Neues Album "Berlin"

Kadavar: Hitverdächtiger Retro-Rock mit Stil

Musik
11.08.2015 21:50
Inmitten der boomenden Vintage- und Retro-Rock-Welle, die hauptsächlich von Skandinavien oder den USA ausgeht, schicken sich drei Wahlberliner von Kadavar mit ihrem dritten Album "Berlin" an, die Arenen zu füllen und die Charts zu stürmen. Warum die Chancen für das bärtige Trio gar nicht so schlecht stehen, weshalb man kein Name-Dropping mehr nötig hat und wieso gerade Berlin ein derartiger Schmelztiegel immerwährender Kreativität zu sein scheint, das haben uns Sänger/Gitarrist Lupus Lindemann und Schlagzeuger Tiger Bartelt im ausführlichen Interview erklärt.
(Bild: kmm)

Berlin also. Die deutsche Stadt, die niemals schläft, in der Kunst und Kultur floriert, wo Kreativität aus allen Ecken sprießt und sich der schiere Reichtum an Geschichte mit der hippen Gegenwart und einer verheißungsvollen Zukunft paart. Ein Auffangbecken für all jene Einwohner aus der Bundesrepublik und darüber hinaus, denen ihre dörflichen Grenzen zu eng werden und die sich viel lieber der süßlich anmutenden Grenzenlosigkeit ihrer neuen Wahlheimat widmen. So war das auch bei Lupus Lindemann, Tiger Bartelt und Mammut Lippitz von Kadavar. Letzterer, aus Kärnten stammend, hat sich vor zwei Jahren aber dazu entschlossen, seine Zeit und Konzentration seinem Lokal und einer eigenen Band zu widmen, wodurch am Bass mit dem Franzosen Dragon Bouteloup frisches Blut engagiert wurde.

Fluchtpunkt Berlin
Alle drei kommen aus verschiedenen Ecken, niemand aus Berlin. So war es für die aufstrebenden Retro-Rocker, die sich mit ihren beiden ersten Alben "Kadavar" (2012) und "Abra Kadavar" (2013) weit über die Landesgrenzen hinaus ins Gespräch brachten, nur selbstverständlich, das dritte Werk nach ihrer Wahlheimat, Inspirationsquelle und dem kleinsten gemeinsamen Nenner zu betiteln. Sänger und Frontmann Lupus kommt im "Krone"-Interview gar nicht mehr aus dem Schwärmen heraus. "Tiger und ich wohnen seit fast zehn Jahren hier und wenn wir, so wie das letzte Jahr, die ganze Zeit unterwegs sind, dann ist das ein angenehmes Nachhausekommen. Wenn wir die Berliner Ortstafel sehen, ist das wie ein Fluchtpunkt für uns."

Da war es folgerichtig nur konsequent, dass Kadavar-Drummer, Produzent und Soundtüftler Tiger Bartelt das Album gewohnt analog in der gemeinsamen Heimat aufgenommen hat, schließlich wurden bislang alle Alben in Berlin gefertigt. Die zwölf Kompositionen, die Kadavar ab Anfang Jänner verfasst haben, wurden stilecht im Candy-Bomber-Tonstudio in Berlin-Tempelhof eingespielt, dort, wo einst die Nazis optisch ihrem Größenwahn frönten und wo sich heute eine wahre Kultur- und Freizeitoase befindet. Und wahrlich: Wenn Berlin schon das Nest für Legenden wie David Bowie, Iggy Pop oder Lou Reed war, warum nicht auch für Kadavar? "In dieser Stadt weiß niemand so genau, wo es hingeht", versucht Tiger das Wesen Berlins zu erklären, "es gibt eine Co-Existenz von allem und jeder findet irgendwie eine Nische, einen kleinen Teich, in dem er herumschwimmt und machen kann, was er will. Das haben auch wir gesucht. Eine Stadt, mit einem Groove, wo jeder machen kann, worauf er Lust. Das macht's für mich aus."

