"Krone"-Rezension

Dream Theaters Ausflug in die Fantasywelt

Musik
01.02.2016 15:00

Die New-Yorker-Prog-Metal-Pioniere Dream Theater wissen auch nach 30 Jahren Bandgeschichte noch viel zu erzählen. Losgelöst von den Rock-/Metalriffs der alten Tage, haben sich John Petrucci und Co. für das neue Doppelalbum "The Astonishing" in ein opulent-dystopisches Gedankenspiel versetzt und orchestral verstärkt. Ein Freudenfest für Connaisseure monumentaler Klangopulenz.

(Bild: kmm)

Was macht man als Band, die in ihrem Soundkosmos mit jedem neuen Album Grenzen überschritten hat, kommerziell stets in himmelhohen Sphären schwebt und das seltene Kunststück zuwege gebracht hat, von Kritikern und Publikum gleichermaßen geliebt und respektiert zu werden? Genau - man schließt sich monatelang zwischen heimischem Kämmerchen und Studio ein, um ein mehr als zweistündiges Monumentalkonzeptwerk zu erschaffen, das Iron Maidens letztjährigen Doppelschlag "The Book Of Souls" vom Sound her und auch inhaltlich zu einer gemütlichen Nebenbeibeschäftigung degradiert.

Postapokalyptisch
Dream Theater, dem weltweilt anerkannten Prog-Metal-Kollektiv aus New York, gelingt mit "The Astonishing", dem mittlerweile 13. Studioalbum, tatsächlich etwas, an dem selbst die treuesten Fans zweifelten: Sie erzählen eine epochale, in sich geschlossene Geschichte über eine post-apokalyptische Zukunft, die von einer mittelalterlich-feudalistischen Oberschicht beherrscht wird und in der sich das Volk nach einem Auserwählten sehnt, der sich erheben und das Imperium des Maschinenlärms und der Illusionen bezwingen wird. Die Fantasy-Saga konzeptionierte sich komplett aus dem Geistesfeld von Gitarrist und Bandboss John Petrucci, der bereits Mitte 2013, also vor dem Release des selbstbetitelten, letzten Studioalbums, damit begann, erste Rohentwürfe zu skizzieren und die Story auszuarbeiten.

Im Gegensatz zum ersten Konzeptalbum "Metropolis Pt.2: Scenes From A Memory" aus dem Jahr 1999 haben sich Dream Theater dieses Mal verstärkt auf die klangliche Vielschichtigkeit und den Detailreichtum konzentriert. Petrucci selbst verortet auf "The Astonishing" gar einen wissenschaftlichen Ansatz, der sich mit Einflüssen seiner Lieblingsfilme und -serien wie "Game Of Thrones", "Star Wars" oder "Herr der Ringe" zu einer üppigen, auf zwei Alben verteilten Geschichte ausdehnt, die durchaus bewusst an Roger Waters' Lebenswerk "The Wall" erinnern soll. Gut, an die kompositorische Einzigartigkeit des streitbaren Pink-Floyd-Mitbegründers muss man "The Astonishing" nicht messen, doch das Bemühen um eine schlüssig erzählte und vor allem sinnstiftende Geschichte ist zu jeder Sekunde fühlbar.

Weit gedacht
Es wäre auch nicht Dream Theater, hätte Petrucci nicht von Anfang an größer gedacht. "Es stand von Beginn an fest, dass die komplette Scheibe in eine spezielle zweistündige Show einfließen soll, unterteilt in zwei Akte. Anstatt uns im Studio zu überlegen, welche Art von Songs wir schreiben wollen, hatten wir dieses Mal eine klare konzeptionelle Vorlage, an der wir uns entlang hanteln konnten." Ein Bonus war zweifellos auch, dass Petrucci und Keyboarder Jordan Rudess stets all ihre musikalischen Ideen und Einflüsse sammeln und daher aus einem großen Pool bereits angedachter Sounds wählen können, von dem so mancher für "The Astonishing" verwendet wurde.

Verstärkt werden die blitzsauber komponierten Songs zudem durch das Prager Orchester und einen echten Chor, der vom kanadischen Star-Dirigenten David Campbell geleitet wurde. Manch langjährigem Dream-Theater-Fan werden die einzelnen Nummern unter Garantie zu bombastisch und weichgespült klingen. Wie ansatzweise schon auf den letzten Alben angedeutet, scheint die Band kein sonderlich großes Interesse daran zu haben, die rockigen Phasen der alten Tage in die Gegenwart zu projizieren. Das für die Progressive-Schiene handelsübliche Gitarren-Gefrickel wird fast durchgehend außen vor gelassen, viel lieber entführt die Band den Hörer in Welten orchestraler Opulenz, knackiger Keyboard-Kaskaden und hollywoodreifer Filmsoundtrack-Zitate, die sich für ein derartiges Vorhaben natürlich perfekt anbieten.

Flucht aus dem Alltag
Da sich die Story über beide Alben fortsetzt, sind fröhliche Erzählstränge heller und die kriegerischen dunkler komponiert. Einzelne Songs hervorzuheben würde dem Gesamtkonzept auch nicht gerecht werden, Single-Material lässt dich definitiv nicht verorten. Wer sich die Zeit nimmt, sich von der Band in ihre eigens erschaffene Welt entführen zu lassen, wird mit "The Astonishing" sein seliges Glück finden. Zum Nebenbeihören oder mal kurz auflegen taugt das ambitionierte Werk allerdings nicht, auch wenn man die einzelnen Songs rein vom Klang her auch ohne das große Ganze genießen kann.

Wie das Paket in seiner vollen Live-Blüte wirken wird, werden zumindest die österreichischen Fans vorerst nicht erfahren, denn noch ist kein Tourdate in der Alpenrepublik geplant. Aber wer weiß? Möglicherweise wird das realitätsnahe Gedankenkonstrukt bald als Drehbuch in der Traumfabrik aufliegen…

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