"Krone"-Interview

Jack Garratt: Der Stevie Wonder der Neuzeit

Musik
17.02.2016 17:00

Der erst 24-jährige Brite Jack Garratt erlebt derzeit die Monate seines Lebens. Er ist nicht nur BBC-Newcomer des Jahres und tritt damit in die Fußstapfen von Sam Smith, Adele und Co., sondern gewann auch den BRIT Critics Choice Award und veröffentlicht mit seinem Debüt "Phase" eines der spannendsten Alben des Jahres. Bevor er bald endgültig durch die Decke gehen wird, haben wir ihn zum Talk gebeten und nachgefragt, wie er dem kommenden Hype begegnet, was ihn Blues-Open-Mic-Nights gelehrt haben und weshalb Musiker die besten Lehrer sind.

(Bild: kmm)

"Krone": Jack, du bist der Gewinner der BBC Soundlist 2016 und hast auch beim BRIT Award abgeräumt. Wie fühlt es sich an, jetzt so plötzlich und massiv im Rampenlicht zu stehen?
Jack Garratt: Es ist erschreckend. (lacht) Es ist sehr eigenartig, aber ich bin natürlich froh und stolz über die Auszeichnungen. Ich habe mich aber nicht extra dafür ins Zeug gelegt und proaktiv versucht, sie jemandem wegzunehmen, sondern sie wurden mir verliehen. Das alles passierte außer meiner Kontrolle. (lacht) Ich weiß zwar, dass es passieren wird, aber ich will eigentlich nicht, dass die Leute dadurch etwas Besonderes von mir erwarten. Ich hoffe einfach, dass mein Debütalbum "Phase" all diese Erwartungen erfüllen kann. Ich bin sehr stolz auf dieses Werk und weiß natürlich, welcher Druck da mitschwingt. Selbst wenn ich die Awards gerne ausblenden würde, lässt sich das nicht realisieren. (lacht) Ich habe derzeit einfach nur die Zeit meines Lebens, weil ich die Musik teilen kann, die ich liebe - und ich hoffe, die Menschen gehen ein Stück des Weges mit mir mit.

"Krone": Wenn du dir die BBC-Gewinner der letzten Jahre so ansiehst, dann kannst du davon ausgehen, dass sich dein Leben nun fundamental verändern wird. Fühlst du dich für die Zukunft vorbereitet?
Garratt: Nein, aber niemand ist für die Zukunft vorbereitet. Du weißt weder, was die nächsten fünf Monate, noch die nächsten fünf Stunden passieren wird. Die meisten der von dir angesprochenen Künstler haben natürlich immensen Erfolg, aber wenn du dir ihre Alben anhörst, dann weißt du auch genau warum. Adele und Sam Smith sind natürlich herausragende Beispiele für eine Weltkarriere, aber auch Jessie J oder Tom Odell haben bei der BBC- oder BRIT-Wahl schon gewonnen und sind zwar erfolgreich, aber nicht zu absoluten Mega-Weltstars mutiert. Auch Michael Kiwanuka ist jetzt kein Name, den jeder kennt, und trotzdem bürgt er für Qualität. Was ich damit sagen will ist, dass alles passieren kann. Ich habe das auch nicht unter Kontrolle. Das ist einerseits etwas furchteinflößend, andererseits aber auch sehr schön. (lacht)

"Krone": Glaubst du, dass diese Lobpreisungen daher rühren, dass du auf "Phase" etwas Neues fabriziert hast? Du bedienst dich zwar aus verschiedenen Genres, aber es wirkt in der Umsetzung und in den Arrangements trotzdem alles sehr frisch. Wurde bei dir einfach der Mut belohnt?
Garratt: Ich sehe das anders. Es ist nicht unbedingt mutig, eine Musik wie meine zu machen und ich bin mir auch ziemlich sicher, dass die Leute etwas Ähnliches schon längst gehört haben. Sogar ich habe das gehört, weil mich diese Art von Musik inspiriert hat. Nicht gleich, aber eben ähnlich. Ich sage immer gerne, dass Stevie Wonder, hätte er in den 60er-Jahren einen Laptop besessen, eine ähnliche Musik wie ich gemacht hätte. So was, wie etwa James Blake und viele andere, die vor Kreativität strotzen, viele Instrumente spielen und einfach selbstsicher in ihrer Arbeit sind. Stevie Wonder hat auch selbst alle Instrumente gespielt und seine Musik produziert - er hat seine Songs mit Technikern und anderen Musikern aufgenommen, aber alles andere hat er selbst gemacht. Ich würde nicht behaupten, dass ich etwas Mutiges oder Neues mache, sondern einfach nur umsetze, was ich kann. Ich bin einfach echt und aufrichtig und ich weiß, dass viele glauben werden, das ist gelogen. Aber ich kann versprechen, dass jeder einzelne Song, den ich bislang veröffentlichte, von meinem Kopf direkt in meine Finger floss und darauf bin ich sehr stolz.

