"Diktatur" Erdogans?

Türkei: Erster Schritt zum Präsidialsystem

Ausland
27.12.2016 13:17

Die Verfassungskommission des türkischen Parlaments hat erste Artikel der von Staatschef Recep Tayyip Erdogan forcierten Verfassungsreform für ein Präsidialsystem trotz wütender Proteste aus der Opposition angenommen. Die ersten beiden von insgesamt 21 Artikeln seien in einer Sitzung in der Nacht auf Dienstag abgesegnet worden, meldete die staatliche Nachrichtenagentur Anadolu. Die Reform würde Erdogan deutlich mehr Macht verleihen und das Parlament schwächen. Die Opposition befürchtet eine "Diktatur" in der Türkei.

Sollte die Verfassungskommission alle Artikel der geplanten Reform annehmen, muss das Parlament darüber entscheiden. 330 der 550 Abgeordneten sind notwendig, um eine Volksabstimmung, mit der die Regierung im Frühjahr rechnet, abzuhalten. Die islamisch-konservative Regierungspartei AKP und die kleinste, ultranationalistische Oppositionspartei MHP hätten dafür gemeinsam eine ausreichende Mehrheit. Die beiden anderen Oppositionsparteien - die Mitte-Links-Partei CHP und die prokurdische HDP - laufen Sturm gegen die einschneidende Reform.

Präsident soll auch Premier werden
Laut dem Entwurf der AKP soll der Präsident nicht nur Staats- sondern auch Regierungschef werden. Das Amt des Ministerpräsidenten würde damit entfallen. Der Präsident würde künftig nicht mehr vom Parlamentspräsidenten vertreten, sondern von einer vom Staats- und Regierungschef zu bestimmenden Zahl an Vizepräsidenten. Das Staatsoberhaupt wäre für die Ernennung und Absetzung seiner Stellvertreter und der Minister zuständig.

Weiters soll der Präsident Dekrete mit Gesetzeskraft erlassen können, die mit Veröffentlichung im Amtsblatt in Kraft treten. Eine nachträgliche Zustimmung durch das Parlament - wie im derzeit geltenden Ausnahmezustand - ist im Entwurf nicht vorgesehen. Die Dekrete würden unwirksam, falls das Parlament zum Thema des jeweiligen Erlasses ein Gesetz verabschiedet. Per Dekret soll der Präsident auch Ministerien errichten, abschaffen oder umorganisieren können.

Das Parlament und der Präsident würden künftig am selben Tag für die Dauer von fünf Jahren vom Volk gewählt, und zwar erstmals am 3. November 2019. Die gleichzeitige Wahl erhöht die Wahrscheinlichkeit, dass der jeweilige Präsident über eine Mehrheit im Parlament verfügt. Die Amtsperioden des Präsidenten blieben auf zwei beschränkt, die Zahl der Abgeordneten würde von 550 auf 600 steigen. Parlamentarische Anfragen gäbe es nur noch zu - im Entwurf nicht näher definierten - bestimmten Themen und nur an die Vizepräsidenten und Minister.

Mehr Einfluss auf die Justiz angestrebt
Der Präsident soll auch mehr Einfluss auf die Justiz bekommen. Im Rat der Richter und Staatsanwälte würde er künftig fünf der zwölf Mitglieder bestimmen, das Parlament zwei weitere. Bisher bestimmen Richter und Staatsanwälte selbst die Mehrheit der derzeit noch 22 Mitglieder des Rates. Das Gremium ist unter anderem für die Ernennung und Beförderung von Richtern und Staatsanwälten zuständig.

Schließlich würde der Präsident weiterhin Oberbefehlshaber der Streitkräfte bleiben. Der Zusatz allerdings, dass er diese Aufgabe im Auftrag des Parlaments ausführt, würde entfallen.

Besorgnis über Erdogans autoritären Kurs
Erdogans zunehmend autoritärer Kurs sorgt vor allem im Westen für große Besorgnis. Seit dem gescheiterten Militärputsch vom 15. Juli geht der Präsident noch schärfer als zuvor gegen seine Kritiker vor. Rund 35.000 Menschen wurden bisher verhaftet, Zehntausende weitere aus dem Staatsdienst entlassen. Erst am Montag war bekannt geworden, dass sogar der Kantinenbetreiber der regierungskritischen Tageszeitung "Cumhuriyet" wegen "Beleidigung des Staatschefs" festgenommen wurde. Grund: Der Mann hatte erklärt, er würde Erdogan keinen Tee servieren.

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