"Swing States" etc.

Die 10 wichtigsten Fragen zum Wahlsystem der USA

Ausland
06.11.2016 08:08

Hillary Clinton oder Donald Trump: Die Amerikaner wählen am Dienstag ihren Präsidenten. Während die Kandidaten die Emotionen hochgehen lassen, wissen wir über den Wahlprozess wenig. Politologe Peter Filzmaier berichtet aus den USA über die Eigenheiten des komplizierten politischen Systems.

1. Wie wird gewählt? In den Einzelstaaten und Wahlbezirken kommen verschiedenste Abstimmungsformen zur Anwendung. Stimmzettel sind eher selten. Ein Computer wertet allenfalls die ausgefüllten Kreise bei den Kandidatennamen optisch aus. Oft werden Hillary Clinton oder Donald Trump durch Drücken eines Knopfes oder Berühren eines Bildschirms gewählt.

Oder man stanzt Markierungen ähnlich einer Lochkarte, was 2000 in Florida Auszählungsstreits bis hin zum Höchstgericht bewirkte. Manchmal muss für den Kandidaten der seinem Namen nächstgelegene Hebel einer Maschine bewegt werden. In Oregon und Washington gibt es ausschließlich die Briefwahl.

2. Stimmen alle Wähler gleichzeitig ab? Nein. In 42 von insgesamt 50 Einzelstaaten und dem District of Columbia kann bis zu 45 Tage vor dem Wahltag für Clinton oder Trump votiert werden. Mindestens ein Drittel und vielleicht sogar fast die Hälfte macht davon Gebrauch. Die allerletzten Wahlkampfereignisse können also bloß noch einen Teil der Wähler beeinflussen. Am Wahltag führt der Zeitunterschied dazu, dass späte Wähler im Westen erste Teilergebnisse von der Ostküste womöglich kennen.

3. Wer ist wahlberechtigt? Alle Staatsbürger, die älter als 18 Jahre sind, dürfen im In- oder Ausland ihre Stimme abgeben. Allerdings gibt es in den USA keine Meldepflicht des Wohnortes. Daher sind automatisch erstellte Wählerlisten unmöglich. Die Selbsteintragung kann im Internet, auf (Partei-)Veranstaltungen oder bei Behörden erfolgen.

Das führt zu Unregelmäßigkeiten: Militärangehörige wählen klar republikanisch, doch Masseneintragungen auf Befehl - einst war ein Verwandter des Republikaners George Bush verantwortlich - sind streng verboten. Aber welcher Soldat beschwert sich da beim Morgenappell?

Für den Demokraten John F. Kennedy tauchten als Mysterium 1960 Unterstützer im Wahllokal auf, die eigentlich nach der Registrierung verstorben waren.

4. Wie wird der Sieger ermittelt? Eine Volkswahl wie bei uns ist beim US-Präsidenten unbekannt. In jedem Staat stimmt man für "Wahlmänner" - inzwischen natürlich auch Frauen - von Clinton oder Trump. Der Erstplatzierte bekommt fast ausnahmslos alle Wahlmänner zugesprochen, nicht nur seinem Stimmenanteil entsprechend. Der Zweite erhält nichts. Wer im Kollegium sämtlicher 538 Wahlmänner Anfang Dezember eine Mehrheit - also 270 - hat, wird Präsident.

5. Warum ist das so kompliziert? Die Verfassungsgründer verhandelten einen Kompromiss, um den Präsidenten weder vom Volk noch im Senat wählen zu lassen. Die Zahl der Wahlmänner pro Staat entspricht den Kongresssitzen. Das sind etwa drei in Montana und 55 in Kalifornien. Da es 435 Repräsentanten und 100 Senatoren gibt, macht das 535. Hinzu kommen drei Wahlmänner für die Hauptstadt Washington, D.C.

6. Was sind "Swing States"? Weil sich die Anzahl der Wahlmänner indirekt nach der Bevölkerungszahl richtet, müssen große Staaten gewonnen werden. In Kalifornien (Clinton) oder Texas (Trump) steht der Sieger bereits fest. Also geht es um die Schlüsselstaaten mit vielen Wahlmännern, wo das Rennen noch offen ist. Wer in zwei der drei Staaten Florida, Pennsylvania und Ohio triumphiert, ist ziemlich sicher der Gesamtsieger.

7. Kann jemand ohne Stimmenmehrheit des Volkes Präsident werden? Ja. Siegt jemand in "seinen" Staaten knapp und verliert anderswo deutlich, liegt er bei der Gesamtanzahl der Direktstimmen zurück. Trotzdem könnte er mehr Wahlmänner haben. Diese Situation gab es zwischen Grover Cleveland und Benjamin Harrison 1888 sowie bei George Bush und Al Gore 2000.

8. Was passiert bei Gleichstand? Eine Stimmverteilung, nach der Clinton und Trump je 269 der insgesamt 538 Wahlmänner haben, ist möglich. Dann müsste das Repräsentantenhaus entscheiden. Dort hätte nicht jeder Abgeordnete eine Stimme, sondern die Delegationen der Einzelstaaten. Konflikte und Intransparenz wären allerdings zu erwarten.

9. Was passiert, wenn Wahlmänner sich nicht an die Volkswahl halten? Dazu sind sie vielerorts nicht formal verpflichtet. Theoretisch könnten in Staaten, wo Donald Trump überlegen in Führung liegt, die Elektoren für Hillary Clinton sein. Oder eben umgekehrt. Selbst wenn es anderslautende Vorschriften gibt, so beträgt die Strafe für "treulose" Wahlmänner maximal 5000 US-Dollar (rund 4500 Euro). Ihre abweichende Stimme bleibt gültig.

10. Wer wird gewinnen? Der Historiker Allan Lichtman hat jede Wahl seit dem Jahr 1984 richtig vorhergesagt. Er erwartet einen Erfolg Trumps, weil seiner Einschätzung nach mehr Begleitumstände (von der wirtschaftlichen bis zur militärischen Lage) zutreffen, unter denen die Amtsinhaber-Partei verliert.

Statistik-Guru Nate Silver geht von einer 70-prozentigen Wahrscheinlichkeit aus, dass Clinton gewinnt - Stand letzte Woche, Tendenz sinkend. Es bleibt spannend.

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