Nach Protestwelle

Schickt uns Erdogan noch 500.000 Flüchtlinge?

Ausland
05.11.2016 10:59

In der Türkei stehen seit dem Putsch Mitte Juli landesweite Razzien und willkürliche Festnahmen auf der Tagesordnung, ebenso wie Bombenanschläge mit zahlreichen Toten und Verletzten. Für Kritiker ist klar, dass die Türkei unter Präsident Recep Tayyip Erdogan Kurs in Richtung Diktatur nimmt. Die EU muss sich indes angesichts immer neuer Drohungen aus Ankara auf ein vorzeitiges Ende des Flüchtlingsabkommens mit der Türkei vorbereiten. Platzt der Deal, könnte Erdogan noch heuer Hunderttausende Menschen aus den überfüllten Flüchtlingscamps Richtung Europa schicken.

So geht Deutschland laut einer aktuellen Schätzung des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge zwar davon aus, dass die Zahl der in Deutschland neu angekommenen Flüchtlinge heuer deutlich unter 300.000 bleiben wird - diese Schätzung gelte allerdings nur, wenn der EU-Flüchtlingspakt mit der Türkei halte, wie Behördenchef Frank-Jürgen Weise in der Nachrichtensendung "MDR Aktuell" erklärte.

Lässt Türkei Abkommen noch vor Jahresende platzen?
Wie wichtig der Deal für Deutschland, Österreich und andere europäische Länder ist, dessen ist man sich auch in Ankara bewusst. So hatte der türkische Außenminister Mevlüt Cavusoglu erst am Donnerstag in der "Neuen Zürcher Zeitung" mit der Aufkündigung des Abkommens noch vor Ende dieses Jahres gedroht, sollte die Forderung nach Visafreiheit für türkische Bürger in der EU nicht bald erfüllt werden. Luxemburgs Außenminister Jean Asselborn hatte jedoch zuletzt erklärt, die Visafreiheit könne sich bis 2017 verzögern. Cavusoglu dazu in der NZZ: "Wir warten auf eine Antwort (der EU) in diesen Tagen. Wenn die nicht kommt, werden wir die Vereinbarung kündigen."

Einem Fortbestehen des Deals wenig förderlich dürften auch die lauter werdende Kritik von europäischen Politikern und Proteste gegen Erdogans Kurs in Europa sein. So waren etwa am Freitag nach der Festnahme von führenden Abgeordneten der Kurdenpartei HDP in der Türkei in mehreren Städten Deutschlands und auch in Wien insgesamt Tausende Demonstranten auf die Straße gegangen. Europa wird sich jedenfalls überlegen müssen, was wichtiger ist: die Abgrenzung zu einem "Diktator" oder der Flüchtlingsdeal, wie die deutsche "Bild" anmerkte.

Video: Hier protestieren Kurden in Wien nach Politiker-Verhaftungen in der Türkei

Doskozil fordert Vorbereitungen auf Aus von Flüchtlingsdeal
Angesichts der immer neuen Drohungen aus der Türkei, das Flüchtlingsabkommen mit der EU platzen zu lassen, forderte Verteidigungsminister Hans Peter Doskozil (SPÖ) am Samstag einen noch besseren Schutz der EU-Außengrenzen. Gegenüber der "Bild" sagte Doskozil: "Ich habe immer gesagt, dass der EU-Türkei-Deal nur eine Überbrückung sein darf, bis die EU selbst in der Lage ist, die Außengrenzen wirksam zu schützen und so den Flüchtlingsstrom einzudämmen. Die Zeit dafür, das zu organisieren, wird immer knapper."

Doskozil hat für Montag und Dienstag die Verteidigungsminister der zentraleuropäischen Staaten eingeladen, um angesichts der Lage in der Türkei über die Flüchtlingskrise zu beraten. "Wir wollen ein klares Signal setzen, dass wir uns darauf vorbereiten, dass die Türkei, den Deal komplett aufkündigt. Es muss unser vordringliches Ziel sein, die Anzahl der Flüchtlinge zu reduzieren", so der Minister. "Die Türkei befindet sich gerade auf direktem Weg in eine Diktatur." Die Regierung in Ankara solle vor der eigenen Haustür kehren, "wir lassen uns nicht mehr länger drohen".

Kurz kritisiert Türkei scharf
Scharfe Kritik an der Türkei hatte zuvor auch Außenminister Sebastian Kurz geübt. Bei der laufenden Verhaftungswelle von Oppositionspolitikern "dürfen wir nicht wegsehen", sagte er in einer Rede beim Parteitag der bayrischen Schwesterpartei CSU am Freitag. "Wenn die Opposition mundtot gemacht wird, Journalisten eingesperrt werden oder die Todesstrafe eingeführt wird, hat diese Türkei definitiv keinen Platz in der Europäischen Union", sagte der Minister und erntete dafür Applaus des CSU-Publikums. Auch er betonte die Notwendigkeit eines besseren Schutzes der EU-Außengrenzen.

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