Fettes Luxus-SUV

Bentley Bentayga: Nashorn im Nerzmantel

Motor
10.09.2015 11:23
Er ist groß und schwer wie ein Nashorn und genauso stark: Wenn Bentley jetzt den Bentayga bringt, verschieben die Briten die Latte für SUVs nach oben. Das gilt nicht nur für Auftritt und Antritt, sondern natürlich auch fürs Ambiente – und für den Preis.
(Bild: kmm)

Am Anfang waren eine Idee, ein paar Skizzen und ein Koffer. Denn gleich als Bentley-Chef Wolfgang Dürheimer und sein oberster Techniker Rolf Frech vor bald fünf Jahren zum ersten Mal über einen Geländewagen für die britische Nobelmarke nachgedacht haben, hat Dürheimer einen großen Rimowa gekauft: "Darin haben wir fein säuberlich nach Vertriebsregionen und Händlern sortiert die Absichtserklärungen unserer Kunden abgelegt", erinnert sich der Firmenchef und erzählt von der Überzeugungskraft dieses Koffers in den Verhandlungen mit der Konzernspitze. Denn nur die vielen Hundert Aufträge und natürlich die rosigen Prognosen für den ersten echten Luxus-Geländewagen sind es am Ende gewesen, die VW zur Freigabe eines Milliardenbudgets bewogen haben.

Das ist jetzt gut drei Jahre her und Dürheimer und Frech waren nicht untätig. Während sich der Koffer weiter gefüllt und der Konzern allein eine Milliarde Euro in das Stammwerk in Crewe gepumpt hat, haben sie einen Geländewagen entwickelt, der genau wie der ebenfalls von ihnen auf die Räder gestellte Porsche Cayenne den Markt und die Marke gründlich verändern kann. Wenn Dürheimer nächste Woche auf der IAA dann endlich das Tuch vom Bentayga zieht, ist das deshalb womöglich der Beginn einer neuen Ära, raunen sie in Crewe und ziehen damit Konkurrenten wie der ehemaligen Schwestermarke Rolls-Royce und den Emporkömmlingen aus Deutschland davon. Denn egal ob Rolls-Royce, BMW oder Mercedes – sie alle planen nach dem überwältigenden Echo auf die Bentayga-Pläne eigene Luxus-Geländewagen, hinken den Engländern aber um Jahre hinterher.

Wobei – ohne Schützenhilfe aus Deutschland hätte auch Dürheimer seinen Bentayga nicht auf die Räder stellen können. Denn zumindest technisch ist der Koloss von 5,14 Meter nicht viel anderes als ein aufgehübschter Q7. Nur dass man es ihm eben kaum ansieht.

Das beginnt bei der Karosserie, die komplett aus Aluminium gefertigt ist und damit 250 Kilo spart: Obwohl das Format ähnlich ist wie beim Q7, ist die Form eine ganz eigene und lässt den Bentley mit den pfannengroßen Scheinwerfern, dem riesigen Kühler und vor allem den stark betonten Kotflügeln sehr, nun ja, präsent aussehen. Wer Bentley wohlgesonnen ist, hält das für britisch. Wer es nicht ganz so gut meint, tut es als barock ab. Doch die Oligarchen werden es lieben. Und die Chinesen natürlich auch.

Den größten Eigensinn erlaubt sich Bentley allerdings beim Antrieb. Deshalb haben sie nicht nur ein eigenes Fahrwerk entwickelt, bei dem die serienmäßige Luftfederung durch eine elektrische Wankstabilisierung mit 48-Volt-Technik ergänzt wird. Vor allem stopfen sie einen nagelneuen W12-Motor unter die Haube. Der sechs Liter große Zwölfzylinder kommt auf 608 PS und 900 Nm und sichert dem Bentayga nicht nur den Titel des stärksten Serien-SUVs. Wenn die Wuchtbrumme erst einmal losstürmt wie ein wütendes Nashorn, wird der Bentley auch zum Schnellsten seiner Art: 4,1 Sekunden von 0 auf 100 und bei Vollgas 301 km/h – das schafft sonst kein anderer Geländewagen.

