Flüchtlings-Nadelöhr

Wie lange schafft Salzburg das noch, Herr Schaden?

Österreich
17.10.2015 16:53

Salzburg Hauptbahnhof. Seit Wochen ist dort das Nadelöhr im Strom der Kriegsflüchtlinge nach Deutschland. Im Interview mit Conny Bischofberger spricht Stadtchef Heinz Schaden (61) über seine heikle Mission.

Tausende Flüchtlinge erreichen täglich den Hotspot Salzburg und sitzen dort fest, weil Bayern mit der Abfertigung nicht mehr nachkommt. In Decken des Roten Kreuzes gehüllt, sitzen sie frierend am Boden. Mit Schlapfen an den Füßen warten sie auf den Marsch zur deutschen Grenze. Der überfüllte Salzburger Bahnhof wurde diese Woche zum Symbol der Asyl-Überforderung, mit der Bürgermeister Heinz Schaden als Krisen-Koordinator fertigwerden muss. Als er am Handy abhebt, hat der "König von Salzburg" gerade sein Fahrrad geparkt, mit dem er vom Treffen mit der Innenministerin nach Hause geradelt ist.

"Krone": Herr Bürgermeister, am Donnerstag haben Sie mit der Sperre des Bahnhofs gedroht, was war da los?
Heinz Schaden: Es war ein Hilfeschrei. Sie müssen sich vorstellen, die Bahnhofsgarage war voll, in der Passage hat es vier Grad gehabt, da lagen die Leute - auch Frauen mit neugeborenen Kindern - am Boden. Die Erkältungskrankheiten bis hin zu Lungenentzündungen nehmen sowieso schon zu. Da mussten wir Flüchtlinge vorübergehend nach Oberösterreich bringen lassen.

"Krone": Wie würden Sie die Lage in einem Satz beschreiben?
Schaden: Grenzwertig. Seit Wochen nehmen wir täglich 2000 bis 3000 Menschen in Empfang, sie werden erstversorgt und dann so geordnet wie es nur geht Richtung Grenze geleitet, wo sie den deutschen Behörden übergeben werden.

"Krone": Es gab den Vorwurf, dass eine Schwangere mit totem Baby im Bauch einfach weitergeschickt wurde.
Schaden: Sicher nicht aus Salzburg. Aber wir haben tatsächlich viele Schwangere hier, auch Frauen mit Babys, die auf der Flucht zur Welt gekommen sind, und natürlich viele Kleinkinder. Und wissen Sie, was das Schönste ist? Sobald sich die Kinder in Sicherheit fühlen, beginnen sie herumzulaufen und zu spielen. Zum Beispiel mit unseren handgeschobenen Kehrmaschinen in der Tiefgarage. Da setzen sie sich drauf und schieben sich gegenseitig herum. Das sind so Momente, wo einem das Herz aufgeht.

"Krone": Denken Sie sich nicht oft, was wäre, wenn diese Flüchtlinge alle hierbleiben wollten?
Schaden: Natürlich denke ich mir das. Und es ist ja auch ein sehr realistisches Szenario. Man muss nur die innenpolitische Diskussion in Deutschland verfolgen. Uns droht, dass der ohnedies schon verlangsamte Prozess der Übernahme von Flüchtlingen zum Erliegen kommt. Einfach weil die Deutschen irgendwann sagen: "Hallo, das geht jetzt aber nicht mehr."

"Krone": Wie muss man sich das konkret vorstellen? Wie erfahren Sie, dass der Rückstau nicht mehr bewältigbar ist?
Schaden: Ich kriege einen Anruf vom Bahnhof. Dann rufe ich Bundeskanzler Werner Faymann am Handy an. Er ruft Angela Merkel am Handy an. Sie schickt uns dann wieder einen Sonderzug.

