Petzner über Haider:

“Hätte er auf mich gehört, wäre er noch am Leben”

Österreich
13.09.2015 12:01
Sieben Jahre nach Jörg Haiders Unfalltod hat sein ehemals engster Vertrauter Stefan Petzner ein Buch geschrieben. Titel: "Haiders Schatten". Die Themen darin: Wer Haider wirklich war. Wie er Politik machte. Was seine großen Geheimnisse waren. Wie er lebte, wie er starb. Außerdem besuchte Petzner mit der "Krone" erstmals die Grabstätte seines ehemaligen Chefs – und sprach über die schönste und gleichzeitig schlimmste Zeit seines Lebens.

"Von Kindheit an", schreibt Stefan Petzner in seinem Buch, "ist Jörg Haider mein Idol gewesen." Er: "Der Star, der Unbezwingbare, der ewige Gewinner."

"Ich vermutete, er sucht einen wahren, echten Freund"
Zur ersten Begegnung kam es 1989, bei einem Fest in seinem Heimatort Laßnitz bei Murau. Als der damals Achtjährige von seinem "Helden aus einer Reality-Soap" eine Autogrammkarte erbettelte.

Das zweite Zusammentreffen fand 2002 statt. Petzner studierte damals Publizistik, arbeitete nebenbei bei einer Zeitung, machte ein Interview mit Haider: "Danach packte ich ihn an der Schulter und sagte ihm, dass er sich wegen des Artikels keine Sorgen machen müsse. 'Hast du eine Telefonnummer?', fragte er mich." Regelmäßig rief Haider in der Folge Petzner an: "Ich hatte mein Handy immer im Auge, aus Angst, seinen nächsten Anruf zu verpassen. Haider war in den Gesprächen verschlossen und misstrauisch. Ich vermutete, dass er sich alleine fühlte und nur eines suchte: Einen wahren, einen echten Freund."

Nach ein paar Wochen eine Einladung in Haiders Büro. "Er schenkte mir eine Jacques-Lemans-Uhr. 'Als kleines Dankeschön', sagte er, 'dafür, dass du immer für mich da bist und ich jemanden habe, mit dem ich einfach nur reden kann'."

Petzner träumte immer wieder von Haiders Tod
2003 begann Petzner für Haider zu arbeiten. Ab diesem Zeitpunkt "hatte ich immer wieder denselben Albtraum. Mitten in der Nacht läutete mein Handy. Ein Mann sagte zu mir: 'Der Landeshauptmann ist tot.'"

"Haider war eben ein klassischer Populist"
Petzner charakterisiert seinen früheren Chef als "sensibel, konfliktscheu", und als "einen Getriebenen, der permanent die Bühne brauchte. Deshalb gab er stets den Haider, den sein jeweiliges Publikum sehen wollte. Er hörte zuerst zu, was die Menschen bei Zeltfesten erzählten, und redete später, wenn er zum Beispiel einen Spatenstich vornahm, genau darüber. Er ist einer von uns, dachten die Leute dann. Er war eben ein klassischer Populist."

Petzners weitere Erinnerungen an den Politiker Haider: "Er nahm seine Gegner nie wirklich ernst. Er war sich sicher, dass sie ihre Hausaufgaben schlechter als er machten und er ein leichtes Spiel mit ihnen haben würde. Bloß vor einem Verhandlungspartner hatte er enormen Respekt: Wolfgang Schüssel. 'Mit dem ist nicht zu spaßen', sagte er oft: 'Der ist gefährlich. Der trickst dich aus'."

"Rolle des Wirtschaftsexperten lag Haider nicht"
Was waren, laut Petzner, Haiders größte Stärken, was seine größten Schwächen? "Als rustikaler Landesvater ist er unschlagbar gewesen. Weil er sich tatsächlich für die Anliegen der Menschen interessierte und ihm ihre Sorgen nahegingen. Schwer tat er sich in der Rolle des Wirtschaftsexperten. Denn Kaufmann war er eindeutig keiner. Dennoch schaffte er es, bei Verhandlungen und Auftritten in passender Kleidung die richtige Show abzuziehen und Finanzkompetenz auszustrahlen." Trotzdem ist sich Petzner sicher: "Wäre Haider noch am Leben, gäbe es den Hypo-Skandal in dieser Dimension nicht. Weil er niemals die 2009 erfolgte Verstaatlichung der Bank zugelassen hätte. Auch für ihn wäre die Hypo ein Krisenfall gewesen, aber er hätte ihn politisch weitgehend unbeschadet überstanden und wäre wohl niemals vor Gericht gestanden."

