"Krone" in Athen

“Unser Geld ist weg, nur die Würde bleibt”

Ausland
11.07.2015 16:22
61 Prozent der Griechen haben am vergangenen Sonntag gegen die Sparpläne der EU gestimmt, wenige Tage danach ist alles anders. Die Stimmung in Athen? Ein "Krone"-Lokalaugenschein.

Lefteris war DJ in der Wiener In-Disco U4, zwei Jahre lang hat er den Job gemacht. Heute lebt er wieder in seiner Heimat - Athen. Der stattliche Mann verköpert die griechische Gelassenheit, muss sie aber ablegen, wenn er vom unfassbaren Erlebnis seiner Freundin erzählt. Es war vergangene Woche, sie kam nach Hause, war aufgelöst, weinte. Weil sie sah, wie sich eine etwa 50-jährige Frau vor die U-Bahn warf. Weil sie keinen Ausweg aus der Krise sah!

Nichts ist mehr, wie es war
Hier in Griechenland ist nichts mehr, wie es war. Das Geld ist weg, Hochzeiten werden abgesagt - Särge können nicht mehr bezahlt werden. Die Regale der Supermärkte sind zwar voll, nur einkaufen gehen die wenigsten. "Nicht einmal die versprochenen 60 Euro können wir noch abheben", erzählt Taxifahrer Andrew. Die 20-Euro-Scheine sind weg, Zehner gibt es auch nicht mehr. Nur noch 50er. Und mehr spuckt der Geldautomat derzeit nicht aus für Einheimische.

George (37), Sicherheitsmann, sieht das gelassen: Er arbeitet, zwölf Stunden pro Tag - für seine Frau und das sieben Monate alte Baby. Etwas anderes steht für ihn nicht zur Diskussion. Bei der Frage zur aktuellen Lage der Nation lächelt er knapp, sagt: "Ich kann nicht verstehen, warum das alles passiert." Aber: "Tsipras ist der einzige, der aufsteht und was sagt. Vielleicht ist das schlecht für uns. Aber er hat Mut."

Premier Alexis Tsipras, 40 Jahre alt, zweifacher Familienvater, eine junge Ehefrau. "Er ist in einer Position, in der er getötet werden kann, aber er kämpft für uns", sagt Lefteris. "Wir haben hier keine wirtschaftliche Krise, sondern eine politische." Also raus aus der Europäischen Union? "No!", ruft Antonis, der sich entspannt auf der staubigen Couch in der Motorradwerkstatt von Paraskenas (40) zurücklehnt. Dieser: "Wir fürchten uns vor nichts, arbeiten viel, sind glückliche Menschen. Wir wollen doch nur eines: Gerechtigkeit."

"Wir haben nichts mehr zu verlieren"
Es ist mittlerweile Mittag in Athen, brütend heiß, kein Lüfterl weht. Egal. Die sechs adretten Männer älteren Semesters spielen Backgammon im Hafenviertel Amfilali. Sie wirken entspannt, obwohl sie allesamt vergangenen Sonntag beim umstrittenen Referendum gegen die Sparauflagen der EU gestimmt haben. "350 Milliarden Euro Schulden? Wie ist das möglich gewesen?", fragt einer der Herren. Schulterzucken. Weiterspielen. Lefteris versucht diese Situation zu interpretieren: "Die Griechen sind ruhig, du kannst niemanden terrorisieren, der nichts mehr zu verlieren hat."

Ein gebürtiger Grieche, jetzt Urlauber und Schweizer, mischt sich ein. Er ist kein Tsipras-Freund, sagt er. Aber: "Lassen wir ihn einfach arbeiten und schauen wir, was rauskommt." 251 der 300 Abgeordneten im Parlament haben jedenfalls für die Reformmaßnahmen von Tsipras gestimmt. Nikos und seiner Frau Eftichia hilft das derzeit relativ wenig. Ihre traditionelle Taverne ist nämlich seit Tagen geschlossen. Die wenigsten Griechen können es sich leisten, ihre Kochkünste zu genießen. Das "Krone"-Team kam dennoch in den Genuss - ohne danach gefragt zu haben. Gastfreundschaft ist und bleibt oberste Priorität im Land. Ohne Wenn und Aber. Zu guter Letzt ist Tavernen-Chef Nikos fast beleidigt: Er wollte einladen, wir haben natürlich bezahlt. Lefteris fällt nur eines dazu ein: "Unser Geld ist weg, nur die Würde bleibt."

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