Medicinicum Lech

Autor: “Wenn Aroma drauf steht, ist etwas faul”

Vorarlberg
13.07.2015 16:06
Hans-Ulrich Grimm ist Autor zahlreicher Bücher zum Thema Ernährung. Der Stuttgarter Publizist war im Rahmen des Medicinicums unter dem Titel "Lass Nahrung deine Medizin sein" in Lech am Arlberg als Vortragender eingeladen. Krone-Redakteur Harald Küng begrüßte ihn in den Vorarlberger Alpen bei strahlendem Sonnenschein zum Interview.

"Krone": Sie beschäftigen sich bereits seit vielen Jahren mit ungesunder Nahrung. Wie sind Sie zu dieser Thematik gekommen?
Hans-Ulrich Grimm: Ich habe mich schon immer für gutes Essen interessiert und habe nach und nach festgestellt: Das, was in vielen Supermärkten erhältlich ist, hat mit echten Essen gar nichts zu tun. Klassisches Beispiel: Erdbeeraroma aus Sägespänen. Als Spiegel-Journalist hatte ich die Möglichkeit, in ganz Europa Messen und Zuliefererbetriebe der Nahrungsindustrie zu besuchen. Ich war der Meinung, dass es auf einer Messe für Zutaten um Karotten und Kartoffeln geht, jedoch gab es nur verschiedene Pulver zu sehen. Fleisch sah auch nicht nach Fleisch aus, sondern eher nach Nescafé-Kügelchen. Da gab es dann Chicken, Pork, Lamb… alles in Kugelform. Dabei handelte es sich um die Trockenprodukte, die in die Tüten hinein kommen. Ich besuchte solche Messen über Jahre und egal, ob London, Paris oder Frankfurt, es gab nie richtige Lebensmittel. Ich war sehr erstaunt, dass es kein richtiges Essen ist, was beigemengt wird, sondern nur Pulver + Chemie + Geschmack. Unter feinschmeckerischen Gesichtspunkten war es für mich das interessanteste Erlebnis, dass Geschmack etwas ist, das separat hinzugefügt wird. Wer zu Hause kocht, erhält den Geschmack aus dem Huhn, aus dem Brokkoli, etc. In der Nahrungsmittelindustrie werden die Geschmäcker eingekauft und hinzugefügt.

"Krone": Wissen Sie, wie diese Geschmäcker hergestellt werden?
Grimm: Nein. Ich war ja oft bei solchen Geschmacksherstellern und die Herstellung wird nie gezeigt. Ein Hersteller hat mich einmal über den bereits angesprochenen Erdbeergeschmack aus Sägespänen aufgeklärt – das ist also wirklich so. Ich hätte gerne mit einem Fotografen diese Fabrik besucht, aber das ist ein gut gehütetes Geheimnis und da darf auch niemand rein. Das Interessante ist ja, wir leben in einer Demokratie und alles ist mehr oder weniger öffentlich. Aber hier endet sozusagen der demokratische Sektor. Hier hat die Öffentlichkeit keinen Zugang mehr.

"Krone": Sie sind überzeugter Bioware-Konsument. Ist wirklich alles gut, wo Bio drauf steht?
Grimm: Das hört man immer wieder. Ich habe mich für das Buch, an dem ich aktuell arbeite, auch noch einmal damit beschäftigt. Ich habe mit vielen Tierschützern gesprochen. Geht es nach ihnen, ist es egal, ob Bio oder nicht Bio. Ich habe im Osten auch einen Betrieb besichtigt, der im TV eine eher unrühmliche Rolle gespielt hat – angeblich ein Zulieferer für HIPP Babynahrung – und dort gab es Hallen, die sich nicht großartig von anderen Massentierhaltern unterschieden haben. Der eine hat 800.000 Hühner und hier waren es halt 20.000, 30.000 oder 40.000 Puten. Aber es ist genauso Massentierhaltung. Und das ist nicht das, was man sich unter Bio vorstellt. Das ist Fabrik-Bio. Und dann gibt es noch das klassische Bauern-Bio, das verschweigen die Tierbefreier aber natürlich. Es gibt viele kleine Bauern, die Bio-Verbänden angehören. Ich bin dann Anhänger von Bio, wenn es sich um Naturkost im ursprünglichen Sinne handelt. Naturprodukte sind gut für den Körper, sobald sie aber verarbeitet werden – etwa zu Kartoffelpüree aus der Tüte, oder Tütensuppen – sind sie minderwertig. Im New Scientist stand einmal: Bio ist gesünder bis zum Fabriktor.