Passagen über "Haiders Geheimnisse"
Mehrere Buchpassagen handeln von "Haiders Geheimnissen": "Er hatte in Liechtenstein einen zweistelligen Schilling-Millionenbetrag zur Seite gelegt. Das Geld stammte von privaten Sponsoren und Gönnern. Außerdem erhielt Haider regelmäßig Spenden von Muammar al-Gadafi."

Bei Besuchen in Libyen hätte der Diktator ihm "jeweils 150.000 bis 200.000 Dollar gegeben". Zudem soll Haider "eine Ölquelle im Irak" besessen haben: "Ein Geschenk von Saddam Hussein."

"Stefan, ich glaube, ich sterbe bald"
"Kurz vor der Nationalratswahl 2008" – das BZÖ bekam dabei 10,7 Prozent der Stimmen, Haider stand abermals auf einem Gipfel seiner Karriere – "sagte er zu mir: 'Stefan, ich glaube, ich sterbe bald.' Ich erschrak. Mir fiel dieser Traum ein, den ich immer hatte. 'Ich weiß', sagte ich."

Am 11. Oktober 2008, kurz nach 2 Uhr morgens, läutete Petzners Handy. Haiders Chauffeur war am anderen Ende der Leitung: "'Der Landeshauptmann hatte einen Unfall. Er ist tot. Angeblich', sagte er. Ich schlug mir mit der Hand ins Gesicht. Wach auf, es ist nur ein Traum. Doch ich konnte meine Schläge spüren. Diesmal gab es kein Erwachen."

"In diesem Moment traf mich der Schock so richtig"
Petzner raste zum Landeskrankenhaus Klagenfurt: "Ich versuchte laut zu reden, aber es entstand nur ein Krächzen: 'Wo ist er? Wo ist er?' Ein Arzt brachte mich in eine Art Abstellraum. Auf einem Metallbett lag ein weißes Tuch über einem leblosen Körper. Der Arzt hob das Tuch an. Da lag er vor mir. Haiders Gesicht war völlig unversehrt, bis auf eine kleine Wunde unter dem Kinn. Es wirkte, als würde er schlafen. Ich umfasste mit beiden Händen sein Gesicht. Es war kalt und starr. In diesem Moment traf mich der Schock so richtig. Mein Körper verkrampfte sich. Ich wusste nicht, was jetzt noch kommen konnte, weder in diesem Raum noch in dieser Nacht noch irgendwo oder irgendwann sonst."

Besuch der Grabstätte mit der "Krone"
Um mit dem Früher abzuschließen, schrieb Petzner nicht nur das Buch über Haider, sondern besuchte mit der "Krone" außerdem erstmals die Grabstätte seines ehemaligen Chefs.

Kärnten. Im Bärental. Eine schmale Straße, die an dichten Wäldern und hohen Wiesen vorbeiführt. Irgendwo im Nichts: eine Weggabelung. Petzner steigt aus seinem Auto, atmet tief durch und beginnt dann, den steilen Schotterpfad hinaufzugehen. Zu Jörg Haiders Grabstätte. "Ich bin", sagt er, "noch nie da gewesen."

Weil in ihm lange "eine Art Sperre" war, sich diesem Platz, wo die Urne mit Haiders Asche in einem gut gesicherten Versteck liegt, zu nähern. Und weil für ihn Gedenkorte wenig Bedeutung haben: "Denn wichtig sind nur die Erinnerungen im Kopf."

"Ich hasse das Wort 'Lebensmensch'"
Und jetzt steht Petzner vor dieser Stelle am Berg, neben Blumenbeeten, Grabkerzen und unzähligen Bildern von Jörg Haider, und er bekreuzigt sich.

