"Krone"-Interview

Können Sie diesen Kampf gewinnen, Herr Dr. Rainer?

Österreich
21.02.2016 08:21

Ein Arzt mit exzellentem Zeugnis wird gefeuert, weil er sich gewerkschaftlich engagiert. Im roten Wien! Dr. Gernot Rainer hat Conny Bischofberger erzählt, was hinter den Kulissen abgelaufen ist.

Donnerstag, später Abend in der Gemeinschaftsordination "Imed19" im Wiener Cottageviertel. Der letzte Patient ist gerade gegangen, Dr. Gernot Rainer (37) sitzt vor einer Berglandschaft in Schwarz-Weiß, er sieht müde aus. "Ich bin es nicht gewohnt, dass ich als Person im Fokus stehe", sagt der Mediziner, dessen Dienstvertrag am Otto-Wagner-Spital trotz bester Dienstbeschreibung (hohe Lernbereitschaft, aktives Eingehen auf die psychischen und physischen Bedürfnisse der Patienten, überdurchschnittliche Belastbarkeit, ausgeprägtes analytisches Denkvermögen und sicherer Blick für das Wesentliche) nicht verlängert wurde. Die Begründung: "Mangel an Identifikation mit den Gesamtinteressen der Stadt Wien".

Der wahre Grund: Rainer hat eine Art Gewerkschaft, den Verein "Asklepios", gegründet, die der Österreichische Gewerkschaftsbund aber nicht anerkennen will. 25 neue Mitglieder verzeichnet "Asklepios" seit dem Rauswurf des Lungenfacharztes pro Tag. "Die Solidarität ist enorm", lächelt Rainer. Er hat freundliche graublaue Augen und seine Stimme ist so leise, dass die Klicks des "Krone"-Fotografen manchmal die Erzählungen übertönen.

"Krone": Herr Dr. Rainer, haben Sie es schon bereut, eine Ärztegewerkschaft mit dem schrulligen Namen "Asklepios" gegründet zu haben?
Dr. Gernot Rainer: Asklepios ist der Name des griechischen Gottes der Heilkunst. Ein paar Mal ist das schon passiert. Als wir vor dem Bundeseignungsamt gesessen sind zum Beispiel, konfrontiert mit Ärztekammer, Wirtschaftskammer, ÖGB. Wir haben gefragt, wieso der ÖGB Parteistellung hat, da wurde uns - typisch österreichisch - gesagt: Weil das schon immer so war. Aha, fragte ich, und welche juristische Grundlage hat das? Da ist der Anwalt des ÖGB aufgestanden und gegangen. Also es gibt zwar das Grundrecht, eine Gewerkschaft zu gründen, nur wehe, du tust es wirklich!

"Krone": Ihr Vertrag am Otto-Wagner-Spital wurde jetzt nicht mehr verlängert. Bleiben Sie trotzdem "Asklepios"-Vorsitzender?
Dr. Rainer: Natürlich. Die erste Generalversammlung war vor einem Jahr, laut Statuten haben wir uns für drei Jahre wählen lassen, das werde ich auf jeden Fall wahrnehmen.

"Krone": War nicht klar, dass Ihr Engagement Ärger mit der Konkurrenz bringen würde?
Dr. Rainer: So blauäugig war ich nicht, zu glauben, dass es problemlos gehen und keine Konsequenzen haben würde. Überrascht hat mich die Brutalität. Als mein Fall von der Dauervertragskommission behandelt wurde - ich weiß übrigens bis heute nicht, wer da drinnen gesessen ist - dachte ich doch, dass es einen positiven Bescheid geben muss. Vor allem vor dem Hintergrund meiner sehr guten fachlichen Bewertung und des eklatanten Fachärztemangels. Jede Arbeitskraft, die wegfällt, reißt personelle Lücken, und das sollte doch im Interesse des Patienten überwiegen. Auch wenn man sagt: "Der ist unbequem."

"Krone": Sind Sie unbequem?
Dr. Rainer: Ich habe mich selber nie so wahrgenommen, um ehrlich zu sein. Ich habe meine Prinzipien, die verfolge ich, auch wenn das Klima rauer wird. Deshalb werde ich das vor dem Arbeitsgericht durchfechten.

