Sprachanalyse

Was wollen uns die Kandidaten sagen, Frau Wehling?

Österreich
19.11.2016 16:55

Mit welchen Tricks arbeiten Hofer und Van der Bellen? Welche Fehler machen sie im Wahlkampf? Zwei Wochen vor der Wiederholung der Bundespräsidenten-Stichwahl analysiert die renommierte Sprachforscherin an der University of Berkeley, Elisabeth Wehling (35), Slogans, Phrasen und geheime Codes der beiden Hofburg-Anwärter.

Sie ist eine Pendlerin zwischen zwei Welten: Gerade ist Elisabeth Wehling wieder aus Europa in Kalifornien gelandet, wo die gebürtige Hamburgerin an der University of Berkeley lehrt. Die Linguistin gab einen Vortrag beim "Swiss National Science Fund" in Interlaken. Thema: "Framing in der Forschung" (unter Framing versteht man jene Deutungsrahmen im Kopf, die uns helfen, Fakten zu bewerten und einzuordnen; diese "Frames" werden durch bestimmte Wörter aktiviert ). "Wir haben hier 16 Grad, die Sonne scheint, und ich schaue mir gerade Fernsehauftritte von Hofer und Van der Bellen an", erzählt die Wissenschaftlerin, als wir am Freitagabend Wiener Zeit telefonieren. Die Sprache der Politiker ist ihr Hauptforschungsgebiet. Am Wahlabend wird Elisabeth Wehling übrigens als Expertin für Puls 4 in der Hofburg kommentieren.

"Krone": Frau Wehling, in Österreich ist der Wahlkampf in seine heiße Phase getreten. Sehen Sie Parallelen zwischen Trump/Clinton und Hofer/Van der Bellen?
Elisabeth Wehling: Auf jeden Fall, das ist gar nicht zu übersehen. Beginnen wir bei Hofer und Trump. Die haben eine Reihe ähnlicher Geschichten laufen. Auch Trump hat ständig betont: Ich kämpfe an eurer Seite gegen das Establishment! Hofer sagt zu Van der Bellen: Ich habe die Menschen hinter mir, Sie haben die Hautevolee. Leider nimmt Van der Bellen darauf immer wieder Bezug, damit sollte er tunlichst aufhören, weil er nur die Story von Hofer füttert.

Was läuft da noch?
Die Geschichte des Siegers. "I'm gonna win, I'm gonna win", das hat Trump immer wiederholt. Je öfter man sowas wiederholt, desto mehr glauben die Menschen daran. Das macht Hofer auch. Und dann natürlich die Lügenpresse. Und dass Hofer Van der Bellen vorwirft, gecoached zu sein, er selber aber sei ganz, ganz authentisch. Trump hat das einmal auf die Spitze getrieben und bei einer Wahlkampfveranstaltung den Teleprompter aus dem Ständer gerissen und gerufen: "Jetzt rede ich so, wie ich bin!"

Wem wird der überraschende Wahlsieg von Donald Trump eher helfen? Hofer, dessen Wähler nach Brexit und US-Wahl wissen: Es ist alles möglich. Oder Van der Bellen, der warnt: Schaut, was euch droht!
Hofer. Und zwar aus folgendem Grund. Bisher war der Rechtspopulismus in Europa ja ein bisschen pfui, dann kam der Brexit und es gab diesen Aufschwung der Nationalstaaten, die Stimmung gegen das Projekt EU machen. Dass jetzt ein Rechtspopulist der mächtigste Mann der Welt ist, legitimiert diesen Rechtspopulismus mit seinem Fremdenhass. Dieser Effekt wird auch in Österreich dazu führen, dass Menschen, die so denken, sich bekräftigt fühlen. Auch solche, die bisher noch eine Scheu hatten, sich für Hofer zu entscheiden.

Was heißt das für Van der Bellen?
Er muss die Menschen mobilisieren, überhaupt zur Wahlurne zu gehen. Eines seiner Plakate heißt ja: "Wählen, nicht wundern!" Diese Story wird er in den nächsten Wochen verstärkt fahren - zumindest müsste man ihm das raten. "Leute, wenn ihr nicht wählen geht, dann passiert das, was in den USA passiert ist." Das könnte er noch viel intensiver vertreten. Stattdessen macht Van der Bellen Fehler, die auch Hillary Clinton im Wahlkampf gemacht hat. Zum Beispiel zu viele Fakten aufzulisten, ohne eine überzeugende Geschichte dabei zu erzählen.

