"Krone"-Interview

Voodoo Jürgens: “Ich suche den Mainstream nicht”

Musik
12.12.2016 14:41

Im Windschatten von Wanda und Co. hat sich der Tullner (Anti)-Folk-Musiker Voodoo Jürgens 2016 zum Liebling der heimischen Musikszene gemausert. Sein Debütalbum "Ansa Woar" landete auf Platz eins der Albumcharts, der verspielte Leierkasten-Hit "Heite grob ma Tote aus" tönte bis weit nach Deutschland hinein und brachte ihm prestigeträchtige Features in renommierten Musikmagazinen. Wir trafen den sympathischen, offenen und angenehm entspannten Liedermacher im kultigen Café Weidinger. Einem Beisl, das wie für Jürgens und seine aus dem Wiener Herzen gegriffene Musik gemacht wurde.

(Bild: kmm)

Krone": Voodoo, im Herbst warst du auf einer Mittelmeer-Kreuzfahrt mit Wanda, dem Nino aus Wien und Fuzzman. Wie war das?
Voodoo Jürgens: Ich kenne alle länger und es war klar, dass ich da mitfahre und das lustig wird. Das Schiff war so groß, das sich alles ein bisschen verloren hat. Ich habe zum Beispiel nicht telefonieren können, deshalb hat es immer ein paar Stunden gedauert, bis sich alle wiedergefunden haben. Aber es machen nicht nur alte Menschen Kreuzfahrten. (lacht) Wenn man eine Karte kriegt, wo die Getränke gratis sind, ist das immer ein bisschen fatal.

Und du hast eine bleibende Erinnerung davon mitgebracht.
In Barcelona habe ich mir einen Anker auf den Unterarm tätowieren lassen. Der hat das so tief gestochen, dass es noch immer nicht verheilt ist. Das schaut mehr wie ein Narbe aus. (lacht) Mein Plan war ursprünglich, mich in Marseille tätowieren zu lassen, aber Barcelona war der erste Halt und ich dachte dann, ich mache eines in jedem Hafen. Das war eine gute Entscheidung, denn in Marseille kam ich eh zu nichts.

Gleichzeitig landete dein Debütalbum "Ansa Woar" auf Platz eins der heimischen Albumcharts. Das hat sich so niemand erwartet.
Überhaupt nicht, nein. Mit so etwas spekuliere ich auch nicht. Ich wollte eine Platte machen, die mir gefällt. Man hat dann gemerkt, dass es ein paar Leuten ebenfalls gefällt, aber keiner meinte, dass das groß wird. Wenn das aber jeder Zweite sagt, dann wird es doch mehr. (lacht)

Was waren deine ersten Gedanken, als du diese Frohbotschaft vernommen hast?
Für mich ist das eher absurd. Es kam einfach sehr unerwartet. Ich kann das gar nicht wirklich einordnen. Ich habe schon davor sehr viele Konzerte gespielt. Ich war bekannt dafür, dass ich drei Mal die Woche in Beisln auftrete und jetzt wird halt alles größer. Das bedeutet aber nicht, dass es gleichzeitig super ist. Ich spiele viel lieber in kleinen Hütten, wo nicht jeder für mich da ist, um zu schauen, ob man durchkommt oder nicht. Das Publikum dort ist härter und kritischer - das macht mir Spaß. Ich habe mich mit einer Gitarre in den Zug gesetzt und mich wo aufgebaut, mehr war nicht nötig. Jetzt spiele ich eben mit Band und alles wird größer und anonymer. Derzeit spiele ich noch in kleinen Locations und freue mich darauf, aber wir müssen schauen, wo das hinführt.

Verunsichert dich deine rasante Popularitätssteigerung?
Das nicht. Ich befinde mich in einem Rahmen, den ich noch vertreten kann. Mein Interesse liegt nicht darin, Stadion-Rock zu machen. Derzeit ist es noch okay, aber ich will jetzt nicht unbedingt noch mehr toppen. Ich will eher eine Konstante finden, wo ich das machen kann, was ich liebe, ohne dass die Platte irgendwie anders klingen muss. Viele haben ja den Plan größer zu werden, ich will eher so weiterarbeiten und einen Kreis von Leuten aufzubauen, denen meine Musik wirklich taugt.

