Sensationeller Sager

Unbeabsichtigt die Mauer geöffnet: Schabowski tot

Ausland
01.11.2015 15:20
In Berlin ist am frühen Sonntagmorgen der Ex-SED-Spitzenfunktionär Günter Schabowski im Alter von 86 Jahren in einem Pflegeheim gestorben. Als hochrangiges Mitglied des Politbüros in der DDR hatte er am 9. November 1989 für eine Weltsensation gesorgt: Er verkündete fast beiläufig auf einer Pressekonferenz die Öffnung der Berliner Mauer. Der Strom an den Grenzübergängen zum Westen war danach nicht mehr aufzuhalten.

"Das tritt nach meiner Kenntnis... ist das sofort... unverzüglich", stotterte Schabowski auf der Pressekonferenz in Ost-Berlin auf die Frage, ab wann denn die soeben vorgestellte neue DDR-Reiseverordnung gelte, nach der künftig Reisen in den Westen erlaubt sein sollten. Daraufhin strömten Tausende Menschen über die Grenze. "Niemand konnte sich die Konsequenz der Maueröffnung vorstellen", sagte Schabowski später zu der Weltsensation, die er auslöste.

"Die DDR war ein missglückter Versuch"
Schabowski, der 1990 aus der SED-Nachfolgepartei PDS ausgeschlossen wurde, sagte sich später anders als die meisten seiner früheren Weggefährten von der sozialistischen Idee los und bezeichnete die DDR als einen "missglückten Versuch". Er bekannte sich zu Mitverantwortung und moralischer Schuld und erklärte immer wieder, er trauere der DDR nicht nach. "Die DDR ist an sich selbst zugrunde gegangen, weil sie ein untaugliches System darstellte."

Als ihm neben dem letzten DDR-Staats- und Parteichef Egon Krenz vor dem Berliner Landgericht der Prozess gemacht wurde, räumte er ein, nichts könne rechtfertigen, dass auch nur ein einziger Flüchtling, "der uns den Rücken kehren wollte, dafür mit dem Leben bezahlen musste". Damit ging er auf Distanz zu Krenz. Er fand es "einfach peinlich", dass bei seinem einstigen Parteichef kritische Einsichten fehlten. Im Gegensatz zu Krenz räumte er auch eine Mitschuld dafür ein, dass Menschen an der innerdeutschen Grenze bei Fluchtversuchen erschossen wurden.

Nach rund einem Jahr Haft begnadigt
Das Berliner Landgericht verurteilte Schabowski 1997 wegen Totschlags zu drei Jahren Haft. Die Richter urteilten, dass auch er zu den Verantwortlichen des menschenverachtenden Grenzregimes zwischen Ost und West gehörte. Er akzeptierte das Urteil, Krenz bekam sechseinhalb Jahre und ging dagegen vor. Doch der deutsche Bundesgerichtshof bestätigte 1999 die Urteile. Schabowski wurde im September 2000 nach etwas weniger als einem Jahr Haft begnadigt und entlassen. Krenz kam erst im Dezember 2003 vorzeitig frei.

Schabowksi, in der vorpommerschen Hansestadt Anklam als Sohn eines Installateurs geboren, hatte eine steile SED-Karriere hinter sich. 1978 übernahm er die Leitung der Parteizeitung "Neues Deutschland". 1984 gelang dem Absolventen der Moskauer KP-Parteihochschule der Aufstieg ins SED-Politbüro, das höchste DDR-Machtgremium. 1985 wurde er Chef der Berliner SED-Bezirksleitung. Den Posten als Chefredakteur gab er auf. Kurz vor der Wende wurde er neben Krenz auch als Nachfolger des greisen Erich Honecker gehandelt.

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