Wenn Sie eine Kernaussage formulieren müssten: Was wollen uns die beiden Kandidaten sagen?
Hofer sagt: "Österreich soll wieder auf sich schauen. Österreich und seine Bürger stehen an erster Stelle." Da ist diese ganz starke Fürsorge für die Seinen und die Abgrenzung gegen das Andere. Van der Bellen sagt: "Wir brauchen in Österreich den Zusammenhalt, das Ansehen in Europa und der Welt." Er stellt sich als Kandidat, der über die Grenzen Österreichs hinaus und innerhalb Österreichs vereint, der parteiübergreifend ist, wobei man ihm das natürlich nicht so ganz abnimmt.

Welche Tricks sind Ihnen als Expertin denn bisher aufgefallen?
Bei Hofer merkt man auf jeden Fall, dass er sehr gut trainiert ist. Er beantwortet wirklich mit Bravour Fragen einfach nicht. Aber dann hat er auch dieses Dauerlächeln. Das ist, vermischt mit seiner provokanten Art, einfach "too much". Das hat er auch nicht, wenn er vor seinen Leuten spricht. Und er arbeitet natürlich mit Manipulationen und Tricks, um zu provozieren, was ihn auch ein bisschen unsympathisch macht.

Fällt Van der Bellen darauf herein?
Van der Bellen hat eine klare Schwäche in seiner Kommunikation. Wenn er sich provoziert fühlt - und Hofer provoziert intensivst, um sein Gegenüber aus der Contenance zu bringen oder zu verwirren - dann verliert er die Form und argumentiert nicht mehr so sauber. Er verhaspelt sich auch schneller. Hofer hat das zuletzt auch mit Armin Wolf in der "ZiB 2" versucht. Irgendwann fragte er: "Kommt da jetzt gleich noch ein Einspieler?" Er wollte Wolf verwirren, im Sinne von: "Haben Sie da nicht was vergessen? Was ist los mit Ihnen, Herr Wolf?"

Was macht Van der Bellen mit Bravour?
Er ist der Programmatischere von beiden, bietet Lösungsansätze, überblickt das Systemische an der Europäischen Union, propagiert sinnvolle Steuergesetze, sinnvolle Sozialpolitik. Prinzipiell ist er der Wohlwollendere Österreich gegenüber und der Welt.

Aber?
Aber er geht zu oft in Eventualitäten hinein, schwächt ab, weicht aus. "Das wissen die Götter" sagt er gern. Oder "Das muss man sehen, das bleibt abzuwarten." Das ist keine klare Kommunikation, er lässt damit zu viel Raum für Angriffe. Van der Bellen vermittelt viel zu wenig: Wer ist er als Mensch und wieso tut er Österreich gut?

Ist es zielführend, das Gespenst der "blauen Republik" an die Wand zu malen?
Schon, aber der misslungene "Alpen-Mordor" war sicher nicht die beste Strategie.

FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache konterte: Die Aussagen Van der Bellens seien "peinlich", der Ex-Grüne "entwickelt sich zum Gollum". Was sagen solche Vergleiche über die politischen Akteure?
Dass sie im Prinzip machen, was wir in den USA gesehen haben: Negative Campaigning. In der Regel funktioniert die Idee des Abwertens des Gegenübers und des Nicht-Würdigens von Menschen, die anderer Meinung sind, und die daraus entstehende Agitation gegen andersgläubige Menschen eher für den populistischen Flügel. Menschen der Mitte wird man damit nicht abholen, denn die wollen ein respektvolles Miteinander. Dieser Grundrespekt und dieses Grundwohlwollen liegen der Psyche demokratischer Wähler näher. Insofern wird ein solcher Austausch unter der Gürtellinie Van der Bellen eher schaden.

Norbert Hofer fiel zuletzt auf, als er sagte: "Ich kenne keine Moslems im Pflegebereich, die Senioren die Windel wechseln." Er hat das dann nachgeschärft, dass er keine Frauen in Burka kenne, die in der Altenpflege arbeiten. Warum macht er das?
Sein Bestreben ist es, unter dem Stichwort "Zuwanderungsislamismus" Stimmung zu machen gegen Muslime. Durch die sprachliche Wiederholung schafft er eine Realität in den Köpfen der Menschen, in der es diesen "Zuwanderungsislamismus" wirklich gibt, in der Muslime zur großen Gefahr werden. Dass Muslime keine Windeln wechseln würden, damit will er sagen, dass sie sich für was Besseres halten, unsereinem nicht einmal die Hand geben, das Christentum eigentlich nicht respektieren. Er entwirft ein Bild des Kampfes der Kulturen.

