Maria Theresia, wo das Staatsoberhaupt nach dessen Angelobung das traditionelle Rücktrittsangebot der Regierung ablehnte.

Um 11.03 Uhr öffnet sich die legendäre Tapetentür und Alexander Van der Bellen tritt heraus. Während schräg vis-a-vis im Bundeskanzleramt die Koalition über Neustart oder Neuwahlen pokert, gibt sich VdB - auf seiner Stirn haben sich viele Kummerfalten breit gemacht - zuversichtlich, dass man sich bald auf wichtige Eckpunkte für eine Weiterführung der Regierungsarbeit einigen werde. Er hat auf demselben Stuhl Platz genommen, auf dem auch Heinz Fischer immer gesessen ist.

"Krone": Herr Bundespräsident, wir müssen uns beeilen. Das Interview ist für 25 Minuten anberaumt.
Alexander Van der Bellen: 20 Minuten! Wir sollten gleich in medias res gehen.

"Krone": Heute schon geraucht?
Van der Bellen: Nein ... Aber es ist ja seit dem Wahlkampf kein Geheimnis mehr, dass der Bundespräsident ein Laster hat, von dem er dringend abrät - und das ist das Rauchen.

"Krone": Stimmt das Gerücht, Sie hätten sich in der Hofburg ein Raucherkammerl einrichten lassen?
Van der Bellen: Nein, weil ich auch im Büro am offenen Fenster rauchen dürfte.

"Krone": Erstmals in diesem prunkvollen Arbeitszimmer zu sitzen, wie passt das zum Tiroler in Ihnen, der eigentlich die Kargheit liebt?
Van der Bellen: Das Zirbenholz … Wenn es altert und die Farbe dann so ins Rötliche geht, ist es besonders schön. Aber man gewöhnt sich dran. Diese theresianischen Räume sind schon sehr beeindruckend.

"Krone": Dazu kommt das strenge Protokoll. Hatten Sie insgeheim Angst, etwas falsch zu machen?
Van der Bellen: Am Anfang gibt es viel zu lernen. Man kennt nicht alle Räume, weiß nicht, wo wer sitzt, ich werde mich im Lauf der nächsten Wochen bemühen, das Haus näher kennenzulernen. Aber zum Glück gibt es ja die Menschen, die hier zum Teil seit Jahrzehnten arbeiten. Die werden tolerieren, wenn ich mal etwas falsch mache.

"Krone": Gab es schon ein kleines Hoppala?
Van der Bellen: In gewisser Weise, ja. Es wollten sehr viele Menschen zum Empfang in die Hofburg kommen, einige haben es dann aufgegeben, auf den Einlass zu warten, und sind nach Hause gegangen. Das tut mir leid.

"Krone": Fühlen Sie sich ein bisschen wie in einem Parallel-Universum?
Van der Bellen: Es ist tatsächlich vieles ungewohnt. Gestern habe ich sicher schon 500 Titelverleihungen unterschrieben. Ökonomierat, Kommerzialrat, Studienrat, Oberstudienrätin ... Dafür braucht es offenbar den Bundespräsidenten. (lacht) Da weiß man, in welchem Land man sich befindet.

"Krone": Wie interpretieren Sie, dass die FPÖ Ihnen am Donnerstag den Applaus im Parlament mit steinernen Minen versagt hat?
Van der Bellen: Bei der Gelöbnisformel steht der Bundespräsident ja mit dem Gesicht zum Präsidium und weiß nicht, was hinter seinem Rücken passiert. Später, als ich ins Publikum geschaut habe, sind mir natürlich die unterschiedlichen Gesichtsausdrücke aufgefallen. Aber das hat mich nicht gestört. Jeder muss wissen, ob er über seinen Schatten springen kann oder nicht.

"Krone": Wie haben Sie es also interpretiert?
Van der Bellen: Vielleicht so: Sie haben den 4. Dezember noch nicht ganz verwunden.

