"Krone"-Interview

Matthew & Leão: Melancholische Synapsen-Sprenger

Musik
15.11.2016 15:35

Der eine gilt als querbeet denkender Dichter und Kompositeur mit dem einem kräftigen Hang zum Kosmopolitischen, der andere hat unlängst seinen 50er überschritten und ehemals eine Weltkarriere in Südeuropa gefeiert - nun haben sich der in New York wohnhafte Australier Scott Matthew und der Portugiese Rodrigo Leão zusammengetan, um aus ihren Talenten "Life Is Long" zu gießen. Ein Album, das sich in bedächtiger Melancholie durch die Synapsen gräbt und im März 2017 bei uns auch live genossen werden darf.

(Bild: kmm)

"Krone": Scott, Rodrigo - "Life Is Long" ist euer erstes gemeinsames Album, nachdem ihr euch vor fünf Jahren kennengelernt und das erste Mal zusammengearbeitet habt. Wie seid ihr nun auf die Idee zu einem ganzen Album gekommen?
Rodrigo Leão: Die Zusammenarbeit verlief für uns beide so gut, dass wir uns einfach an ein neues Album machen wollten. Die Grundidee kam von mir, denn ich habe schon immer gerne mit anderen Musikern zusammengearbeitet.
Scott Matthew: Wir haben immer Songs geschrieben und es hat natürlich eine Zeit lang gedauert, aber je mehr Songs wir hatten, umso realistischer war es dann, dass wir doch ein komplettes Album rausbringen würden. Nun sitzen wir hier und reden darüber - Jahre später.

2011 hat Scott auf dem Song "Terrible Dawn" von Rodrigo gesungen. Wusstet ihr schon damals, dass eure Zusammenarbeit eine besonders fruchtbare sein würde?
Leão: Wir haben uns für diesen Song noch nicht einmal persönlich kennengelernt. Das erste Treffen gab es erst sechs Monate später. Wir haben dann ein paar Konzerte zusammen gespielt und 2012 einen weiteren Song komponiert. Danach reifte langsam die Idee für ein Album und wir wussten, wir hätten viel Zeit und niemanden, der uns Druck macht. Etwa ein Jahr lang haben wir uns Ideen hin- und hergeschickt und vor zwei Jahren haben wir begonnen, das Album aufzunehmen. Der Mix passierte dann 2016 - es hat jeder von uns beiden abseits dieses Projekts Alben herausgebracht.
Matthew: Wir haben uns keine Deadline für das Projekt gesetzt, sondern alles fließen lassen. Das Gefühl, dass wir quasi schon länger fertige Songs reifen lassen konnten, fand ich genial. Normalerweise unterliegst du immer dem Druck, alles sofort publizieren zu müssen, aber hier konnten wir uns mal zurücklehnen. Ich habe mein Soloalbum veröffentlicht und bemerkte dann erst, dass ich ja noch eines fertig habe. (lacht)

Ihr habt euch also für euren ersten gemeinsamen Song wirklich nie getroffen? Habt ihr vielleicht gefürchtet, dass die menschliche Basis nicht ganz funktionieren würde?
Matthew: Wir hätten uns durchaus hassen können, klar. (lacht) Aber glücklicherweise war dem nicht so.
Leão: Die erste Show mit diesem Song habe ich damals ohne Scott in Lissabon gespielt.
Matthew: Ich habe die Vocals für "Terrible Dawn" damals in einem Berliner Studio aufgenommen und wurde dabei gefilmt. Rodrigo hat mich bei diesem Gig in Lissabon also tatsächlich optisch in das Konzert eingespielt, das hatte ich ganz vergessen. Immerhin sieht man mich in dem Video die ganze Zeit Wein trinken. (lacht) Ich soff quasi vor dem gesamten Publikum.

Scott, du stammst aus Australien und lebst in New York, Rodrigo ist Portugiese - "Life Is Long" ist also durchaus als kosmopolitisches Album zu verstehen. Habt ihr auch Einflüsse aller drei Länder auf das Album gebracht?
Matthew: Es beeinflusst nicht unbedingt mein Songwriting, wo ich gerade lebe. Es sind weniger die kulturellen Einflüsse von Amerika oder Australien, es sind eher die Menschen an sich.
Leão: Wir haben viele Dinge gemeinsam, zum Beispiel Musik wie The Clash oder The Cure. Scotts musikalisches Universum auf seinen Alben unterscheidet sich gar nicht so sehr von meinem. Wir beiden mögen Melancholie und Traurigkeit und versuchen, daraus die Schönheit heraus zu kristallisieren.