Für den größten Popularitätsschub sorgten FM4, die deinen Song "Heite grob ma Tote aus" im Akkord spielten. Interessant finde ich, dass es bei weitem nicht dein persönlicher Favorit des Albums ist.
Das Lied geht nach dem Schema Strophe/Refrain und ist eingängiger als der Rest. Ich habe schon verstanden, warum es bei den Menschen gut funktioniert. Wenn etwas mehr Wiedererkennungswert hat, dann gefällt das den Leuten. Auf einem Album ist im besten Fall aber beides drauf - eingängige Nummern als auch sperrigere. Den Mainstream suche ich damit aber nicht. Wenn etwas so gut ist, dass es den Mainstream erreicht, dann freut mich das. Ich sitze mit ein paar Freunden zusammen und mache, was mir Spaß bereitet und genau so etwas schlägt dann in den Charts eine massive Popproduktion, an der drei Leute mitgeschrieben haben - aus dieser Sichtweise ist das natürlich sehr cool. Die Frage ist eher, wie man auf dem nächsten Album damit umgeht. Wie sehr lassen dich die Leute dann noch werken, oder mischen sich ein? (lacht)

Inspiriert wurde der Song von deiner damaligen Arbeit am Matzleinsdorfer Friedhof?
Da kam ich eher im Nachhinein drauf. Ich habe sowieso eine leichte Faszination für morbide Sachen. Eine Zeit lang hatte ich ein Kuriositäten-Zimmer, wo laute ausgestopfte Tiere drinnen waren. (lacht) Der Tod an sich ist einfach ein Thema, das jeden beschäftigt und mit dem sich jeder identifizieren kann. Ich mag Themen, die nicht gleich so angenehm sind, aber relevant.

Du hattest viele Jobs neben der Musik - was war denn der schlimmste davon?
Eigentlich der normalste. (lacht) Ich habe eine Zeit lang Konditor gelernt und im dritten Lehrjahr abgebrochen. Das passierte aber nicht, weil der Job so schlecht wäre, sondern weil ich extrem unzufrieden war. Ich habe das erste Mal kapiert, dass es nicht meine Welt ist und ich was ganz anderes machen will. Ich habe mit 15 die Lehre begonnen und dann bemerkt, dass ich in der Schule doch hätte mehr Gas geben sollen. Meine Freunde sind alle weiter Schule gegangen und haben irgendetwas mit Kunst gemacht. Das war anfangs nie auf meinem Schirm. Ich wollte nur raus und mein eigenes Geld verdienen - aber dann dämmerte mir, dass der Job nicht meins ist. Diese Neuorientierung war schwierig.

Du bist aus Tulln und erst später nach Wien gezogen - dennoch hat man das Gefühl, dass du die Wiener Volksseele perfekt, nahezu originalgetreu einfangen kannst.
Das hat damit nichts zu tun. Weder Ambros, noch der Karl Merkatz sind echte Wiener. Tulln ist auch nicht wahnsinnig weit von Wien weg. Wir fuhren früher immer wegen allem nach Wien, aber beim Dialekt sind da wirklich nur Nuancen unterschiedlich. Ich spreche aber ohnehin meinen Dialekt und habe ihn mir nicht angelernt, dass er Wienerisch klingt. Ich bin schon so lange hier, wie ich früher in Tulln war und da saugt man vieles auf.

Warum passt das Dunkle, das Morbide eigentlich so gut zu Wien und seinem Umkreis?
Ich weiß nicht, ob das so speziell ist. Wenn ich mir einen Tom Waits oder einen Nick Cave anhöre, haben sie das Morbide genauso drinnen. Jede Großstadt hat eine düstere Seite. Viele Flüchten dorthin, um sich etwas aufzubauen und scheitern immer wieder. Das ist ein bitterer Beigeschmack, den ich nicht nur auf Wien projizieren würde.