"Krone": Hand aufs Herz, können Sie diesen Kampf gewinnen?
Dr. Rainer: Das wird man sehen. Viele sind vom Verhalten des ÖGB schwer enttäuscht. Es ist doch klar, dass ein Gewerkschafter, der gleichzeitig SPÖ-Parteimitglied ist, und vielleicht noch in anderen Funktionen tätig ist, einen Interessenskonflikt hat. Deshalb kommt jetzt auch sehr viel Zuspruch von anderen Seiten. Viele haben natürlich eine Eigenmotivation, das ist mir schon klar. Trotzdem wäre es idiotisch, mich nicht unterstützen zu lassen. Aber ich werde mich nicht vereinnahmen lassen.

"Krone": Halten Sie eine Wiedereinstellung für möglich?
Dr. Rainer: Ich weiß es nicht. Ich habe auch dieses Echo nicht für möglich gehalten. Dass die "Krone" jetzt hier sitzt zum Beispiel. Ich dachte, dass sich alle sagen: "Das ist eine Sauerei, aber es schaut ihnen ähnlich." Und dass sich in einer Woche niemand mehr dafür interessiert. Also man wird sehen. Ich habe die Dinge jetzt nicht mehr in der Hand.

"Krone": Was ist das für ein Gefühl?
Dr. Rainer: Es ist eine Mischung aus gedemütigt, verletzt, aber auch bestärkt. Gerade im Spital sind ganz viele Leute gekommen und haben mir Glück gewünscht. Es ist doch sehr, sehr viel Fokus auf meiner Person jetzt. Darum ist es mir aber nie gegangen. Sondern um gute Arbeitsbedingungen im Spital - nicht nur für Ärzte, sondern auch für Pfleger, Abteilungshelfer, für alle! Daraus resultiert letztendlich gute Medizin mit einer guten Patientenversorgung.

"Krone": Welche Medizin haben wir in Ihren Augen jetzt?
Dr. Rainer: Es gibt einen hässlichen Trend. Krankenhäuser als Fabriken, Menschen als Versatzstücke zu sehen. Ich bin wirklich der festen Überzeugung, dass wir uns momentan an einem Wendepunkt befinden. Er wird sich zeigen, wohin sich das Gesundheitssystem entwickelt. Da schwappt eine Denkart aus England und auch aus den Vereinigten Staaten herüber, die eine maschinistische Vorstellung von Medizin propagiert.

"Krone": Ihr Fall wird jetzt zum Politikum. Können Sie verstehen, dass die Stadt Wien Sie nicht mehr haben will?
Dr. Rainer: Meine Ebene ist nicht die hohe Politik. Meine Ebene ist die Vertretung von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern, der Versuch, positiv auf das öffentliche Gesundheitssystem einzuwirken. Aber wenn ich als einfacher Wähler darüber urteilen müsste, dann verstehe ich die SPÖ, deren Grundprinzip es sein müsste, aufzuspringen und mich zu verteidigen, natürlich nicht. Die muss sich so weit von dem entfernt haben, was sie dereinst war, das ist erschütternd.

"Krone": Man wirft Ihnen "Mangel an Identifikation mit den Gesamtinteressen der Stadt Wien" vor.
Dr. Rainer: Diese Begründung halte ich für dumm, das hätte ich an ihrer Stelle nicht in den Ablehnungsbescheid hineingeschrieben. Weil es zeigt, dass es hier um brutalen Machterhalt geht, um nichts anderes. Ich habe mich immer mit meiner Abteilung identifiziert, ich mag nur die Bedingungen nicht. Dass wir als Ärzte immer weniger Zeit für unsere Patienten haben, das mag ich nicht. Aber das darf man in Österreich offenbar nicht kritisieren.

"Krone": Ihre direkte Vorgesetzte ist ärztliche Leiterin des Otto-Wagner-Spitals - und Ehefrau des Wiener Bürgermeisters. Welche Rolle hat Barbara Hörnlein gespielt?
Dr. Rainer: Ich bin ihr nur einmal begegnet, das war ein unglücklicher Moment. Es war im Sommer letzten Jahres, ich wurde wegen einer Verwarnung in die ärztliche Direktion zitiert. Ich wusste, dass das die Vorstufe zu dem war, was jetzt passiert ist. Kollege Wolfgang Weismüller, das rechne ich ihm immer noch hoch an, hat mich begleitet. Ich war mit einer Juristin konfrontiert, die zwei Papiere - man könnte auch sagen: Anklageschriften gegen mich - vorbereitet hatte. Einmal: Ich unterschreibe, dass ich den internen E-Mail-Verteiler für meine Gewerkschaftsmails verwendet habe. Und einmal: Ich unterschreibe es nicht, aber es sind genug Zeugen anwesend, damit es auch ohne mich unterschrie das in einer Weise, die mich wirklich ganz massiv einschüchtern sollte. Letztlich sollte der Grundstein für eine potenzielle Vernichtung gelegt werden.