Zwar hat Bentley den Verbrauch des W12-Motor um mehr als zehn Prozent gedrosselt und aufs Geld muss von den Kunden keiner schauen. Nicht umsonst können sich die Briten Preise jenseits von 200.000 Euro (und da ist die NoVA noch nicht mit drin) erlauben. Doch weil auch die nobelste VW-Tochter ihren Beitrag zu den CO2-Zielen des Konzerns leisten muss und es mittlerweile doch ein paar sensiblere Märkte gibt, haben Dürheimer und Frech noch zwei Tabus gebrochen und planen für das nächste Jahr neue Motoren: Erstmals wird es einen Bentley dann auch mit Diesel und als Plug-In-Hybrid geben.

Besonders stolz sind die Briten neben dem Antrieb auf das Ambiente. Denn technische Audi-Goodies wie das Head-up-Display oder das Infotainment samt Tablet-Fernbedienung garnieren sie mit einer Opulenz, wie es fast nur Bentley kann. Das beginnt bei den sündhaft schweren Aschenbechern aus einem Pfund Aluminium und ist bei den vielen Tausend Stichen für das ins Lenkrad gesteppte Bentley-Logo noch lange nicht vorbei.

Aber ausgerechnet im Fond erlauben sie sich dabei ein paar Patzer. Ja, so nobel wie im Bentayga geht es in keinem anderen Geländewagen zu. Die Hölzer sind feiner, die Leder weicher und die Nähte aufwändiger. Aber die Chance, bequeme Ruhesessel einzubauen, haben die Briten irgendwie verpasst. Die Beinfreiheit ist allenfalls gehobener Durchschnitt und dass man die Kopfstützen von Hand bewegen muss, ist für den Adel von Welt und Geld ein Affront.

Auch der Kofferraum ist lange nicht perfekt. Zwar gibt es einen elektrischen Ladeboden, den man zu dem bei den Engländern offenbar so beliebten Picknick auch weit über das Heck hinaus surren lassen kann. Die Heckklappe schwingt per Gestensteuerung automatisch auf. Und mit einem Fassungsvermögen von 590 Liter ist der Bentayga vermutlich der praktischste Bentley aller Zeiten. Aber eine Kofferraumabdeckung, die an Haltebändern hängt wie in einem Kleinwagen? Das geht nun wirklich nicht. Und es kommt sogar noch schlimmer. Weil Bentley mit dem Bentayga vor allem auf Freizeit und Familie zielt, werden die Briten nicht nur einen Fünf- sondern sogar einen Siebensitzer nachschieben und ihr Luxus-SUV so zum vielleicht vornehmsten Kinderwagen der Welt degradieren. Shocking!

Eingefleischte Bentley-Fans mögen darüber den Kopf schütteln. Doch wenn die Kritik zu laut wird, klopft Dürheimer nur auf seinen Koffer. Der hat sich drei Monate vor der Markteinführung längst bezahlt gemacht. Nicht nur, weil Dürheimer und Frech damit die Kollegen im Konzern überzeugen konnten. Auch weil der Rimowa mittlerweile überläuft, der Bentayga für das erste Jahr bereits komplett ausverkauft ist und sie in Crewe schon laut über eine zweite Schicht nachdenken, mit der sie die Jahresproduktion auf 8.000 Einheiten verdoppeln und den Bentayga zum meistverkauften Bentley im Portfolio machen können.

Aber jetzt wird es allerhöchste Zeit, dass die Produktion beginnt und er den Koffer ausräumen kann, sagt Dürheimer und wirkt fast ein bisschen ungeduldig. Denn spätestens seit der Studie eines vergleichsweise kompakten Sportwagens in Genf ist klar – er braucht den Koffer fürs nächste Projekt.

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(Bild: kmm)



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