Abertausende Tote

Seit 1970: Die Blutspur des Terrors durch Europa

Ausland
24.03.2016 06:03

Die blutigen Anschläge von Brüssel am Dienstag und von Paris im vergangenen November haben Europa wieder in den Mittelpunkt des weltweiten Terrors gerückt. Das ist freilich nichts Ungewöhnliches, wenn man auf die Geschichte des Kontinents blickt (Video oben): Speziell von den 70er- bis zu den 90er-Jahren, wo jährlich bis zu 400 Menschen bei Anschlägen ums Leben kamen, hielt der Terror Europa immer wieder in Atem. Viele Attentate von damals, wie jene während des Nordirland-Konflikts oder im spanischen Baskenland, sind fast schon in Vergessenheit geraten, standen aber von der Brutalität her jenen von Brüssel und Paris um nichts nach.

Terrorexperten von Europol sehen in den beiden jüngsten Anschlägen mit mehr als 160 Toten die Rückkehr des Terrors nach Europa - genauer gesagt nach Westeuropa. Eigentlich vermutete man, dass sich der Terrorismus auf andere Kontinente - vor allem Richtung Naher Osten - verlagern würde.

Terror-Rückgang in Europa - doch dann kam Paris
Nach der Jahrtausendwende, in den Jahren von 2001 bis 2014, beklagte Westeuropa etwa insgesamt 420 Terroropfer (auf die weltweiten Opferzahlen bei Terroranschlägen gerechnet waren das 0,3 Prozent). Zwischen 2006 und 2014 waren es in den EU-Mitgliedsstaaten sogar "nur" 48. Zum Vergleich: In den 70er-, 80er-, und 90er-Jahren kamen teils in einem einzigen Jahr mehr als 400 Menschen durch Terror ums Leben. Europol beruft sich dabei auf die Statistiken der Global Terrorism Database der University of Maryland in den USA.

Grafik: Zahl der Terroropfer seit 1970 in Frankreich und in der EU

Von den 70er- bis zu den 90er-Jahren hielten vor allem terroristische oder separatistische Organisationen wie die katholische IRA in Nordirland, die baskische ETA in Spanien, die linksextreme RAF in Deutschland oder die kommunistischen Roten Brigaden sowie die neofaschistische Ordine Nuovo in Italien Europa in Atem.

Eine Chronologie der schlimmsten Anschläge Europas seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs (ohne Anspruch auf Vollständigkeit):

