Adventkalender #8

Der Brief meiner Urgroßmutter…

Kärnten
08.12.2016 07:00

Um "einen kleinen Lichtblick in der dunklen Zeit" geht es in der Weihnachtsgeschichte von Laura Steindorfers Familie. Ihr Urgroßvater musste im Zweiten Weltkrieg kämpfen, lange warteten ihre Uroma und Oma auf ein Lebenszeichen von ihm. Lesen Sie die Geschichte, die sich hinter dem achten Türchen des "Kärntner Krone"-Adventkalenders versteckt:

Laura Steindorfer ist 16 und liebte es, im Advent den Geschichten ihrer Urgroßmama zu lauschen: "Das hier ist eine davon, eine ihrer Geschichten aus der Zeit des dritten Reiches: Sie blieb mir besonders in Erinnerung, weil meine Uroma sie sehr herzlich und immer und immer wieder in Tränen erzählt hat. Ich glaube fest, dass es eine ihrer Lieblingsgeschichten war, ein kleiner Lichtblick in der dunklen Zeit. Meine liebe Uroma hat mir diese Geschichte so oft erzählt, dass ich sie heute, hoffentlich, wahrheitsgemäß schildern kann." Die folgende Erzählung ist aus der Sicht von Lauras Oma, der Tochter der besagten Uroma, geschrieben. Sie hat Laura geholfen, die Geschichte aus ihren eigenen Erinnerungen so gut wie möglich zu rekonstruieren:

"Unsere Geschichte beginnt also im Dezember 1944. Es ist ist bitter kalt draußen und der kleine Ofen in unsrem Esszimmer gibt nicht viel Wärme ab. Meine Mutter wartet schon wieder auf den Postboten. Wie jeden Tag. Sie wartet jeden Tag auf den einen Brief, der eine Brief, der ihr sagen kann ob Papa noch lebt. Mein Papa ist nämlich im Krieg, er kämpft an vorderster Front. Er muss sehr tapfer sein, nur leider kann ich nicht mehr sagen, denn ich habe ihn noch nie zuvor gesehen. Wir haben seit Monaten kein Lebenszeichen mehr von ihm bekommen und Mutter ist nun schon sehr nervös. Sie wandert im Zimmer auf und ab aber ihr Blick verlässt nie das Fenster das zur Straße hinaus geht. Eigentlich müsste der Postbote gleich kommen, denn er kommt meistens um diese Zeit. Nach ein paar weiteren Runden geht Mama zum Fenster und haucht ein Loch in die vor Kälte zugefrorene Fensterscheibe. Ich gehe zu ihr und wir schauen gemeinsam auf die zerstörte Straße. Und da, im tiefen Schnee, können wir endlich die Gestalt des Postboten ausmachen. Er kämpft sich durch den Schnee und die übriggebliebenen Häuserreste auf unser Haus zu und meine Mutter rennt hektisch in den Hausflur und die Stiegen zur Eingangstür hinunter.

Ich bleibe stehen, ich will nicht schon wieder das enttäuschte Gesicht meiner Mutter sehen, wenn der Postbote nur traurig den Kopf schüttelt. Als er nach ein paar Minuten endlich vor der Tür steht und meine Mama ihn freundlich begrüßt, kann ich vom Fenster aus sehen, dass er etwas aus seiner Tasche heraus holt. Einen kleinen Umschlag, den Brief. Nun bin selbst ich gespannt und mache mich auf den Weg zu meiner Mutter, aber sie ist schneller. Mama steht nun wieder im Esszimmer und öffnet langsam und mit zitternden Händen den Brief. Sie beginnt zu weinen.

"Mama, warum weinst du? Was steht denn da drin?"

"Er lebt. Oh mein lieber Gott, er lebt!"

Ich verstehe nicht so recht warum meine Mutter deshalb weint, aber ich freue mich mit ihr dass mein Papa wohlauf ist. Sie liest den Brief immer und immer wieder und sie liest mir sogar einen Satz daraus vor: "Und 1000 Küsse an meine kleine Tochter Heidi." Damit musste ich gemeint sein und jetzt bin ich es, die vor Freude fast anfängt zu weinen. Mein Vater hat an mich gedacht! Selbst im Krieg konnte man ihm die Liebe nie nehmen, die er für uns empfand.

"Liebes, das ist das größte und beste Weihnachtsgeschenk", sagt meine Mama immer wieder mit Tränen in den Augen. Plötzlich aber ist dieser Moment des Glückes auch schon vorbei, und mir wird bitter kalt - Fliegeralarm! Sirenen heulen und meine Mama lässt alles stehen und liegen und nimmt meine kleine Schwester Monika auf den Arm, packt mich und flüchtet mit uns aus dem Haus. Ab da geht alles ganz schnell: Es donnert und es wird geschrien, meine Mutter hat gerade noch Zeit eine Tasche mit dem Notwendigsten zu schnappen, die immer an der Tür bereit steht, und zum Luftschutzbunker zu laufen. Und plötzlich, knapp vor unserem Ziel, bleibt Mama stehen. Sie schaut zur Tür des Bunkers und dann wieder in die Richtung unseres Hauses und läuft los. Aber nicht in die Richtung des Bunkers sondern nach Hause! Als wir wieder daheim sind, stellt sie Monika und mich im Flur ab und rennt die Treppe hinauf. Sie kommt gleich wieder mit einem kleinen Umschlag in der Hand.

"Jetzt dürfen wir keine Zeit mehr verlieren Mädels!" schreit meine Mama um das Donnern der Bomben zu übertönen. Also laufen wir. Als wir beim Bunker ankommen ist die Eisentür schon geschlossen und meine Mutter hämmert wie wild an der Tür. Sie schreit und klopft, aber zu spät, uns hört niemand mehr. Mama kauert sich nun auf den Boden, den Brief an ihr Herz gedrückt, und schiebt mich und meine Schwester zur Tür - sie schirmt uns mit ihrem Körper von der Außenwelt und allem Gefährlichem ab. Sie beginnt zu beten.

Ich weiß nicht mehr, wie lange wir so gekauert haben, aber plötzlich ging die Tür auf und ein Wachmann ließ uns hinein. Meine Mama schickte uns voran und ich konnte noch einen letzten Blick erhaschen, draußen fielen Bomben, direkt hinter uns.

"Wir haben sehr, sehr viel Glück gehabt", sagte meine Mama mir noch einige Male während wir auf das Entwarnungssignal warteten. Aber das war mir alles ganz egal, denn ich sah nur meine Mama mit ihrem Brief. Sie war so glücklich! Sie ließ den Brief nicht mehr los, sondern hielt ihn die ganze Zeit mit einem Lächeln im Gesicht fest an ihre Brust gedrückt."

***

Sie haben auch eine berührende Geschichte oder eine Lieblingserinnerung aus 2016 für unseren Adventkalender? Dann senden Sie diese bitte inklusive Querfoto(s) per Mail an clara-milena.steiner@kronenzeitung.at  . Alle Leser und Leserinnen, deren Weihnachtsgeschichten veröffentlicht werden, erhalten ein "Krone"-Schlagzeilenbuch als Dankeschön! :-)

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