Welche Beziehung hast du selbst zu Wien?
Wir zwei sind eigentlich ganz glücklich miteinander. (lacht)

Und wie sieht es mit Tulln aus?
Das ist eher eine schwierige Geschichte. Ich freue mich schon, wenn ich ab und zu dort meine Runden drehe und die Nostalgie an jedem Eck aufpoppt, aber andererseits bin ich auch fertig damit. Als Kind ist es leiwand, in so einer Kleinstadt groß zu werden, weil du einfach mehr Auslauf hast und viel freier agieren kannst. Mir war aber immer klar, dass ich mehr sehen will. Dass es Wien wurde, hat sich so ergeben. Eine Zeit lang habe ich gedacht, das wäre hier eine Zwischenstation auf dem Weg in eine noch größere Stadt. Ich mag Großstädte - und wenn woanders, dann eher ganz aufs Land als in eine Kleinstadt. Varianten wären für mich Berlin oder Hamburg gewesen - sonst London oder New York.

Vorband von den Libertines, Popfest, ausverkaufte Album-Release-Show im Wiener Flex. Was war das allergrößte Highlight für dich auf diesem Sektor?
Das war sicher die Release-Show. Die Platte war schon ein Jahr fertig und es war für alle so dringlich, dass sie rauskommt. Es hätte ja schon im Frühling passieren sollen, aber dann verschoben sich ein paar Dinge. Dass die Hütte voll war, war super. Ich habe dort auch mal gearbeitet und bin viel fortgegangen, das war schon etwas Besonders für mich.

Du bist seit vielen Jahren mit Libertines-Frontmann Pete Doherty befreundet. Woher kennst du ihn so gut?
Der hat damals im Flex gespielt und dort lernten wir uns an einem feuchtfröhlichen Abend kennen. Er kennt in Graz jemanden gut und wenn er in Wien war, hat er sich per Mail bei mir gemeldet.

Du bist ein hervorragender Beobachter des Beisl-Milieus, besingst auch Strizzis und urige Charakter. Kann man mit dieser Themenpalette langfristig über Ostösterreich hinausstrahlen?
Es sagt niemand, dass ich nur solche Sachen machen muss. Jetzt ist es gerade so, aber es war nie auf meinem Schirm, dass sich Leute in Deutschland für meine Musik interessieren. Musik kann aber solche Barrieren überwinden. Vielleicht ändert sich da wirklich viel, allgemein in punkto Dialektmusik. Es ist ein bisschen absurd, denn Dialekte sterben bei uns aus. Die jungen Menschen verlernen das zusehends, weil Lehrer, als auch das Fernsehen hauptsächlich auf Hochdeutsch stattfinden. Die Jugend heute kombiniert ihre Sprache eben gerne mit Anglizismus. Das Wort "nice" zum Beispiel brauch ich überhaupt nicht. (lacht) Aber es ist auch okay und ich merke, dass ich alt werde.

Bei deiner alten Band The Eternias warst du viele Jahre englischsprachig unterwegs - warum hast du das dann geändert?
Für mich war das kein so großer Bruch. Wir waren damals vier Freunde, die eine Band gegründet haben und alle Einflüsse nachspielen wollten: Nirvana, Libertines, Strokes. So größenwahnsinnig wie man in jungen Jahren ist, wollten wir damit in die Welt hinaus und haben nicht explizit daran gedacht, ob das jetzt Deutsch ist. Wir haben uns vorgestellt, dass sie uns in die USA einladen und uns gefälligst verstehen sollen. Dass es aber eher Hauptschulenglisch war und das niemanden interessiert, das haben wir als Option natürlich nie in Betracht gezogen. (lacht) Es war aber eine gute Schule und der Text war damals nicht im Vordergrund. Das ist bei englischer Musik ja oft so. Es geht dort viel stärker um Melodien als um Inhalte - vor allem im Mainstream. Dialektsachen haben mich aber immer interessiert und ich habe nebenbei schon Sagen, Kinderreime etc. aufgeschrieben. Mit 20 hätte ich mir das aber nicht vorstellen können und es musste damals auch nicht sein.

Es ist dann doch etwas skurril, dass das Wienerische jetzt auch international funktioniert, es mit dem Englischen aber nicht klappte.
Einerseits skurril, andererseits macht es aber auch Sinn, weil ich im Dialekt am Echtesten und am Authentischsten bin. Im Sommer war ich in Griechenland auf einem Campingplatz und da war eine Partie, die hat griechische Volkslieder gespielt. Wir kamen ins reden, jeder spielte seine Songs und irgendwann war die Rede von einem gemeinsamen Song auf Englisch und wir sind draufgekommen, dass das völlig unnötig wäre. Ob wir jetzt schlecht "Blowin' In The Wind" runterrattern, ist egal - das braucht ja kein Mensch. (lacht) Eros Ramazzotti oder Manu Chao funktionieren international auch, weil sie authentisch sind.