  • Baskenland-Konflikt (ab 1959): Die Euskadi Ta Askatasuna, kurz ETA, kämpft in Spanien als separatistische Untergrundorganisation jahrzehntelang mit Terroranschlägen für ein unabhängiges Baskenland. Bis 2009 werden von der ETA 823 Menschen getötet.
  • Nordirland-Konflikt (1969-1998): Insgesamt rund 3500 Menschen - primär in Großbritannien und Nordirland - müssen wegen der jahrelangen Außeinandersetzungen zwischen der katholischen Minderheit und den Protestanten ihr Leben lassen. Insgesamt gibt es in den knapp 30 Jahren mehr als 10.000 Bombenattentate, verübt von der katholischen Irisch-republikanischen Armee (IRA), der protestantischen Ulster Defence Association (UDA) oder anderen kriminellen Untergrundorganisationen. Beim schwersten Anschlag 1998 in der Kleinstadt Omagh werden 29 Menschen getötet und 220 verletzt. Zu diesem Attentat bekennt sich die "Real IRA", eine Splittergruppe der IRA.
  • RAF-Attentate in Deutschland (70er- und 80er-Jahre): Insgesamt fordern Anschläge der Roten Armee Fraktion (RAF), einer linksextremen terroristischen Vereinigung, 34 Menschenleben. Bei Sprengstoffattentaten werden zudem mehr als 200 Menschen verletzt, viele der Opfer sind Polizisten und Soldaten sowie Führungskräfte aus Politik und Wirtschaft.
  • Arabischer Terror in der Schweiz (21. Februar 1970): Kurz nach dem Start am Flughafen Zürich explodiert im Frachtraum einer Swissair-Maschine eine von palästinensischen Terroristen deponierte Bombe. Der Kapitän versucht nach der Detonation, nach Zürich zurückzufliegen, das Flugzeug stürzt jedoch in einen Wald. 38 Passagiere und neun Besatzungsmitglieder kommen ums Leben.
  • Olympia-Attentat in München (5. September 1972): Acht bewaffnete Mitglieder der palästinensischen Terrororganisation Schwarzer September stürmen im Olympischen Dorf der Spiele von München das Quartier der israelischen Mannschaft und nehmen elf Sportler als Geiseln. Zwei werden sofort ermordet. Bei einem Befreiungsversuch auf dem Militärflughafen Fürstenfeldbruck sterben am selben Abend die weiteren neun Geiseln, ein deutscher Polizist und fünf der Terroristen.
  • NAR-Bombe in Italien (2. August 1980): Im Wartesaal des Bahnhofs von Bologna explodiert eine Bombe. 85 Menschen werden getötet und 200 weitere verletzt. Zwei Mitglieder der rechtsextremen Terrorgruppe "Bewaffneter Revolutionärer Stoßtrupp" (NAR) werden dafür später zu lebenslanger Haft verurteilt.
  • Lockerbie-Anschlag (1988): 270 Menschen verlieren nach einem Sprengstoffanschlag auf ein Flugzeug der US-Fluglinie Pan Am über dem schottischen Lockerbie ihr Leben. Der libysche Machthaber Muammar al-Gaddafi soll das Attentat persönlich angeordnet haben. Mit 189 toten US-Amerikanern gilt es bis zu den Terroranschlägen vom 11. September 2001 als verlustreichster Anschlag gegen US-Bürger.
  • Bombenserie in spanischen Vorortezügen (11. März 2004): Bei einer Serie von Sprengstoffanschlägen auf Nahverkehrszüge in Madrid werden 191 Menschen in den Tod gerissen, etwa 1800 werden verletzt. Die Attentäter greifen am frühen Morgen überfüllte Pendlerzüge an. Sie haben insgesamt zehn Sprengsätze in ihren Rucksäcken versteckt.
  • U-Bahn-Terror in Großbritannien (7. Juli 2005): Bei Anschlägen in U-Bahnen und Bussen in London reißen vier Selbstmordattentäter 52 Menschen mit in den Tod. Zu den Anschlägen bekennt sich die Terrororganisation Al-Kaida.
  • Breivik-Massaker in Norwegen (22. Juli 2011): Der Rechtsextremist Anders Behring Breivik zündet eine Bombe im Regierungsviertel von Oslo, acht Menschen werden getötet. Anschließend erschießt er 69 Jugendliche in einem Sommerlager auf der Insel Utöya.
  • Islamistischer Terror in Frankreich (7. bis 9. Jänner 2015): Die Islamisten Cherif und Said Kouachi erschießen bei einem Anschlag auf die Pariser Satirezeitung "Charlie Hebdo" am 7. Jänner zwölf Menschen. Am 8. Jänner erschießt ein Komplize, der IS-Anhänger Amedy Coulibaly, im Süden der Stadt eine Polizistin. Während die Kouachi-Brüder sich in einer Druckerei nördlich von Paris verschanzen, bringt Coulibaly am 9. Jänner in einem jüdischen Supermarkt der französischen Hauptstadt zahlreiche Menschen in seine Gewalt und tötet vier von ihnen. Bei Polizeieinsätzen werden die Islamisten erschossen.
  • Terrornacht von Paris (13. November 2015): Bei Anschlägen von mehreren IS-Attentätern werden 130 Menschen getötet. Wenige Tage später wird der als Drahtzieher geltende belgische Islamist Abdelhamid Abaaoud bei einem Anti-Terror-Einsatz in Saint-Denis getötet. Am vergangenen Freitag wird Salah Abdeslam, der als Mittäter gilt, bei einem Einsatz in Brüssel gefasst. Laut der belgischen Regierung sagte Abdeslam aus, auch "etwas" in Brüssel geplant zu haben.
  • Doppelattentat von Brüssel (22. März 2016): Zwei Bomben detonieren am frühen Morgen am Flughafen Zaventem, eine in einer U-Bahn-Station in der belgischen Hauptstadt Brüssel. Mindestens 31 Menschen sterben, 272 werden verletzt.

Grafik: Wie sicher ist Europa?

141.000 Terroranschläge weltweit seit 1970
Weltweit gab es seit 1970 mehr als 141.000 Terroranschläge, die von mehr als 2700 aktiven Terrorgruppen verübt wurden. Bei den Terrorakten zwischen 2001 und 2014 wurden insgesamt mehr als 135.000 Menschen getötet, rund 80 Prozent aller Opfer waren Muslime. Mit mehr als 12.000 Ermordeten haben die Taliban die meisten Menschen auf dem Gewissen, es folgen die Islamisten von Boko Haram in Nigeria, dem IS im Irak und Syrien sowie Al-Kaida. Als nächstes folgt die erste nicht-islamistische Terrororganisation, eine kommunistische Untergrundgruppe in Indien.

Grafik: Die schlimmsten Terrororganisationen

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