"Krone": Apropos FPÖ: Norbert Hofer hatte im Wahlkampf angekündigt, die Feier zum Abschluss des Ramadan in der Hofburg zu streichen. Wie halten Sie es damit?
Van der Bellen: Ich halte strikte Neutralität gegenüber den anerkannten Religionsgemeinschaften für etwas Selbstverständliches. Christen, Muslime, Juden. Ich freue mich auf alle Kontakte.

"Krone": In dieser Woche gab es mehrere Terror-Razzien in Österreich. Macht Ihnen das Sorgen, dass der Terror unserem Land so nahe gekommen ist?
Van der Bellen: Ich würde es für naiv halten zu glauben, Österreich sei kein Terrorziel. Dafür gibt es keine Garantie. Aber das Innenministerium tut sicher sein Bestes, mögliche Gefahrenquellen rechtzeitig aufzuspüren. Natürlich macht einem das Sorgen. Aber die Sorge darf nicht so weit gehen, dass wir plötzlich auf unsere Freiheiten verzichten aus Angst. Wir müssen das Notwendige tun, um nicht in Angst und Schrecken zu erstarren.

"Krone": In Ihrer Antrittsrede war sehr viel von Zuversicht die Rede. Was hilft uns die Zuversicht, wenn junge Menschen von Hasspredigern auf einen falschen Weg gelockt werden und für Werte kämpfen, die im Widerspruch zu allem steht, was unsere Gesellschaft ausmacht?
Van der Bellen: Wir sollten uns der Größenverhältnisse bewusst sein. Die allermeisten Jugendlichen sind auf einem guten Weg, beruflich und ideologisch, und dann gibt es einen kleinen Promillesatz, auf die wir aufpassen müssen. Ja, da darf man nicht blauäugig sein, das stimmt schon.

"Krone": Relativierung hilft?
Van der Bellen: In richtige Relation setzen hilft immer.

"Krone":Bei Ihrer Angelobung brachten Sie humoristische und sogar romantische Seiten Ihrer Person zum Schwingen. Der leuchtende Sternenhimmel, war das die Idee Ihres Redenschreibers?
Van der Bellen: An so einer Rede arbeiten mehrere gut befreundete und sehr kompetente Menschen, auch ich. Der Sternenhimmel stammt aus einem Krimi des schottischen Autors Ian Rankin. Auf dem Klappentext seines neuesten Romans steht ein Gedicht. "I have loved the stars too fondly, to be fearful of the night." Frei übersetzt: "Ich liebe die Sterne zu sehr, um mich vor der Dunkelheit zu fürchten." Das hat mich inspiriert.

"Krone": Werden Sie auch, wie Barack Obama, trotz Bundespräsidentschaftsamt viele Bücher lesen?
Van der Bellen: Da bin ich nicht so optimistisch. Aber ich möchte natürlich viel lesen.

"Krone": Wie viele Bücher haben Sie im langen Wahlkampf gelesen?
Van der Bellen: Also Rankin. Ein ziemlich düsteres Buch, nebenbei gesagt. Und den neuesten Grisham. Eigentlich sind es immer Justizgeschichten, die mich fesseln.

"Krone": Herr Bundespräsident, am Tag Ihrer Angelobung fuhr eine Limousine nach der andern ins Kanzleramt zu Krisensitzungen der Regierung. Sie sind noch immer im Gang. Wäre es vielleicht besser gewesen, das formale Rücktrittsangebot anzunehmen?
Van der Bellen: Nein. Erstens ist das eine Tradition mit einem verfassungsrechtlichen Hintergrund, zweitens hoffe ich sehr, dass die laufenden Verhandlungen zwischen den beiden Regierungsparteien von einigem Erfolg gekrönt sein werden.

"Krone": Seit Tagen wird über Neustart oder Neuwahlen diskutiert. Glauben Sie wirklich, dass diese Regierung noch zu retten ist?
Van der Bellen: Ja.

"Krone": Ist da wieder die Zuversicht am Werk?
Van der Bellen: Die Zuversicht überwiegt grundsätzlich bei mir. Ich denke, es wird der Koalition doch gelingen, in einigen wichtigen Punkten Einigung zu erzielen.

