Live im Konzerthaus

Ben Harper: Freiheit für die Variabilität

Musik
28.09.2016 01:09

Neun Jahre nach seinem letzten Output mit den Innocent Criminals kehrte US-Sänger Ben Harper unlängst wieder mit der alten Stammbesetzung auf die Bühne zurück. Der zweifache Grammy-Gewinner hat dazwischen ein melancholisches Album mit seiner Mutter aufgenommen und sich in den Blues vergraben. Jetzt ist Harper wieder zurück und vereint unnachahmlich geschickt Blues, Soul, Country, Folk, Reggae und Funk. Diese Mischung verzückte auch 2.000 Fans im Wiener Konzerthaus. Zudem gab uns der 46-Jährige ein kurzes Interview.

(Bild: kmm)

"Musik sollte gleichbedeutend mit Freiheit sein. Ich wuchs in einer eklektischen musikalischen Umgebung auf. Es gab Instrumente aus der ganzen Welt und die Plattensammlung war von Marvin Gaye über Woody Guthrie bis Led Zeppelin und den Rolling Stones vielseitig. Zudem habe ich als Teenager viel Hip Hop gehört." Im "Krone"-Interview vor seinem heiß ersehnten Konzert im Wiener Konzerthaus gab der US-Sänger Ben Harper einen kleinen Einblick in seine musikalische Edukation. Der Liebhaber von Soul, Blues, Reggae, Country und Folk hat sich über die letzten zwei Dekaden längst eine eigene Subnische begründet und bewegt sich seither geschickt und grazil in den weit gesteckten Parametern seiner musikalischen Variabilität.

Ruhige Rocksau
Exakt 20 Jahre mussten die Fans in Österreich auf ein Harper-Comeback warten. Dafür entschloss sich der sympathische, aber doch recht introvertierte Frontmann für das Schließen mehrerer Kreise. Zum einen ist er heute wie damals mit seiner grandiosen Band The Innocent Criminals unterwegs, zum anderen begann er das Set vor gut 2.000 Fans im Konzerthaus genauso wie anno dazumal im Wiener Rockhaus mit "Oppression". Harper ist der Meister der performativen Subtilität. Was ihm allzu strenge Kritiker als große Schwachstelle vorwerfen, entpuppt sich vor seinem enthusiasmierten Publikum als große Stärke: die Konzentration auf ruhige Momente, das bewusste Integrieren des Balladesken und Zurückgezogenen, nur um in den richtigen Augenblicken wieder die Rocksau rauszulassen.

"Call It What It Is" nennt sich das Comebackalbum mit den Criminal Innocents. Die erste Zusammenarbeit mit seinen alten Spießgesellen seit dem grandiosen "Lifeline" aus dem Jahr 2007. "Es war damals wichtig, die Zusammenarbeit zu stoppen. Jeder von uns musste sich ausbreiten und sein eigenes Ding durchziehen", blickt Harper mit etwas Wehmut zurück, "ich wollte die Zusammenarbeit mit der Band nicht beenden, aber es passierte. Es ging gar nicht so viel um die Musik, sondern vielmehr um zwischenmenschliche Probleme. Heute sind wir alle reifer und geschlossener zusammengerückt. Ich habe nun das Gefühl, wir können die nächsten 20 Jahre so weitermachen." Den Fans würde es gefallen, denn gerade in seiner "Backing-Mannschaft" steckt die wahre Magie eines Harper-Gigs.

Gemeinsam stark
Während der Anführer mit seinem süßlich-hohen Stimmtimbre, dem Pharrell-Williams-Gedenkhut und seiner programmatischen Lap-Steel-Gitarre die Aufmerksamkeit auf sich zog, ratterten seine fünfköpfigen "Innocent Criminals" im Hintergrund präzise wie ein Uhrwerk. Ohne die tighten Drums, die rhythmusgebenden Percussions, das stimmungstragende Piano und des funkigen Basses würden Harpers Songs zwischen sanftem Kitsch und bodenständigem Blues in der Hallenkanalisation versickern. Songs wie "In The Colors", "Burn To Shine" oder "Finding Our Way" mutieren erst in der Gemeinschaft zu Perlen. Die stilistische Nonkonformität überträgt sich auch auf das Publikum. Nur bei wenigen Konzerten sieht man Lederjacken neben Flanellhemden neben Sakkos neben Bandshirts gleichermaßen verzückt mitschunkeln. Die Geschlechts- und Generationsaufteilung war fair und das Dargebotene exzellent.

Doch so süßlich sich manche Harper-Komposition auch an die Gehörgänge schmiegen mag, tief in seinem Herzen ist der 46-Jährige Hobby-Skater ein wütender Polit-Rebell mit klarer Haltung und der nötigen Portion Wut im Bauch. So spielt der Albumtitel "Call It What It Is" auf die Polizeimorde in den USA an, die meist die schwarze Bevölkerung trifft und den Rassismus im Land der unbegrenzten Möglichkeiten wieder gedeihen lässt. Bei seinem Auftritt unlängst in Berlin lobte Harper Merkel und präsentierte Deutschland als Vorbild für alle. "Andere Staaten sollten dem Beispiel Merkel folgen", führt er aus, "jeder Mensch hat das Recht auf einen Platz, wo er leben kann. Flüchtlinge und Terrorismus gehen nicht Hand in Hand, sind nicht dasselbe. Es gab den Terrorismus schon vor der Flüchtlingskrise und es wird ihn weiterhin geben - so viel muss uns klar sein. Nur dann kann es eine Lösung geben."

Handwerkskunst
Das Wiener Konzerthaus bot jedenfalls nicht den Rahmen für politische Botschaften. Atemlos war er beim erstmaligen Betreten der prunkvollen Halle, erklärte er im Gespräch, und demütig, in so einer Location vor seinen Fans auftreten zu dürfen. Die dankten es ihm mit Jubelrufen und stetem Applaus. Eine würdige Leistung wurde würdig honoriert. Mehr als zwei Stunden lang ackerte sich Harper auf der Bühne ab, hypnotisierte das Publikum mit zwei endlosen, aber niemals langweiligen Jam-Sessions, bedankte sich des Öfteren ehrlich und demütig und bot gegen Ende hin eine atemberaubende A-Capella-Version, die sein Talent vollends zur Entfaltung brachte. Als Resümee bleibt jedenfalls stehen, dass ehrliche Handwerkskunst noch immer die beste ist. Und es wirkt mehr wie ein Geschenk als eine Drohung, wenn Harper ankündigt, motiviert weiterzumachen. "Ich habe noch genug Platz in meinem musikalischen Käfig. Es ist noch lange nicht jedes Eck abgegrast." Amen und bis bald.

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