"Krone": Hörer wollen Musik gerne in gewissen Schubladen haben, sich an bestimmten Genrebezeichnungen orientieren können. Wo würdest du deine Musik hinstecken? Wie würdest du einem Unbedarften deine Kunst erklären?
Garratt: Ich würde ihnen einfach meine Musik vorspielen, eine Einordnung wäre schwierig. Es ist nicht leicht, mich wo einzuordnen, da bei mir alle Songs sehr unterschiedlich klingen und sich stilistisch nicht stringent fortziehen. Aufgrund meines Songs "Worry" bin ich derzeit damit konfrontiert, dass die Leute mich als eine elektronische Variante von Ed Sheeran sehen, was ich nicht wirklich nachvollziehen kann. Natürlich hat deshalb niemand Unrecht, denn in der Musik gibt es keine falschen Antworten und jeder hat seine Meinung, aber wenn du dir alle anderen Songs anhörst, dann hat das gar nichts mehr mit Sheeran zu tun. Ich finde es sehr wichtig, dass die Leute sich ihre Schubladen selber basteln und alles für sich entdecken. Ich will einfach, dass die Menschen nach einem Song glauben mich zu kennen, beim nächsten Song aber mit ihrer Suche wieder von vorne beginnen müssen. Das macht auch viel mehr Spaß, als sich zu wiederholen.

"Krone": Hast du dich textlich an einem bestimmten Thema entlanggehangelt?
Garratt: Manche Songs hängen zusammen. Ich sehe meine Songs als eine Art Briefe, die eine Botschaft enthalten, die andere ermutigen oder sie zumindest erreichen sollten. Ein Brief hat eigentlich kein Ende, das finde ich an dieser Sache auch so spannend. Das Ende wäre die Antwort einer anderen Person, aber das passiert in meinen Songs nie. Ich gebe nur eine Gefühlslage, oder eine Seite der Emotion wieder und es wird niemals eine Antwort darauf geben. Ich mag diese Endlosigkeit, weil der Hörer dadurch auch immer wieder alles neu finden kann. Viele Songs behandeln eine Art von aufopfernder Obsession. Das passiert vor allem in den Kindheits- und Teenagerjahren, wo man ein Idol gerne wissen lassen möchte, dass man für ihn alles tun würde, sich eben für eine Sache selbst aufgibt. Die Aufmerksamkeit ist dir wichtiger als deine eigene Stellung in der Welt. Du willst, dass du damit als selbstlos angesehen wirst, obwohl natürlich der pure Egoismus dahintersteckt. (lacht) Das zieht sich durch meine Songs, weil es ein harter Kampf ist, der mich immer schon beschäftigte. Ich bin aber auch sehr gespannt darauf, in welche Beziehung die Fans diese Songs setzen, was sie für sie bedeuten.

"Krone": Du bist mehr oder weniger eine One-Man-Band, die dieses Debütalbum musikalisch alleine eingespielt hat. Fällt es dir schwer, mit anderen zu arbeiten oder bist du dennoch ein Teamplayer?
Garratt: Ich bin definitiv ein Teamplayer und ich habe eine Menge großartiger Leute um mich herum, mit denen ich schon lange zusammenarbeite. Lange bevor ich einen Plattenvertrag hatte gab es schon Menschen, die etwas in mir gesehen haben, an das ich selbst nie glaubte - damit bin ich wirklich gesegnet. Ich arbeite nicht für mein Management und das Management nicht für mich - dasselbe gilt beispielsweise auch für die Booking-Agentur. Wir arbeiten zusammen, das ist die einzig richtige Erklärung. Auf der Businessseite bin ich ein totaler Teamplayer, wenn es um den Kreativitätsprozess geht, dann fällt mir das schon wesentlich schwerer. Wenn ich Songs schreibe, dann habe ich unendlich viele Ideen, die alle aus mir rauspurzeln. Sobald aber jemand anderes im Raum ist, werde ich unsicher und nervös. Ich habe dann immer Angst, dass sie zweifeln oder mich in eine andere Richtung drehen möchten. Es ist so - wenn ich alleine im Raum bin und eine Idee habe, dann weiß ich ungefähr, wie sie in fünf Stunden erweitert sein wird. Sobald wer anderes da ist, kann derjenige sich das nicht vorstellen und der bloße Gedanke daran verunsichert mich bereits. Das würde meinen Kreativitätsprozess stören. Ich versuche eben außerhalb der gängigen Normen zu denken und zu arbeiten - als Produzent und als Musiker. Ich würde sagen, dass ich einfach noch nicht das richtige Team gefunden habe, mit dem ich auch künstlerisch gut zusammenarbeiten kann. Ich habe schon ein paar Freunde und Gäste am Album versammelt, mit denen ich gut kann. Ein paar Produzenten aus L.A. und England. Das sind auch die einzigen paar, denen ich so weit vertraue, dass ich sie mitmischen lasse. (lacht)

