Nach dem Brexit:

Zerbricht Europa, Herr Portisch?

Österreich
25.06.2016 17:01

Nach dem Brexit blickt Hugo Portisch, der dem österreichischen Fernsehpublikum jahrzehntelang die Welt erklärt hat, in die Geschichte und in die Zukunft Europas. Im Gespräch mit Conny Bischofberger bewertet er die Entscheidung der Briten, zeigt die Fehler der EU auf und warnt vor Populisten, die "Ängste geschürt und die Menschen mit Lügen verführt haben".

Ein stilles Tal mit Zypressen, Pinien und silbergrün glitzernden Olivenhainen. Obwohl Hugo Portisch den Sommer mit seiner Frau Traude in seinem toskanischen Refugium verbringt, hebt er am österreichischen Handy ab. "Warten Sie, ich geh auf die Terrasse, dort hat meine Antenne einen besseren Empfang." Der quirlige Achtundachziger hat sich sein Markenzeichen bis heute bewahrt. Es ist sein herzliches Lachen, das Dynamik und Optimismus ausdrückt. Im "Krone"-Gespräch analysiert der Weltkommentator die Ursachen und Folgen des Brexit und zitiert Winston Churchill...

"Krone": Herr Dr. Portisch, wo waren Sie, als in den frühen Morgenstunden des 24. Juni die Nachricht kam, dass der Vorsprung der Brexit-Befürworter nicht mehr aufzuholen sei? Und was war Ihr erster Gedanke?
Hugo Portisch: Ich verfolgte die Stimmenauszählung über die BBC World und mein erster Gedanke war: Das werden sie noch bereuen.

"Krone": Hätten Sie es für möglich gehalten, dass eine knappe Mehrheit der Briten nicht mehr zur Europäischen Union gehören will?
Portisch: Ja, Sepp Riff und ich haben 1970 eine große TV-Dokumentation erstellt: "Englands Weg nach Europa". Da haben wir mit vielen Menschen in England gesprochen, auch vielen Politikern, und die Skepsis hat in allen Gesprächen überwogen. Sie sind widerwillig in die EU gegangen und blieben widerwillig dabei und waren nur durch dauernde Konzessionen dort zu halten.

"Krone": Welches Gefühl verursacht diese Entscheidung in Ihnen als erfahrenem Kenner der Zeitgeschichte?
Portisch: Eine falsche Entscheidung, herbeigeführt von Populisten, die Ängste geschürt und die Menschen mit Lügen verführt haben.

"Krone": Ihr Buch "Was jetzt" war ein Plädoyer für die EU als Friedens- und Solidargemeinschaft. Was hat sie falsch gemacht, dass so etwas möglich ist?
Portisch: Das habe ich in meinem Buch "Was jetzt" bereits sehr beklagt: Die EU hält ihre eigenen Regeln nicht ein, nämlich alle Angelegenheiten, die die Länder selbst regeln können, sind den Ländern zu überlassen, und nur die großen politischen Ziele, die gemeinsam gelöst werden müssen, sind von der EU zu erledigen. Das Prinzip heißt Subsidiarität.

"Krone": Die ganze Welt ist geschockt, das Pfund sank auf einen historischen Tiefstand, die Aktienmärkte spielten verrückt, Premier Cameron trat ab. Zerbricht Europa?
Portisch: Nein, der Brexit ist zu verkraften. Zerbrechen kann die EU aber an der dauernden Verweigerung an Solidarität durch die früheren Ostblockstaaten.

"Krone": Der designierte Kandidat der US-Republikaner, Donald Trump, sagt in Schottland: Die Briten hätten "wieder die Kontrolle über ihr Land" zurückgewonnen. Steht eine Rückkehr zu den Nationalstaaten bevor?
Portisch: Die Tendenz dazu ist jedenfalls vorhanden.

"Krone": Am Dienstag und Mittwoch findet der EU-Gipfel in Brüssel statt - mitten in der größten Krise dieses Nachrkiegseuropas. Was müssen Merkel und Co. jetzt tun?
Portisch: Eine gute Scheidungslösung mit England aushandeln, aber den Schaden deutlich machen, den England sich selbst zugefügt hat.