Woher kommt denn die Liebe für den melancholischen Sound und die verletzlichen Texte?
Matthew: Das liegt wohl ziemlich tief in mir, stammt ursprünglich aus meiner Kindheit. Ich war immer sehr einsam und die sensitive Musik hatte stets eine magische Wirkung auf mich. Irgendwann kam der große Wandel und ich war plötzlich total im Punk verankert, bevor ich wieder zu meinen Ursprüngen zurückkehrte. Ich war damals mutig genug, mich musikalisch schnell weiterzuentwickeln und die melancholische Musik ist mein Daheim. Dort fühle ich mich wohl. Ich will immer so ehrlich wie möglich sein und wenn ich sensitivere Musik mache, fühle ich einfach, dass ich ehrlicher bin.
Leão: Anfangs haben wir viel darüber geredet, in welche Richtung wir gehen wollen. Es gab dann aber relativ wenig Kommunikation, sondern wir haben gearbeitet. Ich habe Scott die Demos geschickt und er hat die Texte geschrieben. Es brauchte nicht viele Worte dafür. In Spanien und Portugal haben wir in den letzten zwei Jahren sieben oder acht Songs zusammen gespielt, das hat uns dann auch menschlich nähergebracht und unseren gemeinsamen Sound schließlich geformt.

Was ihr auch gemeinsam habt, ist eure Liebe zur Filmmusik.
Matthew: Absolut und das Album klingt sehr breit und filmisch akzentuiert.
Leão: Meine Musik entsteht spontaner als so mancher glauben mag. Ich vergleiche unsere Arbeit immer mit der Malerei. Ich mache den ersten Teil des Projekts und Scott setzt dann ein. Mein Teil ist wesentlich abstrakter und Scotts Lyrics sind konkreter. Zusammengefasst entsteht dann ein schönes gemeinsames Projekt.

Seid ihr immer einer Meinung, wenn ihr an eurer Musik arbeitet?
Matthew: Die meiste Zeit schon. Ein oder zwei Songs sind schlussendlich nicht passiert, weil sie nicht gut genug waren. Da bin ich sehr selbstkritisch. Aber grundsätzlich läuft das sehr einfach.

Was ist die Essenz eurer gemeinsamen Musik? Was definiert den Sound eurer Kollaboration?
Matthew: Ich finde es interessant, dass jeder für sich in einer bestimmten Schublade steckt, sich unser Projekt aber mit nichts davon gleicht.
Leão: Wir wollten Songs kreieren, die auf unseren anderen Alben womöglich keinen Platz finden würden. Es gab einfach mehr Raum für Experimente und wir sind glücklich mit der Zusammenarbeit.

Folgt das Album einem bestimmten Konzept? Gibt es ein zusammenhängendes Thema?
Matthew: Nicht direkt. Ich habe bei meinen Texten sehr standardisierte Themen, die ich seit etwa zehn Jahren beschreibe. Da geht es um Liebe, Verlust, Einsamkeit und Begierde. Ich habe mir Rodrigos Musik angehört und wollte herausfinden, was mir der Song sagen will. Es geht darum, was mich berührt und wie mich etwas berührt.

Habt ihr auch viele alte Ideen umgesetzt?
Matthew: Nicht direkt, aber ich kann sehr weit in meine Vergangenheit zurückgreifen und Dinge beschreiben, die mir von früher in den Sinn kommen und mich beschäftigen. Der Großteil meiner Texte ist autobiografisch. In irgendeiner Form ist mir alles widerfahren.

Rodrigo, du hast vorhin gesagt, dass du immer einen Zugang zu Populärmusik wie The Clash oder The Cure hattest…
Leão: Ich habe viel Joy Division, The Cure und New Order gehört, das hat mich in den 80ern beeindruckt. Ich habe in meiner Musik auch Einflüsse von Tango oder Klassik. Ich bin Autodidakt, der sich Bass, Akustikgitarre und Synthesizer beigebracht hat. Ich versuche immer stärker, mit Computern und Pianos zu arbeiten, um meine Songs noch epischer zu machen. Ich habe auf meinen Alben stets kollaboriert und meine Songs sind auf Spanisch, Portugiesisch oder Französisch gesungen. Auf "Life Is Long" haben wir englische Texte, weil es einfach ein Gemeinschaftsprojekt von uns beiden ist.
Matthew: Und ich kann nicht in Französisch singen. (lacht) Auch nicht auf Spanisch oder Portugiesisch.

Vor 50, 60 Jahren wurden die großen und erfolgreichen Singles meist mehrsprachig auf den Markt gebracht, um einen möglichst globalen Erfolg zu erreichen.
Matthew: Unglaublich, ich kann mir das gar nicht vorstellen, wie das ging. Ich habe eine Freundin, die hat Backing Vocals beigesteuert und kann eigentlich nur Französisch - aber panisch gut klingt. Diese Gabe besitze ich leider nicht. (lacht) Mir würde es Spaß machen, in einer anderen Sprache zu singen, aber das würde mich wohl den Rest meines Lebens kosten.

Rodrigo, mit deiner Band Madredeus hast du in Südeuropa die größten Venues gefüllt - mit Scott musst du jetzt am Rest des Kontinents kleinere Brötchen backen. Macht das für dich einen großen Unterschied?
Leão: Natürlich ist es ein Unterschied. Ich habe Madredeus 1994 verlassen und in den Jahren davor waren wir wirklich berühmt. Der Ruhm hat mich aber nie interessiert, ich wollte immer nur meine Musik machen und herumexperimentieren. Die Musik heute ist anders, aber auf der Bühne fühle ich mich immer gleich. Madredeus war noch viel melancholischer und stärker von der portugiesischen Folklore inspiriert.