"Krone": Haben Sie unterschrieben?
Dr. Rainer: Nein, wir schlossen ein schriftliches Abkommen, dass ich künftig diesen E-Mail-Verteiler nicht mehr verwenden werde, was ich auch nie mehr getan habe.

"Krone": Sind Sie Sozialdemokrat?
Dr. Rainer: Ich war immer Wechselwähler, doch links der Mitte anzusiedeln.

"Krone": Werden Sie nochmal SPÖ wählen?
Dr. Rainer: Derzeit nicht.

"Krone": Wenn dieses Interview erscheint, haben Sie einen Nachtdienst im Otto-Wagner-Spital hinter sich. Gehen Sie jetzt mit einem anderen Gefühl dorthin?
Dr. Rainer: Ganz ehrlich: Ja... Ich hoffe, das klingt nicht paranoid, aber da ist ein latentes Gefühl des Unbehagens. Ich ertappe mich beim Gedanken, dass theoretisch jemand mitlesen könnte, wenn ich in den Computer einsteige. Solche Gedanken waren vorher nicht da.

"Krone": Möchten Sie wieder im Otto-Wagner-Spital arbeiten?
Dr. Rainer: Mir liegt erschütternd viel an der Abteilung. Es tut weh, meine Patienten im Stich lassen zu müssen. Ich mag auch das Areal, ich mag die Intensivmedizin, diese extreme Herausforderung, schwerstkranken Patienten, die dem Tod näher als dem Leben sind, zu behandeln.

"Krone": Könnten Sie auch von der Ordination hier leben?
Dr. Rainer: So wie sie momentan aufgestellt ist noch nicht. Wenn ich sie erweitern kann, dann bin ich optimistisch.

"Krone": Angst vor der Zukunft?
Dr. Rainer: Akut nicht. Es gibt meiner Meinung nach nur zwei realistische Szenarien: Entweder wird der Druck und die Eskalation so groß, dass man zurückrudert. Dann werde ich eingestellt, aber jemand muss schuld sein. Die andere Variante ist, dass ich die nächsten Jahre durchhalte und es durchjudiziere. Was mit der Volksanwaltschaft wird, das wird man sehen. Ich hoffe, dass meine Person nicht noch weiter angegriffen oder mein Ruf massiv diskreditiert wird. Und für meinen Prozess habe ich glücklicherweise eine Rechtsschutzversicherung, die das zahlt.

"Krone": Könnten Sie sich vorstellen, aus Wien wegzugehen und woanders noch einmal neu anzufangen?
Dr. Rainer: Nein, denn ich habe einen viereinhalbjährigen Sohn. Ich liebe meinen Kleinen, ich könne nie ohne ihn leben.

"Krone": Wird er einmal stolz auf Sie sein?
Dr. Rainer: Wenn er zu dem Menschen wird, der ich hoffe, dass er wird, dann glaube ich ja. Dann wird er wissen, dass es einen Moment in meinem Leben gab, in dem ich fremdbestimmt war, in dem ich es nicht mehr in der Hand hatte. Aber das Wichtige war, zu sagen: Ich lasse mir das nicht gefallen. Das bereue ich keine Sekunde, was auch immer daraus wird.

"Krone": Wenn Sie morgen einen anderen Beruf wählen müssten, was wäre es dann?
Dr. Rainer: Ich kann mir nichts anderes vorstellen. Egal, was auch immer ich tue, ich könnte nie, nie aufgeben, Arzt zu sein.

Seine Karriere
Geboren am 27. 10. 1978 in Klagenfurt, Medizinstudium 2004 abgeschlossen. Lungenfacharzt seit 2013, Intensivmediziner am Otto-Wagner-Spital in Wien seit 2015. Von docfinder.at zum beliebtesten Lungenarzt Österreichs gewählt. Geschieden, ein viereinhalbjähriger Sohn. Lebensmotto: "Alles, was wir hören, ist eine Meinung, keine Tatsache. Alles, was wir sehen, ist eine Perspektive, nicht die Wahrheit." (Marc Aurelius)

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