Schlappe für Orban

Ungarn: Referendum über EU-Asylpolitik gescheitert

Ausland
02.10.2016 22:17

Ungarns rechtskonservativer Ministerpräsident Viktor Orban ist mit seinem umstrittenen Referendum zur Verteilung von Flüchtlingen in der EU wegen zu geringer Beteiligung gescheitert. Zwar stimmten am Sonntag 98,3 Prozent der Wähler gegen die EU-Flüchtlingsumverteilung und für Orbans Abschottungskurs, mit 39,9 Prozent Wahlbeteiligung wurde die erforderliche 50-Prozent-Marke jedoch klar verpasst. Laut den amtlichen Angaben ist der Volksentscheid damit ungültig. Die Orban-Regierung will dennoch ein entsprechendes Gesetz bezüglich der Aufnahme von Flüchtlingen im Alleingang verabschieden.

Mindestens die Hälfte der rund 8,3 Millionen Wahlberechtigten hätten ihre Stimme abgeben müssen. Zur Abstimmung stand die Frage, ob das Land an der von der EU beschlossenen Umverteilung von Flüchtlingen auf alle Mitgliedsstaaten teilnehmen soll oder nicht. Trotz des rechtlich gescheiterten Referendums sprach Gergely Gulyas, der Vize-Präsident der Regierungspartei Fidesz, von einem "überwältigenden Sieg", weil 3,2 Millionen Wähler mit Nein stimmten.

Orban: "Parlament entscheidet, mit wem wir zusammenleben wollen"
Schon zuvor ließ Ministerpräsident Orban durchblicken, dass er sich von seinem Kurs auch bei einer zu geringen Beteiligung am Volksentscheid nicht abbringen lassen werde. "Ein gültiges Referendum ist immer besser als ein ungültiges, aber die rechtlichen Konsequenzen werden dieselben sein." Die "einzige Bedingung" dafür sei: "Dass es mehr Nein-Stimmen als Ja-Stimmen gibt", sagte er am Sonntag. Seine rechtskonservative Regierung werde auf alle Fälle handeln: "Wir haben immer gesagt: Nur das ungarische Parlament kann entscheiden, mit wem die Ungarn zusammenleben wollen. Und das werden wir gesetzlich festschreiben."

Ungarn betreibt seit dem vergangenen Jahr eine Politik der strikten Abschottung. 2015 waren rund 440.000 Flüchtlinge, von denen die meisten aus dem Bürgerkriegsland Syrien kamen, über Ungarn nach Mitteleuropa gereist. Um die Flüchtlinge zu stoppen, ließ Orban an den Grenzen zu Serbien und Kroatien Zäune bauen. Die ungarischen Asylgesetze wurden drastisch verschärft.

EU-Verteilung: Ungarn müsste 1300 Flüchtlinge aufnehmen
Die Regierung weigert sich zudem hartnäckig, den EU-Beschluss über die Flüchtlingsverteilung umzusetzen. Ungarn müsste laut dem Verteilungsschlüssel lediglich 1300 von insgesamt 160.000 Flüchtlingen aufnehmen, deren Umverteilung im Vorjahr in Brüssel beschlossen wurde, um die Hauptaufnahmeländer Griechenland und Italien zu entlasten.

Orbans Regierung warb im Vorfeld massiv für ein Nein beim Referendum und warnte unter anderem davor, dass mit Flüchtlingen "Terroristen" ins Land kommen könnten. Menschenrechtsorganisationen warfen der Regierung vor, mit ihrer Kampagne gezielt Ängste in der Bevölkerung geschürt zu haben. Am Samstag bezeichnete Orban Flüchtlinge erneut als "Bedrohung für Europas sichere Lebensweise". Die Ungarn hätten daher die "Pflicht", sich der gescheiterten Politik der "Elite in Brüssel" entgegenzustellen, schrieb Orban in der Zeitung "Magyar Idok". Mit dem Referendum könnten sie "jedem Europäer die Botschaft senden, dass es von uns, von den EU-Bürgern abhängt, die EU wieder zur Vernunft zu bringen, mit gemeinsamen Anstrengungen, oder sie zerfallen zu lassen".

Eindrücke vom Wahltag in Ungarn:

Ungarische Opposition fordert Rücktritt von Orban
Während die konservative ungarische Regierungspartei Fidesz-MPSZ das Referendum trotz Ungültigkeit als Sieg feiert, fordert die sozialliberale Opposition den Rücktritt von Orban. Orban habe "alles auf eine Karte gesetzt und damit einen enormen Eklat erlitten", so Ex-Premier Ferenc Gyurcsany, der Chef des Demokratischen Forums (DK). Angesichts der Ungültigkeit des Volksbegehrens sagte Gyurcsany: "Wir haben einen Sieg errungen, und noch dazu einen großen Sieg." Die demokratische Opposition habe nun die Aufgabe, aus dem Sieg beim Referendum "eine Kraft zu formen, die den Regierungswechsel vollziehen kann".

Laut dem Chef der Sozialisten (MSZP), Gyula Molnar, wäre es "verfassungsfeindlich", wenn die Regierung, "sich auf das Ergebnis des ungültigen Referendums berufend, in Aktion tritt". Orban hatte am Sonntagvormittag "staatsrechtliche Schritte" nach dem Volksbegehren angekündigt. Der Premier habe sich ein "riesiges Eigentor geschossen und eine persönliche Niederlage eingefahren", sagte der Chef der rechtsradikalen Jobbik-Partei, Gabor Vona. Er forderte Orban zum Rücktritt auf. Der Regierungschef sollte "die Niederlage nicht versuchen zu erklären, sondern diese anerkennen".

Luxemburgs Asselborn: "Kein guter Tag für Orban"
Luxemburgs Außenminister Jean Asselborn nahm das ungültige Referendum unterdessen mit Erleichterung auf. "Das ist kein guter Tag für Herrn Orban und kein so schlechter Tag für Ungarn und die EU", so Asselborn am Sonntagabend. Das ungarische Volk habe sich europäischer als seine Regierung gezeigt. Asselborn wertete das als "passiven Widerstand" einer Mehrheit. "Ich hoffe, dass wir uns in der EU konsequent auf die Seite der Mehrheit der Ungarn und gegen den Kurs der ungarischen Regierung stellen", sagte der Sozialdemokrat Asselborn. "Die Ungarn verdienen unseren Respekt."

EU-Parlamentspräsident Martin Schulz (SPD) hatte der ungarischen Regierung bereits vor der Abstimmung vorgeworfen, mit dem Referendum ein "gefährliches Spiel" zu spielen. Orban stelle damit die Rechtmäßigkeit der europäischen Gesetzgebung infrage, sagte Schulz.

Österreichs Außenminister Sebastian Kurz forderte die EU dagegen auf, nicht länger an der Umverteilung von Flüchtlingen festzuhalten. "Das Ziel ist völlig unrealistisch", sagte Kurz der "Welt am Sonntag". Sollten die 160.000 Flüchtlinge weiterhin in demselben Tempo wie bisher auf die EU-Länder verteilt werden, werde das 30 Jahre dauern, sagte Kurz. Das Flüchtlingsproblem lasse sich also nicht durch eine Verteilung nach Quoten lösen.

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