Ist Ruhm ein Nachteil, wenn man kreativ sein will?
Matthew: Das weiß ich nicht, denn so berühmt war ich noch nie, aber ich kann es mir vorstellen. (lacht) Nach meinen ersten paar Alben und Feedback seitens des Publikums gewann ich einfach an Sicherheit beim Songwriting. Mir war schneller klar, in welche Richtung ich gehen will und auch muss, was natürlich die Freiheit beschränkt. Irgendwann muss man ja ein paar Erwartungen erfüllen. Am besten ist es aber, wenn du dich beim Songschreiben abschottest und gar keine Einflüsse von außen zulässt. Das hindert dich nur.
Leão: Das passierte damals mit Madredeus. Uns war immer egal, ob etwas kommerzieller war oder nicht, das war nie ein Thema. Selbst wenn Produzenten im Studio möglicherweise einen Riecher für einen Hit hatten, sind wir der Idee nur gefolgt, wenn wir es auch selbst wollten. Natürlich waren wir glücklich, wenn ein Song von uns so gut bei den Leuten ankam, aber geschrieben habe ich ihn ja in erster Linie, ohne von so einem Erfolg zu wissen. Also muss ich zwangsläufig mit etwas glücklich sein, sonst wäre es nie so weit gekommen.

Kommt es auch vor, dass ihr bei Songs, die ihr für euer Projekt kreiert bemerkt, dass sie eigentlich besser zu euren Soloprojekten passen würden?
Matthew: Eigentlich nicht wirklich. Die wenigen Ideen, die wir verworfen haben, weil sie nicht passten, haben wir uns nicht für andere Dinge aufbehalten. Sie waren einfach nicht gut genug.

Ist der Albumtitel "Life Is Long" ein Statement?
Matthew: Korrekt. Wenn du diese Phrase liest oder hörst, dann wird es gleich einmal positiv konnotiert. Die meisten Leute würden sagen "Das Leben ist kurz", aber wir kommen da positiver rüber. Aber es ist auch ein Trick. (lacht) Im Text verwende ich die Phrase eher gegenteilig, weil ich ein langes Leben in Einsamkeit besinge und das ist wohl weniger gut. Ich spiele da einfach mit den Worten und der Bedeutung. Die Melancholie steckt natürlich immer dahinter.

Ein Song wie "Nothing's Wrong" klingt aber auch nicht gerade negativ, sondern vermittelt dem Hörer vielmehr Hoffnung?
Matthew: Es gibt ein paar positive Nummern auf dem Album. In diesem Song geht es darum, dass man sich an die schönen Phasen des Verliebtseins erinnern sollte und das nichts daran falsch ist, sich Hals über Kopf zu verlieben.

Wo liegen die größten Unterschiede zwischen deinen Solowerken und "Life Is Long" mit Rodrigo?
Matthew: Rodrigos Musik ist wesentlich durchdachter und orchestraler als meine. Es klingt einfach alles größer und opulenter und ich liebe das. Eigentlich wollte ich immer so einen Klang, aber ich hatte nie das Budget, die Zeit oder die richtige Formel dafür. Es ist einfach so schön, sein eigenes Produkt in solch ausladenden Klangsphären zu hören. Es klingt so schön und opulent wie Wien aussieht. (lacht)

Nach Spanien und Portugal kommt ihr mit dem Material endlich auch weiter nördlich nach Europa - im März auch nach Wien und Linz. Was wird uns und euch dabei erwarten?
Matthew: Das ist das große Rätsel, was uns erwartet. Ich weiß, dass ich hier ein tolles Publikum habe, aber Rodrigos Popularität ist bislang eher auf Portugal und Spanien beschränkt. Wir sind selbst extrem gespannt, wie und ob wir überhaupt die Leute auf unsere Seite ziehen können.
Leão: Wir sind derzeit dabei, in Lissabon unsere erste Proben abzuhalten, damit bis zum nächsten Jahr alles sitzt. Wir hoffen natürlich schon, dass sich viele Menschen für uns und unser Album interessieren werden.

Und man kann mit weiteren Alben und Songs von euch beiden rechnen?
Matthew: Wir denken schon. Es kommt natürlich immer drauf an, wie der Zeitplan aussieht und ob wir kreativ genug sind. Aber ich werde 2017 einmal ein Soloalbum herausbringen.
Leão: Ich auch, das ist mein nächster Schritt. Aber wir müssen zeitlich nichts übers Knie brechen, können aber sicher danach wieder weitermachen.
Matthew: Ich hoffe halt, dass die Menschen das Album nicht hassen, das wäre Grundvoraussetzung. (lacht)
Leão: Wenn das jetzt so stark danebengeht, dann wird das nächste halt auf Französisch eingesungen. Da muss sich auch Scott beugen. (lacht)

Die interessante Kooperation zwischen Scott Matthew und Rodrigo Leão kann man sich am 18. März im Linzer Posthof live ansehen. Ein Wien-Termin ist noch nicht fixiert, könnte aber folgen.

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