Wie ist es mit dem Begriff "Heimat"?
Hofer spricht gern von "Hausregeln", er wählt diese Metaphern nicht von ungefähr. Damit entwirft er ein ganz klares Bild: "Wir haben hier Gäste in unserem Haus Österreich und diese Gäste benehmen sich ohne Respekt. Also werfen wir sie raus. Wir müssen uns das nicht gefallen lassen."

Auf seinem Wahlplakat steht: "So wahr mir Gott helfe". Guter Slogan?
Sehr guter Slogan. Aus vier Gründen. Erdes von ihm ausgerufenen "Zuwanderungsislamismus" und dem Untergang des Abendlandes, der angeblich kurz bevorsteht, streicht er damit den Unterschied zwischen Christentum und Islam heraus. Drittens: "So wahr mir Gott helfe" kennt man aus der Amtsvereidigung - Hofer entwirft ein Bild, nach dem er bereits Bundespräsident ist. Und viertens: Wenn ich Gott um Hilfe anrufe, suggeriere ich eine brenzlige Situation, eine Gefahr, und das im Kontext der Flüchtlingskrise.

Wie gefällt Ihnen das Porträt Van der Bellens auf dem neuen Plakat "Wählen, nicht wundern"?
Er hat auf seinen Plakaten nicht immer die optimale Mimik. Da wirkt Hofer generell offener und freundlicher.

Einige Prominente haben eine Kampagne "Nein zum Öxit" gestartet. Motto: Wer Hofer wählt, riskiert Österreichs Austritt aus der Eurozone. Gute oder schlechte Idee?
Schlechte Idee. Da wird der Öxit zu einem zentralen Thema hochstilisiert, obwohl Hofer sich ja gar nicht klar für den Öxit positioniert hat, er lässt sich das Türchen nur offen. Öxit erinnert an Exit, das ist der Notausgang, da werden negative Assoziationen geweckt. Es wäre viel wichtiger herauszustreichen, wie Van der Bellen politisch tickt, was er Gutes tun würde für dieses Land.

Hofer bringt gern seine Frau ins Spiel, die Altenpflegerin ist, und macht auch Homestories. Wie viel privat ist für einen Politiker hilfreich?
Generell ist es gut, viel von sich zu zeigen. Die Menschen mögen diesen Einblick in den Alltag von Politikern, um zu begreifen: Was ist das für ein Mensch? Kann ich dem vertrauen? Mit wem umgibt er sich? Man muss ja nicht gleich jeden zu sich ins Wohnzimmer einladen, aber einem Van der Bellen oder auch einem Christian Kern, wenn demnächst Nationalratswahlen sind, würde es sicherlich nicht schaden, mehr von sich als Mensch zu zeigen.

Dass Van der Bellen raucht, macht ihn das menschlicher?
Nikotinsucht ist natürlich eine Schwäche. Sowas sollte man als Marke eher vermeiden. Aber dass er gerne in den Bergen wandert, das ist dafür sehr gut.

Welchen markanten Unterschied gibt es in der Körpersprache der beiden?
Hofer vermittelt totale Gefasstheit, wirkt aber mit seinem Lächeln und den Provokationen öfter unauthentisch. Van der Bellen hingegen ist sehr ungeschliffen, ehrlich, nimmt sich Pausen, überlegt, verhaspelt sich auch einmal. Das ist zwar hochauthentisch, aber man würde sich ein bisschen mehr Schliff und Flottheit wünschen. Das langsame Sprechen, die Tendenz, sehr stark auf Angriffe von Hofer einzugehen, lässt ihn verwundbarer wirken als er ist.

Wollen wir wetten, wie das österreichische Volk in zwei Wochen entscheiden wird?
Ich habe ja in Amerika auf Trump gewettet und hatte dann das wahnsinnige Glück - das ist ironisch gemeint! - dass er gewonnen hat. Ich denke, wenn die Kampagne von Van der Bellen in den nächsten Tagen nicht ordentlich was reißt, dann könnte es durchaus eine gute Chance geben, dass Hofer Bundespräsident wird.

Die Karriere von Elisabeth Wehling
Geboren am 30. April 1981 in Hamburg. Wehling studiert Germanistik, Journalistik und Soziologie in Hamburg, Rom und Berkeley. Promotion an der University of California, Berkeley. Seither forscht sie dort im Bereich Kognitive Linguistik. Arbeitsschwerpunkt: Der Einfluss von Sprache auf politisches Denken und Handeln. Wehling ist Autorin des Buches "Politisches Framing. Wie eine Nation sich ihr Denken einredet - und daraus Politik macht" (Halem Verlag).

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