"Krone": Kanzler Kern hat in einer ersten Stellungnahme versichert, dass es kein Referendum in Österreich geben werde - wie sehen Sie dieses Instrument der direkten Demokratie?
Portisch: Referenden öffnen der Demagogie Tür und Tor. Deshalb werden sie ja von Populisten so heftig gefordert.

"Krone": Kann man sagen, wenn es nur anlassbezogen eingesetzt wird, dass dann das Volk "denen da oben" meistens einen Denkzettel verpasst?
Portisch: Genau das wäre zu erwarten.

"Krone": Die FPÖ hat bereits ein EU-Referendum gefordert. Zu Recht?
Portisch: Herr Strache war da vorsichtiger: Referendum erst nach Verhandlungen mit der EU, und dann Abstimmung über die Resultate.

"Krone": Das Thema unkontrollierte Zuwanderung hat eine große Rolle in der Kampagne der Brexit-Befürworter gespielt. Wie soll die Politik mit den Ängsten der Menschen umgehen?
Portisch: Darunter leidet die gesamte Flüchtlingspolitik, sie wurde den Völkern nicht verständlich gemacht, ihre Ziele und Grenzen wurden nicht festgelegt und damit hat man Ängste und Widerstand erregt.

"Krone": Ist Australien mit der restriktiven Zuwanderungspolitik oder Deutschland mit der "Refugees Welcome"-Politik die bessere Lösung?
Portisch: Weder noch, Australien ist ein Einwanderungsland, das nur Leute hereinlässt, die für immer bleiben, Australier werden wollen. Flüchtlinge sind Menschen in Not, denen im Moment geholfen werden muss und die nicht von vornherein Einwanderer sind.

"Krone": Wer wird auf lange Sicht der größere Verlierer sein: Großbritannien oder die Europäische Union?
Portisch: Beide werden etwas verlieren, aber die EU wird das rasch verkraften, England dagegen wird noch mit großen Problemen zu kämpfen haben.

"Krone": Ist der Ausgang des britischen Referendums vielleicht auch eine Chance, wenn ja welche?
Portisch: Ja, die EU wird die Subsidiaritätsrechte ihrer Mitgliedsstaaten erstmals wirklich zu beachten haben, aber gleichzeitig die notwendige Wirtschaftsunion endlich verwirklichen können, gegen die sich England immer gestellt hat.

"Krone": Oft wird die Schweiz ins Treffen geführt: Die sei ja auch nicht bei der EU und lebe ganz gut damit. Gilt das auch für Großbritannien, das "See EU" gesagt hat?
Portisch: Die Schweiz muss sich die Nicht-Mitgliedschaft unendlich teuer erkaufen, mit mehr als 100 Einzelverträgen. Das kann sich nur die Schweiz leisten, England sicher nicht.

"Krone": Sie haben noch die Zeit erlebt, in der England gegen Deutschland Krieg geführt hat. Aus diesem Wissen: Sehen Sie mit Bangen in die Zukunft?
Portisch: Nein, gewiss nicht. Gerade von diesen Kriegen haben beide Länder gelernt, miteinander rücksichtsvoll umzugehen.

"Krone": Schaffen Deutschland und Frankreich, was Winston Churchill einst gefordert hat?
Portisch: In seiner großen Europarede, 1946 in Zürich. Churchill forderte Frankreich auf, sich mit Deutschland zu versöhnen, und beide, die Vereinigten Staaten von Europa zu gründen. Allerdings - schon damals! - ohne England. England und die USA würden sie dabei wohlwollend unterstützen. Insofern haben sie das ganz gut hingekriegt (lacht).

"Krone": Ihre Vision eines Europa im Jahr 2025?
Portisch: Die EU wird eine echte Wirtschaftsgemeinschaft sein, der Euro eine gesamteuropäische Währung - und England wird wieder dazugehören. Die ehemaligen Ostblockstaaten aber vielleicht nicht mehr...

Seine Geschichte
Geboren am 19. Februar 1927 in Pressburg. Studium der Geschichte, Germanistik, Anglistik und Publizistik. 1948 beginnt seine herausragende journalistische Karriere. Als ORF-Korrespondent erlebte und erzählte Hugo Portisch Weltgeschichte. Seine letzten beiden Bücher wurden wahre Bestseller. "Was jetzt" ist eine kritische Europa-Analyse, "Aufregend war es immer" seine Lebensgeschichte (beide erschienen im ecowin-Verlag).

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