"Gehen unseren Weg"

Davutoglu-Rückzug: Lässt Erdogan EU-Deal platzen?

Ausland
06.05.2016 18:54

Bereits einen Tag nach der Rückzugsankündigung von Premier Ahmet Davutoglu machte sich der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan daran, die Errungenschaften des scheidenden Regierungschefs wieder einzukassieren. In einer Rede torpedierte er am Freitag den ausgehandelten Flüchtlingspakt mit der EU: "Wir gehen unseren Weg, geht Ihr euren", sagte er in Richtung EU.

Obwohl er noch im Amt ist, zeigt sich am Freitag deutlich, wie wenig Davutoglu noch zu sagen hat. Bei einem Besuch in seiner Heimatstadt Konya sprach er gerade einmal zehn Sekunden zu AKP-Anhängern. Erdogan dagegen strotzte im türkischen Fernsehen nur so voller Selbstvertrauen und schoss scharf in Richtung EU.

Keine Änderungen an Anti-Terror-Gesetzen
"Die Europäische Union fordert von uns: Ändert das Anti-Terror-Gesetz für Visa! In diesem Fall werden wir sagen: 'Wir gehen unseren Weg, geht Ihr euren'", so Erdogan. Änderungen an den Anti-Terror-Gesetzen gehören zu den 72 Kriterien, die von der Türkei für die Visafreiheit erfüllt werden müssen. Bei Erdogans öffentlicher Ansprache in Istanbul feierte ihn die Menge frenetisch und skandierte: "Steh aufrecht, beuge dich nicht!"

Erdogan droht mit Grenzöffnung
Der türkische Präsident war noch nie ein Fan der Vereinbarung mit den Europäern, zudem steht er der EU insgesamt zunehmend kritisch gegenüber. Während sich Davutoglu um eine Annäherung an Brüssel bemühte, ging Erdogan immer wieder auf Konfrontation. "Mehr noch als die Türkei die Europäische Union benötigt, braucht die Europäische Union die Türkei", hatte er kürzlich gesagt. Schon vor Monaten hatte er auch damit gedroht, die Grenzen zu öffnen und die Flüchtlinge weiter nach Europa ziehen zu lassen.

Erdogan beäugte das Vorgehen Davutoglus, der in der Flüchtlingskrise ein enges Vertrauensverhältnis besonders zu Deutschlands Bundeskanzlerin Angela Merkel aufbaute, mit großem Misstrauen. Dass Davutoglu den Flüchtlingspakt zum Abschluss brachte, war der größte politische Erfolg des Premiers. Für die Rücknahme von Flüchtlingen bekam die Türkei vor allem in Aussicht gestellt, dass ihre wichtigste Forderung erfüllt wird: das Ende der als demütigend empfundenen Visapflicht für Türken.

Tritt Visafreiheit für Türken Ende Juni in Kraft?
Die EU-Kommission hatte erst am Mittwoch empfohlen, die in den Mitgliedsstaaten hoch umstrittene Visafreiheit Ende Juni in Kraft treten zu lassen. Voraussetzung allerdings ist, dass die Türkei von den insgesamt 72 Bedingungen jene fünf erfüllt, die noch offen sind. Und besonders bei einer dieser Bedingungen gibt es aus Sicht Erdogans ein Problem: bei der Änderung der Terrorgesetze in seinem Land. Die EU fordert, die Definition von Terrorismus einzugrenzen, damit die Gesetze beispielsweise nicht gegen Regierungskritiker missbraucht werden können.

Erdogan allerdings will nicht eine Eingrenzung, sondern eine Ausweitung der Definition von Terrorismus im türkischen Strafrecht. So kündigte er nach einem erneuten Anschlag im März in Ankara an, mit der "Eisenfaust" vorgehen zu wollen. "Nur weil jemand einen Titel wie Abgeordneter, Akademiker, Autor, Journalist oder Leiter einer Nichtregierungsorganisation trägt, ändert das nichts an der Tatsache, dass diese Person eigentlich ein Terrorist ist", sagte er damals.

Berlin pocht auf Einhaltung des EU-Türkei-Deals
Die deutsche Bundesregierung dürfte ahnen, dass die Umsetzung des Pakts ohne Davutoglu nun deutlich schwieriger wird. "Das Vereinbarte muss nun von beiden Seiten weiter konsequent umgesetzt werden, und das völlig unabhängig von handelnden Personen - von der Türkei genauso wie in Europa", sagte Außenminister Frank-Walter Steinmeier gegenüber "Spiegel Online". "Vereinbarungen werden mit Staaten und Regierungen abgeschlossen, nicht mit Einzelpersonen."

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