Weil du vorher die Melodieverliebtheit der US-Mainstream-Künstler angesprochen hast - dir geht es offensichtlich noch eher um den Text, als um die Musik?
Bei diesem Projekt entstand der Text als erstes. Ich habe drei Monate lang nur geschrieben und manchmal gab die Sprachrhythmik die Melodie schon vor. Andererseits klimpert man auch manchmal herum und die Melodie entsteht vorher, umgekehrt habe ich es aber lieber.

Als Voodoo Jürgens wirst du aber auch weiterhin Dialektmusik machen?
Ich habe jetzt etwas gefunden, in dem ich mich wohlfühle. Ich habe hier noch viele Ideen und kann mich darin auslassen. Ich will mich aber nicht so einschränken, dass ich jetzt ewig nur das mache. Vielleicht mache ich mal ein Album auf Hochdeutsch, ich habe auch früher schon solche Lieder geschrieben. Ich will aber nichts Berechnendes für den deutschen Markt machen, das ist nicht mein Ziel.

Du bist aber mittlerweile so bekannt, dass es nicht mehr so einfach ist, eine radikale Kehrtwende zu machen.
Von dem her ist es wohl gescheiter, wenn das nächste Album ganz anders wird, als Befreiungsschlag. Wenn den Leuten etwas gefällt, ist man natürlich schnell gefangen. Als Künstler sollte man aber niemals den sicheren Weg gehen, sondern sich selbst fordern. Zehn Alben gleich zu machen, weil es funktioniert, das würde ich mir selbst nicht verzeihen.

Bist du bereits dabei, für das nächste Album zu schreiben? Denkst du schon an den Nachfolger zur "Ansa Woar"?
Im Kopf schon, aber bislang ging sich nicht mehr aus. Bei der letzten Platte hat es gut funktioniert, dass ich mich drei Monate komplett aus allem rausnahm, deshalb will ich das so wiederholen, aber ich hatte bislang noch keine Zeit dafür. Derzeit trage ich das Material raus und spiele viele Konzerte, was mir auch am meisten Spaß macht - aber irgendwann muss ich mich wieder zurücknehmen und schreiben. Das hat noch etwas Zeit.

Auf dem Cover-Artwork des Albums ist dein Vater zu sehen. Wie kamst du auf diese Idee?
Gute Frage. Der Papa hat mich mit seinem Spruch schon sehr inspiriert. Die Idee war schon früh da, dass ich ihn als Hinterwäldler inszeniere. (lacht)

Ihr hattet ja auch mal eine schwierige Phase miteinander, die in eine längere Funkstille mündete.
Was es dazu zu sagen gibt, ist in dem dazupassenden Lied verpackt. Es geht darum, dass vielen Leuten Dinge passiert sind, die unangenehm sind und die medial aufgebauscht wurden. Es hatte für uns beide Konsequenzen und ich möchte es nicht weiter ausschlachten. In dem Song musste ich das für mich loswerden. Hätte ich damals gewusst, welche Kreise das zieht, hätte ich das Lied vielleicht gar nicht aufs Album gegeben.

Gab es einen bestimmten Punkt, wo du wusstest, dass du als Voodoo Jürgens agieren würdest?
Prinzipiell war es so, dass ich ca. zehn oder zwölf Jahre die Eternias hatte. Als es auseinanderbrach, war es nicht leicht, es war wie eine Beziehung. Ich fiel dann in ein Loch und wusste, dass ich für mich erkennen muss, dass es mit der Musik nichts mehr wird. Das Voodoo-Ding hatte ich schon vorher gestartet, aber das entstand dauerhaft eher aus dem Verarbeitungsprozess. Im Endeffekt war es ein glücklicher Zufall. Ich hatte dann erste Lieder und jemand fragte mich, ob ich am Westbahngelände ein Konzert spielen will. Danach kam alles ins Rollen, ich wurde einfach weitervermittelt, wie bei einem Schneeballeffekt. Ich habe von Anfang an gespürt, dass sich hier mehr tut als bei den Eternias und das war für mich selbst sehr neu.

