"Krone"-Rezension

Indie-Folker Daughter lichten die Nebelschwaden

Musik
12.01.2016 12:34

Wer in den nebelverhangenen Wintermonaten nach einer akustischen Dosis Schwermut und Melancholie sucht, der sollte seine Ohren gen London richten. Das Indie-Folk-Duo Daughter bestätigt auf dem brandneuen "Not To Disappear" die Vorschusslorbeeren des Debüts und erschaffen ein sanftes Klangkaleidoskop, das ein frühes Albumhighlight dieses Jahres darstellt.

(Bild: kmm)

Das neue Jahr ist noch keine zwei Wochen alt und muss bereits eine existenzielle Krise im Musikgeschäft durchstehen. David Bowie, Chamäleon, König und allumfassendes Vorbild des Pop hat nur zwei Tage nach Veröffentlichung seines jazzigen Abschiedswerkes "Blackstar" den irdischen Boden verlassen, um sich endgültig einen Platz bei den Sternen zu sichern. Dabei ist eine Reise in die Weiten der Galaxis auch ohne Tragik und Abschiedsschmerz möglich. Das beweist nicht zuletzt das in Indie-Kreisen hochgejubelte Londoner Trio Daughter, das mit "Not To Disappear" schon früh in diesem Jahr für ein veritables Highlight im erweiterten Indie-Folk-Segment sorgt.

Nun das Gesellenstück
Mit dem sanften Debüt "If You Leave" verzückte die Band vor knapp drei Jahren die Musikwelt – schon lange hat man kein so stringentes, in sich geschlossenes und zu keiner Sekunde langweilendes Erstwerk mehr gehört, das nicht nur verträumt, sondern partiell auch angriffig zu sein vermochte. Konnte man dieses Album als unschuldig-fordernde Duftmarke sehen, dann ist der nun erscheinende Nachfolger das Gesellenstück von Daughter, da es sich auch weiterhin in elegischer Wehmut suhlt, dabei aber noch präziser, zielgerichteter und abwechslungsreicher durch den Äther dringt.

Dass es die Band überhaupt gibt, ist ein Glücksfall für den Hörer, denn Sängerin Elena Tonra wollte Daughter ursprünglich als Solo-Projekt laufen lassen, verstärkte sich dann aber doch mit dem aus der Schweiz stammenden Gitarristen Igor Haefeli und dem französischen Drummer Remi Aguilela. Gestärkt von Touren und Erfahrungen mit The National und dem Senkrechtstarter Ben Howard, packten sich Daughter auf "Not To Disappear" eine ordentliche Portion Selbstvertrauen drauf, welches man nicht zuletzt bei den beiden Eröffnungsnummern "New Ways" und "Numbers" spürt, wo Tonra ihre bezaubernde Flüsterstimme in ein klanglich breites Indie-Bett legt, und von sanften Electronica umschmiegen lässt.

Schmerzliche Ziellosigkeit
Textlich hadert Tonra erneut mit den Problemen des Alltags und der Liebe, was besonders pikant ist, weil sie im realen Leben mit Gitarrist Haefeli ein Paar bildet. Die strikte Trennung zwischen Privatem und Beruflichem gelingt aber auch auf "Not To Diasappear" famos, zudem erweiterte die Sängerin ihren textlichen Blick auf universellere, allgemeingültige Dinge. Besonders eindrucksvoll klingt das in Passagen wie im Song "Doing The Right Thing", wo sich Tonra in einer Welt voller Normen und Liebespärchen unsicher und unpassend fühlt. "I have lost my children, I have lost my love, I just sit in silence, let the pictures soak" – von wabernden Synths ummantelt, kracht dem Hörer dabei der ganze Schmerz eines orientierungs- und ziellosen Stadt-Twentysomethings um die Ohren.

Sehr privat und intim wird es beim abgehackt-klingenden "Alone With You", wo sich die Frontfrau über die Einsamkeit in einer routinierten Beziehung auslässt und mantraartig negative Botschaften ins Mikrofon haucht. Getragen werden all die paralysierenden Kompositionen von einer fast schon orchestralen Schwere, die sich trotz aller Melancholie niemals zu verkopft, sondern angenehm eingängig durch die Gehörgänge fräst. Niemals tappen Daughter in die Falle der Beliebigkeit, dafür sind die einzelnen Songs zu gut durchdacht und mit ausreichend Spannung inszeniert.

Winter, Nebel, Daughter
Der kleinste gemeinsame Nenner aller Kompositionen ist eine seelische Leere, die sich gerne mit sanften Gitarren, aber auch technoiden Beats vermengt. Damit werden Daughter zwar auch künftig keine großen Arenen füllen, sich aber als ernstzunehmende Chartbreaker im verträumten Indie-Segment etablieren. "Not To Disappear" ist nicht nur ein frühes Albumhighlight in diesem Jahr, sondern auch der perfekt austarierte Soundtrack zu den nebelverhangenen Wintermonaten. Gemeinsam leidet es sich schließlich schöner.

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