"Krone": Österreich in der Sandwich-Position zwischen Ungarn und Deutschland?
Schaden: Genau. Wenn Deutschland die Grenzkontrollen verschärft, muss sich auch die Republik Österreich überlegen, wie sie den Zustrom verlangsamen kann. Sonst bricht uns die ohnedies brüchige Akzeptanz in der Bevölkerung weg. Denn Tatsache ist, dass wir nach wie vor einen Zustrom aus den Kriegsgebieten haben, allein aus der Türkei möchte eine Million Menschen nach Europa. Insgesamt sind zwölf Millionen Syrer auf der Flucht. Da kommt noch einiges auf uns zu.

"Krone": Wie lange schafft Salzburg das noch?
Schaden: Meine zentrale Botschaft an die Innenministerin war: Wir halten her! Unser Bahnhof wird funktionsfähig bleiben, 100 Meter entfernt wird die Bevölkerung nichts von Chaos oder Überforderung spüren. Aber das geht nur, wenn man uns nicht regelrecht mit Flüchtlingen flutet. Denn wenn es mehr als 3000 pro Tag werden, die wir versorgen sollen, dann kann die Stimmung auch sehr leicht kippen.

"Krone": Sie haben von "brüchiger Akzeptanz" gesprochen. Wie ist die Stimmung in der Salzburger Bevölkerung?
Schaden: Ich bin auf dem Radl unterwegs und kriege sie direkt mit. 80 Prozent der Leute signalisieren mir volle Zustimmung. Sie sagen mir: "Ihr macht das eh gut!" Ich bin wirklich stolz auf meine Stadt. Da machen Leute seit Wochen Überstunden und denken nicht an Geld. Mitarbeiter der Stadt, Müllabfuhr, Amtsärzte, Rettung, Rotes Kreuz, Polizei, Militär. Sie verwalten die Katastrophe nicht, sondern machen das Beste daraus. Ganz zu schweigen von all den Menschen, die am Donnerstag sogar frierende Familien zu sich nach Hause mitgenommen haben.

"Krone": Und die 20 Prozent?
Schaden: Beschimpfen mich. Tenor: "Das hättet ihr schon längst wissen müssen!"

"Krone": So freundlich?
Schaden: Die argen Sachen sag' ich nicht. Das geht hin bis in den Bereich der Wiederbetätigung. Wenn sich jemand ernsthaft Sorgen macht, dann unterhalte ich mich sehr gerne mit ihm. Aber wenn es reiner Hass ist, dann gibt es bei mir keine Diskussionsgrundlage.

"Krone": Wird sich das alles finanziell ausgehen?
Schaden: Diese Frage stellt sich nicht. Wir müssen handeln, egal ob es sich ausgeht oder nicht.

"Krone": Finanzminister Hans Jörg Schelling hat die Kosten für die Flüchtlinge mit einer Milliarde Euro beziffert. Ist das in Ihren Augen realistisch?
Schaden: Ich bin mir da nicht so sicher.

"Krone": Laut einer IMAS-Umfrage wünschen sich 85 Prozent der Österreicher klare Regeln für Flüchtlinge. Sie auch?
Schaden: Ich bin absolut dafür, dass Flüchtlinge auch die Regeln des Gastlandes - also die in der Verfassung garantierten Freiheiten und Pflichten - zu respektieren haben.

"Krone": Haben Sie selber auch daran gedacht, Flüchtlinge aufzunehmen?
Schaden: Meine Frau und ich haben ein Wohnzimmer, ein Schlafzimmer und eine Küche. Da würden wir uns nur auf die Zehen treten.

Seine Karriere
Geboren am 29. April 1954 in Graz. Studium in Salzburg, Doktor der Philosophie. In der Politik seit 1987. Seit 30. April 1999 ist Heinz Schaden der erste direkt gewählte Bürgermeister der Stadt Salzburg. Er war auch Chef der Salzburger SPÖ und Mitglied des Bundesparteivorstandes, trat aber 2013 aus diesen Ämtern zurück. Privat ist der Vater einer erwachsenen Tochter in zweiter Ehe mit der gebürtigen Chinesin Jianzhen "Jenny" verheiratet.

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