"Krone": Was ist an den Gerüchten dran, dass du für "Phase" mit Star-Produzent Rick Rubin zusammengearbeitet hast?
Garratt: Nichts, das ist falsch. Rick hat einem britischen Radio-DJ vor etwa zwei Jahren ein Interview gegeben und der DJ, der meine Musik schon damals unterstützte, hat Rick einen meiner Songs vorgespielt. Innerhalb einer Woche hat mich jemand seines Teams kontaktiert und so flog ich nach Malibu, um ihn persönlich kennenzulernen. Wir haben damals schon miteinander geredet, aber als eine eventuelle Zusammenarbeit zur Sprache kam, war ich unsicher, ob das passen würde. Der Grund, warum er meine Songs so gerne mochte war ja der, dass ich sie selber zusammengestellt habe. Wäre er also aufgesprungen, hätte das den Sinn der Sache irgendwie zerstört, aber klar, in Zukunft würde ich sehr gerne mal mit ihm zusammenarbeiten.

"Krone": Deine musikalische Karriere begann in London bei den klassischen Blues-Open-Mic-Nächten. Was hast du dabei gelernt und für deine weitere Karriere mitgenommen?
Garratt: Ich dachte damals einfach, ich sei ein verdammt guter Blues-Gitarrist, ging also zu diesen Bluesnächten und merkte schnell, dass ich mich radikal irrte. (lacht) Ich würde das aber wieder so machen, denn ich habe damals auch andere Musiker gesehen und viel dabei gelernt. Das Gitarrespielen habe ich übrigens immer via Videostudium gelernt. Ich habe mir etwa alle Videos von Stevie Ray Vaughn angesehen, für mich der größte Gitarrist aller Zeiten. Ich habe also seine Licks gelernt, sie bei den Bluesnächten gespielt und dann gesehen, dass die anderen das besser hinkriegen. Auf einer Bühne zu stehen und vor Leuten etwas zu spielen, dass du nicht gewohnt bist, das steigert dein Selbstbewusstsein immer - auch wenn es danebengehen sollte. Das ist nicht viel anders wie ein Komiker, der vor Publikum improvisiert. Entweder es läuft, oder eben nicht. Lernen tust du aber immer davon. Ich habe sehr viel in punkto Performance und Interaktion gelernt. Nicht nur mit dem Publikum, sondern auch mit anderen Musikern, denn du hast an solchen Abenden jedes Mal eine ganz neue Band um dich herum. Mir hat es jedenfalls den Mut gegeben, meine derzeitige Show zu machen und auch alles alleine hinzukriegen - das wäre ohne diese Bluesnächte wohl nie der Fall gewesen.

"Krone": Der letzte Song des Albums, "My House Is Your Home", zeigt dich mit einer ungemein eindringlichen Blues-Stimme bewaffnet. So als ob ein alter, lebenserfahrener Mensch in einem jungen Körper stecken würde…
Garratt: Die Leute meinen, ich würde wie jemand mit einer alten Seele sprechen. Das ist einerseits interessant, andererseits auch Bullshit. Ich weiß noch nicht genau, wo ich das einordnen soll. (lacht) Dieser Song kommt aber wohl von diesem alten Platz meiner Seele. Der Song bedeutet mir sehr viel und ist in gewisser Hinsicht auch eine Hommage zu einem meiner absolut liebsten Songwriter, Tom Waits. Er schafft es, dass ich immer ein ganz besonderes Gefühl verspüre, wenn ich seine Songs höre, aber im Gesamtkonstrukt ist die Nummer einfach einer der vielen Briefe, von denen ich zuvor sprach. Ich hatte einmal das Gefühl, diesen Song für irgendjemanden schreiben zu müssen, das floss einfach aus mir raus, wie auch alles andere. Ich fühle aber nicht, dass es in mir so einen alten Troubadour gibt, der ausbrechen möchte. Ein Teil von mir scheint aber in dieser Welt zu existieren.

"Krone": Was machst du eigentlich, wenn du nicht in irgendeiner Art und Weise an Musik arbeitest?
Garratt: Ganz ehrlich? Ich versuche zu schlafen. (lacht)

"Krone": Du warst aber ursprünglich mal Lehrer.
Garratt: Für einige Zeit sogar, ich habe es geliebt. Ich bin erst ausgestiegen, als ich wusste, dass mir in meinem Leben etwas fehlt. Ich konnte mich nicht ganz ausfüllen, deshalb konzentrierte ich mich auf die Musik. In meiner mittlerweile ziemlich spärlichen Freizeit will ich nicht nur gar nichts machen, aber definitiv so viel wie möglich chillen. Ich bin derzeit so beschäftigt, dass ich einfach nur froh bin, eine Mütze Schlaf zu bekommen. (lacht)

Jack Garratt wird seine Österreich-Premiere beim diesjährigen Frequency Festivals im August in St. Pölten feiern. Tickets und Infos zum Senkrechtstarter gibt es unter www.jackgarratt.com.

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