Steckt außer dem veränderten Pseudonym irgendetwas anderes von Udo Jürgens in deiner Kunst?
Ich glaube nicht. Ich habe mich mit dem Udo als Person nie auseinandergesetzt. In seinem Fach war er natürlich großartig, aber für mich ist es nicht mehr als ein Namensgag gewesen. Es kamen schon Leute auf die Idee, dass ich in einen Bademantel schlüpfen soll, aber das ist mir zu viel und das braucht es auch nicht. Als er starb, bekam der ganze Name eine andere Bedeutung, aber darauf zielte ich nie ab.

Ist das "Voodoo" im siebenten Wiener Gemeindebezirk eines deiner Lieblingslokale?
Naja. Ich bin jetzt nicht unbedingt Stammgast, schau aber schon ab und zu vorbei. Es gibt aber eine witzige Geschichte dazu. Früher gehörte das Lokal einer Burgenlandrunde und als ich 16 oder 17 war, bin ich mit einem guten Freund da rein. Ihm hat die Tochter der Besitzerin so gut gefallen und irgendwie musste ich dann mit der Besitzerin Armdrücken, während er mit der Tochter abgezogen ist. Ich bin ja nicht so die Kante und die ging davon aus, dass sie mich putzt wie nix, aber ich hab sie dann doch geschlagen. (lacht) Die hat das so ausgespielt, dass ich den ärgsten Respekt hatte, aber es ist sich alles ausgegangen.

Hat sich deine Privatperson schon sehr stark mit dem Voodoo verschmolzen, oder kannst du das noch unterteilen?
Das kann ich schon noch unterteilen. Man überlegt sich natürlich, wo die Unterschiede liegen, weil man immer mehr in die Figur hineinwächst. Je mehr ich Voodoo Jürgens wurde, umso mehr Hemdknöpfe sprangen auf. Als Privatperson renne ich halt mit dem Jogginganzug herum, das würde ich als Voodoo nicht machen. Es ist aber wichtig, dass es noch ein paar klare Trennlinien gibt.

Was geht eigentlich in dir vor, wenn der "Rolling Stone" seine Kritik mit "Dylan meets Waschweib" zusammenfasst?
Darüber habe ich mich sehr gefreut, das ist ein gutes Feedback. Noch dazu soll der Redakteur ein Grantler sein, dem fast nichts taugt - insofern bin ich schon happy darüber. Viele haben mit dem Album nichts anfangen können und alles zerrissen. Es kam in der gleichen Woche auch ein Artikel heraus, der fast schon zu viel, weil persönlich, war. Wenn jemand etwas Negatives über dich schreibt, dann beschäftigt dich das einfach mehr - es ist blöd, aber auch nicht zu ändern.

Schlechte PR ist besser als gar keine PR.
Das stimmt, aber im Endeffekt tut einem weder das Übereuphorische, noch das Ultranegative gut. Auch die Lorbeeren muss man in Relation setzen. Wenn man glaubt, man wäre der beste, dann stockt einem die Kreativität. Ich finde, man muss sich seinen Biss behalten.

Du hast wortwörtlich gesagt, dass du deine "Fresse nicht auf jedem Magazincover" sehen möchtest. Wo findest du in diesem Bereich dein gesundes Mittelmaß?
Das weiß ich selbst noch nicht so wirklich. (lacht) Sobald etwas größer wird, wollen immer viele Leute mit Werbung aufspringen. In erster Linie soll aber bei mir schon alles so sein, was es ist. Ich möchte nur mit dem Auftrag der Musik etwas darüber sagen, das ganze Drumherum interessiert mich nicht. Man muss für sich schon aussortieren und in diesem Fall ist es so, dass ich die Platte rausgebracht und unter die Leute gestreut habe, aber ich will zukünftig nicht in jeder Klatschspalte zitiert werden. Viele Leute haben sich dafür entschieden, nur bei einer neuen Platte etwas zu sagen und sich sonst aus den Schlagzeilen zu nehmen. Man muss auch nicht rausposaunen, was man nicht macht oder ignoriert.