Selbstbewusstes Wunschkind
Vom Groove haben Kadavar auf "Berlin" mehr als genug zu bieten. Nach den ersten Rückschlägen in der bisher kometenhaft nach oben verlaufenen Karriere (dann folgten plötzlich der Ausstieg von Mammut, Visaprobleme bei einer US-Tour und partiell vorhandene Geldprobleme), spürt und fühlt man förmlich die "Jetzt erst recht!"-Atmosphäre, die das zumeist positiv klingende Album umweht. "Lord Of The Sky", "Last Living Dinosaur" oder "Stolen Dreams" nennen sich die einzelnen Songs, die nicht nur im Titel, sondern vor allem in der Umsetzung unwiderstehlichen Vintage-Rock zeitigen, sich völlig von sämtlichen musikalischen Normen der modernen Musikindustrie absondern und dabei mit Recht ein überbordendes Selbstbewusstsein an den Tag legen. Kadavar klingen in bestimmten Phasen nach einem Wunschkind aus Black Sabbath, Grand Funk Railroad und Monster Magnet und vermischen all diese Einflüsse so gut miteinander, dass jedem Fan und Interessenten dieser musikalischen Stilrichtungen kein Wunsch unerfüllt bleibt.

Ob man jetzt unkitschig-balladesk wie in "Thousand Miles Away From Home", 70s-College-rockend wie in "Filthy Illusion" oder Stoner-Rock-psychedelisch wie in "The Old Man" an die Sache ran geht – in jede Richtung durchstößt das bärtige Trio mühelos sämtliche Qualitätskriterien und wirkt dabei noch nicht einmal angestrengt oder übermäßig gefordert. Eben die Gnade des naturgegebenen Talents. Nach mittlerweile drei Alben konnten Kadavar auch endgültig mit dem falschen Vorwurf, eine Satanisten- oder Okkult-Rock-Band zu sein, aufräumen. Paradoxerweise war es die eigene Plattenfirma, die dereinst auf die werbewirksame Marketingschiene gesetzt hat. Lupus lacht heute darüber: "Damals haben wir eher Doom Rock gemacht und mit den düsteren Texten bist du offensichtlich gleich ein Satanist. Ich habe nicht so sehr Bock auf Blut."

Kein (Erfolgs-)Ende in Sicht
In Zeiten des erfolgreichen Retro-Rocks stellt sich natürlich auch die Frage, wie weit der Erfolg für die Wahlberliner noch gehen kann. Immerhin kämpfen Lupus, Tiger und Dragon gegen eine nicht mehr zu fassende Übermacht an ähnlich gearteten Gruppen, die alle gerne ein Stück vom trendigen Akustikkuchen abstauben möchten. "Ich frage mich eigentlich jedes Jahr, wann Schluss ist", erklärt Lupus, "wir dachten damals bei den Schweden Graveyard, der Zenit wäre erreicht, aber dann kamen plötzlich die Blues Pills und schafften es mit ihrem Blues-Rock in die Top-5 der deutschen Charts. Wo das Ganze endet, kann nur die Zeit zeigen – jetzt macht es jedenfalls massig Spaß." Mit den Bezeichnungen selbst ist Tiger nicht glücklich: "Warum muss man das alles immer in ,Doom', ,Classic Rock' oder ,Retro' kategorisieren? Ist am Ende des Tages doch scheißegal…".

Den Schritt hinaus aus Berlin in die große weite Welt haben Kadavar ohnehin schon geschafft – ob mit oder ohne Kategorisierungen, denn dafür ist die Musik einfach zu gut, die Verbindung zwischen alten Sounds und modernem Feeling zu durchdacht. Abschließend bleibt nur noch die Frage, ob Lupus Lindemann dem weitaus berühmteren Namensvetter namens Till von Rammstein auch mal den Rang in der Stadt ablaufen kann? "In allen deutschen Städten hängen Plakate für sein Soloalbum und ein paar dachten wohl, es wäre meine", lacht Lupus, "aber im Ernst – ich habe ihn noch nie getroffen. Da es aber nicht so viele Lindemanns gibt, ist eine weitläufige Verwandtschaft vielleicht vorhanden…". Das Name-Dropping, das haben Kadavar glücklicherweise nicht mehr nötig.

Am 15. Dezember kommen Kadavar mit Horisont und The Shrine live in die Wiener Arena. Tickets für das Konzert erhalten Sie unter 01/960 96 999 oder im "Krone"-Ticketshop.

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