Filzmaier-Analyse

Internetwahlen: Was dafür und was dagegen spricht

Österreich
09.10.2016 08:29

"Ich bin drin! Hey, das ist ja einfach!" Das sagte vor vielen Jahren Boris Becker im Werbespot für einen Internet-Anbieter. Der Tennisspieler freute sich über einen leichten Zugang zum Netz. Inzwischen diskutieren wir, ob nicht elektronische Stimmabgaben besser sind als jene im Wahllokal oder mittels umstrittener Briefwahl. Was spricht also für und was spricht gegen eine Stimmabgabe über den Computer oder das Mobiltelefon? "Krone"-Analyst Peter Filzmaier leuchtet das Für und Wider aus - und fordert eine sachliche Diskussion.

  1. Über e-voting wird nachgedacht, weil in der Präsidentschaftswahl einzelne Wahlkommissionen für eine korrekte Auszählung zu nachlässig, zu faul oder zu dumm waren. Für Auslandsösterreicher wäre die Abstimmung am Computer zudem naheliegend, wenn sie ohnehin im Internet eine Wahlkarte beantragen - die in der Folge mit undichtem Klebstoff hin und her gesendet wird.
  2. Natürlich sind nicht Wahlen im Internet abzuhalten, nur weil viele von uns sowohl Bankgeschäfte als auch Geburtstagswünsche mittels Mobiltelefon erledigen. Doch die 50plus-Generation kann nicht ignorieren, dass unter 30-Jährige privat und beruflich alles online machen. Man muss das nicht gut finden. Internetwahlen aber haben Symbolkraft für das politische Engagement von Jungwählern, die eben so aufgewachsen sind.
  3. Was passiert, wenn am Computer, Laptop oder Handy gewählt wird? Das geheime Wahlrecht wäre durch Chiffrierungsverfahren zu sichern. Gelingt das nicht, sollte niemand mit Menschenverstand und Bekenntnis zur Bundesverfassung Internetwahlen verlangen.
    Wenn sich Parteien und deren Anhänger gegenseitig unterstellen, diese würden missbraucht, so ist das ein riskantes Totschlagargument für Sachdebatten. Manipulationen sind bei allen Wahlmethoden denkbar, es bedarf also eines Grundkonsenses, sich anständig zu verhalten.
  4. Das Problem sind vielleicht gar nicht Pannen der Technik oder Hackerangriffe und Betrugsversuche. Für den Durchschnittsbürger wären jedoch Fehler und Irrtümer nicht nachvollziehbar.
    Jeder kapiert, was das Dilemma mit den Briefwahlkarten war oder wie bei der Tiroler Landtagswahl 1999 mehrmals nachgezählt wurde. Unterhalten sich Internetfreaks in einer unverständlichen Fachsprache über Online-Wahlfehler, ist das kaum zu durchschauen. Die Transparenz des Wahlprozesses als Merkmal der Demokratiequalität leidet.
  5. Dem steht ein gewichtiges Argument gegenüber: Stimmenanteile von Wahlsiegern sind häufig geringer als die Zahl der Nichtwähler. Während die Beteiligung bei Präsidentschafts- oder Nationalratswahlen relativ hoch ist, bleibt bei Kammern oder der Hochschülerschaft oft die Hälfte bis drei Viertel der Wahlberechtigten zu Hause. Da ist es verlockend, durch Internetwahlen die Beteiligung zu erhöhen. Wie schnell und in welchem Ausmaß das gelingt, ist freilich nicht bewiesen.
  6. Österreich wird allerdings keine bessere Demokratie, weil einige Prozent mehr alle paar Jahre ein elektronisches Kreuz schlagen. Auf eine raschere Stimmzählung und Kostenvorteile durch den Computereinsatz zu verweisen ist sowieso Unsinn.
    Demokratie darf Zeit dauern und teuer sein. Eine Symbolik gibt es nicht bloß durch Internetwahlen für jüngere Bürger, sondern genauso durch die ältere Tradition, Stimmzettel in einen Bottich zu werfen, den wir Urne nennen. Oder Stimmen via Briefwahl abzuschicken.
  7. Brief- und Internetwahlen haben übrigens eine Gemeinsamkeit. Alle Parteien tun scheinheilig so, als ginge es ihnen um das demokratische Wohl für uns alle. In Wahrheit rechnen sie aus, was mehr Stimmen bringen könnte. Deshalb ist die FPÖ gegen die Briefwahl, weil sie da schlecht abschneidet, und sind die Grünen als dortiger Gewinner dafür. Die ÖVP wiederum verspricht sich durch Wahlen im Netz Zusatzstimmen.
  8. Worum es gehen sollte, ist eine Abwägung der Pros und Kontras für eine sachpolitische Entscheidung, ob Internetwahlen als zusätzliche Methode einen demokratiepolitischen Mehrwert haben oder nicht.
    Mit Technik hat das insofern wenig zu tun, als Machbarkeit kein Beweis für Sinnhaftigkeit ist. Da könnte man auch - in einem schwedischen Musterhaus als Projekt ausprobiert - die Kühlschranktür oder den Klodeckel zum Online-Berührungsbildschirm machen, um täglich unzählige Volksbefragungen durchzuführen.

PS: Was Parteien verschweigen
Viel ärger ist das Sammeln von Daten für den Wahlkampf. In den USA haben die Kandidaten 15 oder 20 Millionen Computerdateien mit intimsten Informationen einzelner Wähler. Völlig legal können Listen mit Namen und Kontaktadressen der Bürger gekauft werden. Hierzulande ebenfalls beschaffbar wären Informationen, was Sie essen, wohin Sie reisen oder wie die Farbe Ihrer Unterwäsche ist.

Gespeichert ist das auf Kundenkarten vom Super- oder Drogeriemarkt-Ketten bis hin zur Tankstelle. Irgendwann sind neben Alter, Geschlecht, Religion und Hautfarbe auch Krankheiten eines Wählers erfasst. Dadurch können Politiker uns zielgerichtet in einer Form ansprechen, die persönlich erscheint. Wollen wir das?

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