Trotz Volksentscheid

Brexit: London bremst bei Verhandlungen mit der EU

Ausland
27.06.2016 15:00

Das Brexit-Votum für einen Austritt aus der EU hat Großbritannien in eine Art Schockstarre versetzt. Niemand der zuständigen Politiker will jetzt den Schwarzen Peter übernehmen und die Austrittsverhandlungen mit der EU einleiten. Auch wenn Premierminister David Cameron zu beruhigen versucht, herrscht auf der Insel Chaos, Unsicherheit und Unberechenbarkeit. Keiner weiß so genau, wie es weitergehen soll.

Die britische Regierung solle nach dem Willen des Premiers bereits mit den Vorbereitungen für den Austritt aus der Europäischen Union beginnen, sagte Camerons Sprecherin am Montag. Dafür soll auch ein eigenes Büro eingerichtet werden. Ansonsten wies Cameron seine Minister allerdings lediglich an, dass alles seinen gewohnten Gang gehen solle. Wann der Antrag auf den EU-Austritt in Brüssel also tatsächlich aktiviert wird, steht in den Sternen. "Das ist die Entscheidung Großbritanniens", so die Sprecherin.

EU drängt London zu rascher Entscheidung
Die EU, die vor dem Referendum ihren Wunsch nach einem Verbleib der Briten immer wieder betont hatte, drängt jedoch auf eine rasche Entscheidung Londons. Europas Staats- und Regierungschefs befassen sich am Dienstag beim EU-Gipfel erstmals mit dem Brexit. Auf der Tagesordnung stehen zwei Fragen: wie das Austrittsverfahren organisiert werden soll und wie "der Weg nach vorne" für die verbleibenden 27 Mitglieder aussehen könnte.

Johnson sieht "keine Eile" bei Verhandlungen
Doch in Großbritannien spielt nun sogar der prominenteste Austritts-Befürworter und innerparteiliche Gegner von Cameron, Londons Ex-Bürgermeister Boris Johnson, auf Zeit. Er erklärte lediglich, dass Großbritannien im Binnenmarkt verbleiben wolle und es "keine Eile" für die Exit-Verhandlungen gebe..

Legen die Briten Europa monatelang lahm?
Damit wird in Kauf genommen, dass die Frage nach dem Ausstiegsszenario noch monatelang in der Schwebe bleibt, zumal sich nach dem Votum nun immer mehr Briten doch gegen einen Brexit aussprechen. Außerdem soll der neue Chef der Konservativen und damit Nachfolger Camerons nach Ansicht eines einflussreichen Tory-Parteikomitees nicht vor dem 2. September feststehen.

Wenn ein Antrag auf einen EU-Austritt also nicht so bald kommt und das Land bis auf Weiteres in der Union bleibt, wären allerdings auch die von Cameron mit der EU-Kommission ausverhandelten Punkte im Migrations- und Sozialbereich, die den Briten Ausnahmen zugestehen, hinfällig. Somit könnte ein Verbleib Großbritanniens in der Union auch den Anfang vom Ende des Rosinenpickens und der Ausnahmeregelungen für London bedeuten.

Auch ob sich an dem von vielen anderen EU-Staaten seit Langem kritisierten Britenrabatt etwas ändern könnte, ist abzuwarten. Die EU könnte Großbritannien zwingen, stärker nach ihrer Pfeife zu tanzen. Andernfalls könnte sie argumentieren, dass Großbritannien den Austrittsantrag stellen sollte, was es ja nicht wolle.

Cameron: "Dürfen Europa nicht den Rücken zukehren"
Trotz des Votums für einen EU-Austritt sollte sich Großbritannien laut Cameron nicht von Europa und dem Rest der Welt abwenden. "Großbritannien verlässt die EU, aber wir dürfen Europa oder dem Rest der Welt nicht den Rücken zukehren", sagte Cameron am Montag vor dem Parlament in London. Die Briten müssten klären, "welche Art von Beziehung wir mit der EU haben wollen". Der EU-Austritt aus der EU werde schwer werden, räumte Cameron ein. "Das ist alles andere als einfach." Gleichzeitig bemühte er sich jedoch um eine Beruhigung der Finanzmärkte. "Wir sind gut aufgestellt für die vor uns liegenden Herausforderungen", sagte er

Brexit-Votum ist rechtlich nicht bindend
Rechtlich ist die Lage jedenfalls sehr verfahren und ungeklärt. Das Votum für einen Austritt ist für die britische Regierung rechtlich nicht bindend. Der entsprechende Artikel 50 des Lissabon-Vertrags (Mechanismus zum Austritt, Anm.) kommt erst ins Spiel, wenn das zum Austritt bereite Land selbst einen entsprechenden Antrag an die EU stellt. Das müsste die Regierung in London tun. Dafür wiederum gibt es aber im EU-Recht keinen Zeitplan. Großbritannien bleibt also trotz des Ja zum Brexit weiterhin in der EU, bis der Austritt tatsächlich erfolgt.

Für Großbritannien kommt in dieser ohnehin schwierigen Situation noch hinzu, dass Schottland unverhohlen bei der EU bleiben möchte und deswegen ein zweites Unabhängigkeitsreferendum plant. Sollte dies durchgehen und Schottland sich abspalten, könnte aus Großbritannien tatsächlich "Little England" werden. Doch auch bei den Briten wächst der Unmut über das Brexit-Votum: Eine Internet-Petition "#Whathavewedone" mit allein über 3,6 Millionen Unterstützern in vier Tagen fordert ein zweites Referendum, um nicht aus der EU ausscheiden zu müssen.

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