"Krone": Kanzler Kern hat sogar eine geplante Israel-Reise abgesagt: Hat er mit seiner Rede der Nation und dem darauffolgenden Ultimatum an die ÖVP zu hoch gepokert?
Van der Bellen: Poker ist ein Geschicklichkeitsspiel, aber auch ein Glücksspiel. Solche Verhandlungen gehen schon wesentlich über ein Pokerspiel hinaus. Ich glaube, die Koalition muss rasch Gewissheit schaffen.

"Krone": Verstehen Sie den Unmut der Bevölkerung, die möchte, dass die Regierung arbeiten und nicht streiten soll?
Van der Bellen: Ja, diesen Unmut kann ich schon verstehen. Ich würde sagen, die Regierung soll arbeiten. Das heißt: sich rasch auf bestimmte Punkte einigen und diese dann im Parlament auch umsetzen.

"Krone": Wie lange geben Sie der Koalition noch Zeit?
Van der Bellen: Ich denke, wir werden am Sonntagabend oder Montag Ergebnisse haben. Aus meiner Sicht stelle ich hier keine Bedingungen, aber so intensiv, wie jetzt verhandelt wird, bin ich optimistisch.

Alexander Van der Bellens Sprecher Reinhard Pickl-Herk zeigt mahnend auf die Uhr. Die 20 Minuten sind gleich um. Der Bundespräsident nimmt seelenruhig einen Schluck Kaffee aus der rot-weiß-goldenen Mokkatasse.

"Krone": Ihr Kollege im Weißen Haus ist gerade dabei, Amerika und auch die Welt mit der Brechstange zu verändern. Wenn er jetzt zur Tür hereinkäme, was würden Sie ihm sagen?
Van der Bellen: "Welcome Mister President! You will love this city." Wir könnten ihm bestimmt viel Schönes zeigen in Österreich.

"Krone": Würden Sie Donald Trump nicht die Leviten lesen wollen?
Van der Bellen: Leviten lesen ist nicht Aufgabe des österreichischen Bundespräsidenten. Wir sind ein neutrales Land, das an guten Beziehungen mit allen Ländern interessiert ist. Aber natürlich wäre es dumm, nicht zu sagen, was die ganze europäische Union mit Sorge erfüllt.

"Krone": Macht Ihnen sein Stil Sorge?
Van der Bellen: Nun, meiner ist es nicht … Es geht aber weniger um den Stil als um bestimmte Inhalte. Ich halte es zum Beispiel für ganz gefährlich, das Pariser Abkommen zum Klimawandel infrage zu stellen. Alle Welt ist sich einig, dass das eine der größten Herausforderungen unserer Zeit ist. Das erfüllt mich sehr wohl mit Sorge.

"Krone": Was soll man in sechs Jahren über Alexander Van der Bellen sagen?
Van der Bellen: Ich habe Leute auf der Straße sagen gehört: "Schau, da geht unser Bundespräsident!" Das finde ich ein schönes Bild. Also vielleicht: "Er war unser Bundespräsident", mit Betonung auf "unser". Oder noch besser: "Er war unser aller Bundespräsident und er hat dazu beigetragen, dem Land wieder mehr Zuversicht zu geben."

Seine Karriere: Geboren am 18.1.1944, seine Eltern müssen nach der Oktoberrevolution aus ihrer Heimat vor den Sowjets fliehen. Zunächst nach Estland, am Ende landen sie in Tirol. Van der Bellen studiert in Innsbruck Volkswirtschaft, geht dann nach Berlin und lehrt ab 1999 in Wien. Von 1997 bis 2008 ist er Bundessprecher der Grünen, 2012 bis 2015 Wiener Gemeinderat. In zweiter Ehe mit Doris Schmidauer verheiratet, aus der ersten Ehe hat Van der Bellen zwei erwachsene Söhne und vier Enkelkinder.

Conny Bischofberger, Kronen Zeitung

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