Als politisch interessierter Mensch - wie weit willst du mit deiner Kunst in diesem Bereich künftig vordringen?
Das kommt immer auf die Zeiten an. Es gibt Leute, die einem so etwas übel nehmen, aber der Mensch an sich ist politisch. Ich kann das gar nicht wirklich weg lassen, es ist auch in meiner Musik drinnen. Es war nie mein Plan, dazu nichts zu sagen, nur weil ich jetzt mehr Erfolg habe. Ich bin der Meinung, dass man es rauslassen muss, wenn man was zu sagen hat.

Siehst du es als Person der Öffentlichkeit auch ein bisschen als deinen Auftrag an, klare Positionen zu beziehen und sich politisch zu artikulieren?
Das ist sicher nicht falsch. Ich habe hier eine Möglichkeit und Chance, Dinge mit einem gesunden Maß zu deponieren, die mir wichtig sind. Man kann die Popularität nutzen, um für gewisse Dinge einzutreten. Mir fällt da jetzt bei mir nichts Konkretes ein, aber der Grundgedanke ist sicher der richtige.

Du bist bekanntermaßen als "Do It Yourself"-Musiker großgeworden. Wie lange kannst du das mit steigendem Bekanntheitsgrad noch so durchziehen?
Das ist gar nicht so wichtig. Die Leute erwarten von einem immer, dass man sein Leben lang so weiterarbeitet. Wir haben zehn, zwölf Jahre alles selbst organisiert, was sehr mühsam war. Ab einer gewissen Größe ist halt die Frage, ob das ein kleines Label noch tragen kann oder nicht. Ich bin prinzipiell sehr neugierig und lasse mich auch von anderen Ideen überzeugen. Wenn mir die künstlerische Freiheit garantiert ist, könnte ich mir vorstellen, etwas bei einem größeren Label zu veröffentlichen. Wenn aber 1.000 Leute mitreden wollen, dann wird keiner der Beteiligten damit glücklich werden. So könnte ich nicht arbeiten und es wäre schwachsinnig. Leider rennt es oft so ab, aber den Spruch "never change a winning team" gibt es nicht umsonst.

Könntest du dir als Texter auch vorstellen, künftig Buchautor zu sein, oder Gedichte/Prosa zu verfassen?
Ein Buch mit Kurzgeschichten überlege ich mir, damit habe ich schon begonnen. Dafür braucht man aber viel Ruhe und muss einen Rhythmus für sich selbst finden. Das ist dann eher wie eine normale Hack'n - man muss sich da jeden Tag diszipliniert hinsetzen und schreiben.

Was war das bislang Skurrilste, das du in punkto Fans erlebt hast?
Auf der Kreuzfahrt habe ich in Bologna schon gemerkt, dass es bei Wanda eine ganze Liga anders ist. Das geht teilweise fast schon ins Stalkermäßige. (lacht) Da musst du schon aufpassen, wenn du dir nicht sicher sein kannst, ob nach einer Stunde nicht noch immer jemand hinter dir herrennt. Ich habe halt viel Beisl-Liveerfahrung. Dort passiert alles und selbst dir gutgesinnte Leute reißen da Aktionen, die dir in dem Moment meist alles andere als weiterhelfen. Zum Beispiel wenn dir jemand etwas drüberschüttet oder dich anschreit und das gut meint. So etwas ist absolut unberechenbar, aber irgendwie auch genial.

Fürchtest du dich davor, dass um dich herum ein Personenkult entstehen könnte?
Fürchten ist das falsche Wort. Es liegt schlussendlich aber ohnehin in meiner Hand. Wenn mir etwas zu viel wird, dann kann ich noch immer alles in der Luft zerreißen und aufhören. Privatsphäre ist einfach wichtig, denn solange man einen Raum für sich selbst findet, wo man nicht Voodoo Jürgens sein muss, solange wird es mir auch Spaß machen.

Wer den Senkrechtstarter Voodoo Jürgens bislang noch nicht live gesehen hat, kann sich in diesem Jahr noch ein paar wenige Shows gönnen. Am 22. Dezember spielt er im Innsbrucker Dogana, am 23. Dezember im St. Pöltner Warehouse und am 29. Dezember im Bertholdsaal in Weyer. Auch für 2017 sind schon zahlreiche Österreich-Livetermine anberaumt. Alle Gigs finden Sie unter www.voodoojuergens.com.

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