Seine Emfindungen? "Natürlich kommt hier wieder vieles in mir hoch." Gute und schlechte Gedanken, an die Vergangenheit, "mit der ich endlich abschließen musste".

Darum, "und als mein Beitrag zur Geschichtsschreibung, habe ich nun ein Buch herausgegeben". Über die Zeit an der Seite seines "Lebensmenschen". "Nein, bitte, ich will dieses Wort nicht mehr hören. Es hat mir nur Unglück gebracht."

Genauso wie Haider? "Ich verdanke ihm wundervolle Dinge. Und schlimme auch."

"Mit seinem Tod brach für mich eine Welt zusammen"
Von Kindheit an sei der Politiker - wie bereits erwähnt - sein Idol gewesen, "und ich glaubte mich am Ziel meiner Träume, als ich mit 23 für ihn zu arbeiten beginnen durfte". Es folgten fünf Jahre, "in denen ich quasi rund um die Uhr für ihn da war, in denen ich mit ihm durch extreme Höhen und Tiefen gegangen bin". Fünf Jahre, in denen Petzners einziger Lebensinhalt Jörg Haider gewesen ist: "Nicht davor und nicht danach gab es wen, dem ich so sehr vertraute wie ihm." "Mit seinem Tod brach für mich eine Welt zusammen", sagt Petzner.

Seine emotionalen Ausbrüche danach, vor der Presse, hätten ihn schließlich "alles gekostet. Ich wurde dafür von der Öffentlichkeit angefeindet, meine Parteikollegen wandten sich angewidert von mir ab. Ich stand plötzlich völlig alleine da. Trotzdem bereue ich meine Tränen nicht."

"Ich weiß jetzt, dass er oft unehrlich zu mir gewesen ist"
Die Reflexion des Frühers geschah in kleinen Schritten: "Weil es nicht einfach ist, der ganzen Wahrheit ins Auge zu sehen." Was ist die ganze Wahrheit? "Dass Haider zwar eine Lichtgestalt war, er aber auch Schattenseiten hatte. Im politischen und im persönlichen Bereich."

Inwiefern? "Ich weiß jetzt, dass er oft unehrlich zu mir gewesen ist. Sogar in unserem letzten Gespräch vor seinem Tod war das so."

"Hätte Haider auf mich gehört, wäre er noch am Leben"
Damals, am Abend des 10. Oktober 2008: "Wir waren bei einer Veranstaltung, um 22 Uhr begann ich, Haider zu drängen, nach Hause zu fahren", in sein Haus ins Bärental. "Am Tag darauf sollte dort ja groß der 90. Geburtstag seiner Mutter gefeiert werden."

Tatsächlich verließ Haider bald das Fest. "Vom Auto aus rief er mich noch mit seinem Mobiltelefon an und versicherte mir, bereits am Heimweg zu sein. In Wahrheit war er jedoch in die Gegenrichtung unterwegs, nach Klagenfurt, wo er dann in einem Lokal weiter Party machte. Hätte Haider auf mich gehört, wäre er noch am Leben", sagt Petzner leise.

"Ich habe mit ihm Frieden geschlossen"
Warum nennt er den Menschen, den er noch immer als "den engsten Freund, den ich jemals hatte", bezeichnet, nicht mehr Jörg – sondern Haider?

"Damit will ich zeigen, dass ich zu ihm auf Distanz gegangen bin." Die selbst verordnete Distanz – wie groß ist sie heute wirklich? "Mit jedem Tag wächst sie in mir. Was mich laufend stärker werden lässt." Beruflich – und privat. "Es macht mich froh, dass ich es auch ohne Haider schaffe, beruflich erfolgreich zu sein. Meine Beratungsfirma läuft gut." Und mittlerweile ist es weg, "dieses Gefühl der Isolation".

Noch einmal geht Stefan Petzner ganz nah zu Haiders Grabstätte und bekreuzigt sich abermals. "Ja, ich fühle es, ich habe meinen Frieden mit ihm geschlossen."

Wo, denkt er, ist Haider jetzt, in diesem Moment? "Ich bin Christ. Ich glaube an Gott. Und daran, dass der Tod nicht das Ende bedeutet. Aber ich weiß nicht, ob Haiders Seele in den Himmel gekommen ist."

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