"Krone": Kann sich Bio jeder leisten?
Grimm: In einer Studie der Uni Hohenheim wurden Bio-Haushalte mit anderen Haushalten verglichen. Das Ergebnis war, dass Bio-Haushalte unterm Strich billiger davonkommen, weil sie gleich schon anders einkaufen. Wenn ich mir die Leute beim Discounter anschaue, was die sich alles in ihren Wagen hinein, dann sind das oft absurd teure Produkte aus der Fabrik. Es wäre viel billiger, wenn man in den Bioladen geht, Mehl und Eier kauft und dann Pfannkuchen oder Spätzle kocht.

"Krone": Was halten Sie von Veganismus?
Grimm: Es ist nicht meine Aufgabe, Leute danach zu bewerten, was sie essen. Aber ich finde es problematisch, wenn Veganer so tun, als wären sie die besseren Menschen. Und es ist auch die Frage, ob das als Modell für alle Menschen sinnvoll ist. Der Veganer will zudem die Tiere schonen, aber nur bestimmte Tiere. Das ist schon auch etwas seltsam. Geht es nach dem Buch "Artgerecht ist nur die Freiheit" von Hilal Sezgin, sind Würmer beispielsweise nichts wert. Ich frage mich da aber schon, warum ist der Wurm da plötzlich nichts wert? Man sollte insgesamt Respekt vor der Schöpfung und den Lebewesen haben. Jedes Lebewesen ist für ein anderes Lebewesen da. Ich habe kürzlich gelesen, man kann den Mensch möglicherweise gar nicht als eigenes Individuum betrachten, weil in ihm drin mindestens anderthalb Kilo Bakterien stecken. Darum bin ich nicht ich, sondern ich und meine Bakterien.

"Krone": Haben Sie selbst schon versucht, vegan oder zumindest vegetarisch zu leben?
Grimm: Ich habe in der Fastenzeit einmal versucht, sieben Wochen ganz ohne Fleisch auszukommen, aber das war ganz schrecklich. Für mich war das aber gar nichts. Zuviel Fleisch ist natürlich auch nichts – ein Proteinüberdosis kann gefährlich werden. Ich mach es da eher wie die Chinesen. Es gibt da das Buch "China Study", bei dem Zigtausende Chinesen zu ihren Essgewohnheiten befragt wurden. Der Chinese isst alles, was vier Beine hat und kein Stuhl ist, alles was schwimmt und kein U-Boot ist und alles, was fliegt und kein Flugzeug ist. Der Chinese isst alles, bekanntlich auch Hund, aber nur in kleinen Mengen. Sieht man sich Wok-Rezepte an, sind immer nur kleine Stücke Fleisch darin enthalten. Bei der Studie kam jedenfalls heraus, je mehr Fleisch sie essen, desto ungesünder sind sie. Und wenn sie es ganz weglassen, sind sie auch nicht gesund. Der wissenschaftliche Konsens lautet aktuell "low, but not zero".

"Krone": Warum ist Ihnen Zucker ein Dorn im Auge?
Grimm: Zucker wächst nicht natürlich, sondern muss erst hergestellt werden. Es gibt keinen Zuckerbaum, auch kein Zuckerbergwerk. Der Körper reagiert auf Zucker in besonderer Weise, weil er Zucker pur nicht kennt. Er kennt Zucker nur im Zusammenhang mit Mandarinen, Erdbeeren, Bananen, etc. Früher hat der Körper bei uns Zucker nur im Sommer in Form von Früchten bekommen. Das Sättigungsgefühl fehlt, damit der Mensch die Gelegenheit nutzt und viel Obst isst, und der Überschuss an aufgenommenem Zucker wird in der Leber in Form von Fett eingelagert, damit der Körper in schlechten Zeiten von diesen Reserven zehren kann. Heute trinkt man am nächsten Tag wieder zuckerhaltige Getränke und schmiert sich die Nutella aufs Brot. Dadurch kommt es zu einem vielfach größeren Überschuss. Zudem löst Zucker im Gehirn ein Signal des Wohlbefindens aus. Alles, was überlebenswichtig ist, wie (Früchte) essen oder Sex, macht Spaß, aus dem Grund, weil der liebe Gott das so eingerichtet hat, dass die Menschen das, was fürs Überleben notwendig ist, auch gern tun. Der Zucker dockt im Gehirn deshalb an Stellen – den Dopamin-Rezeptoren - an, die Wohlbefinden – aber auch Sucht auslösen können. Zucker dockt beispielsweise an den gleichen Stellen an, wie Kokain. Auch Zuckerersatzstoffe helfen hier nicht, denn sie rufen durch den Süßgeschmack dieselben Effekte im Körper hervor, wie Zucker selbst.

"Krone": Ist es nur der Zucker, den sie ablehnen, oder gibt es da noch mehr?
Grimm: Aromen: Wenn irgendwo Aroma drauf steht, ist immer etwas faul, denn Aromen manipulieren den Geschmack. Der Geschmack ist aber ganz wesentlich im Nahrungsmittel, weil er Auskunft über die Inhaltsstoffe der Nahrung gibt. Der Mensch besteht aus dem, was er gegessen hat. Der Mensch erneuert sich innerhalb von sieben Jahren komplett – die Gehirnzellen ausgenommen, sonst müssten wir alle sieben Jahre das Alphabet neu lernen. So, wie ich hier dasitze, bin ich also grad erst sieben Jahre alt – sieht vielleicht von außen nicht so aus, ist aber vom Material her so. Der Körper besteht aus zweien, etc. Beim Einkaufen weiß man dann aber nicht, was man dafür braucht, um eine neue Kniescheibe zu produzieren. Im Darm analysiert der Körper dann, welche Nährstoffe vorhanden sind und was man sich wieder zuführen sollte. Der Darm gilt als Second Brain und signalisiert ans First Brain, das Gehirn im Kopf, und der sogenannte Hypothalamus dort wandelt das in Gelüste um. Dann hat man beispielsweise zwei Wochen lang Lust auf Rostbraten, weil das Hirn der Meinung ist, da steckt etwas drin, das man jetzt braucht. Wenn der Rostbraten aber nur so tut, als wäre er ein Rostbraten, wie der Erdbeerjoghurt beispielsweise auch so tut, als wäre er ein Erdbeerjoghurt, dann wird der Körper betrogen und die Nährstoffe fehlen. Dann muss mein Körper mehr essen. Ich habe mein selbstgemachtes Erdbeerjoghurt in einem Labor mit einem Gekauften vergleichen lassen und darin befanden sich sechsmal mehr Nährstoffe, als im Gekauften. Ich muss also vom Gekauften sechsmal so viel essen, wie vom selbst gemacht. Aus diesem Grund hat die Aromaindustrie vor Jahren schon eingeräumt, dass Aromaverzehr zu Übergewicht führt.

"Krone": Kommen wir zu einem anderen Thema: Wie stehen Sie zum Freihandelsabkommen TTIP?
Grimm: Ich finde es durchaus sinnvoll, dass manche Dinge, wie etwa der Export von Autoteilen harmonisiert und durch Handelserleichterungen ausgleicht. Problematisch sind die Folgen auf unsere Lebensmittel und die Lebensmittelgesetzgebung. Jedoch halte ich es auch für problematisch, wenn man so tut, als wäre derzeit alles in Ordnung – sowohl, was die Gesetzgebung angeht, als auch den Einfluss der Lobby. Da ist Europa jetzt schon nicht unbedingt ganz schuldfrei. Es ist in der Tat zu befürchten, dass es zu vielen Verschlechterungen, etwa in Sachen Gentechnik oder hemmungslosem Einsatz von Antibiotika, kommt, deswegen sehe ich dieses Thema schon auch kritisch.

"Krone": In Österreich bemüht man sich um eine klare Kennzeichnung der Lebensmittel, bei TTIP wird dies jedoch als Handelshemmnis gesehen. Wie sehen Sie das?
Grimm: Das ist in meinen Augen vollkommen hanebüchen. Meiner Meinung nach hat der Konsument das demokratische Recht, zu wissen, woher seine Nahrungsmittel kommen, ob sie gentechnikfrei sind, etc. Andererseits soll man den Konsument aber auch nicht mit zu vielen Informationen überfordern. Um das zu regeln, haben wir eine Regierung, dafür haben wir Volksvertreter. Viele Dinge, die die Menschen nicht wollen, wie eben Gentechnik, gehören einfach verboten und basta. Es gibt auch viele Beispiele, wo die Behörden ein Verbot durchsetzen wollen, es aber nicht könne, weil die Hersteller aus Angst um ihren Profit Klage einreichen. Die Lobbys sitzen hier einfach am längeren Hebel. Dazu kommt, dass unsere Gesetze nicht mehr auf der Höhe der Zeit sind.

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