"Krone"-Interview

Konstantin Wecker: Immer noch ein Träumer

Musik
16.06.2015 14:15
Er ist Musiker, Schauspieler, Schriftsteller und Poet - in erster Linie ist Konstantin Wecker aber ein wachsamer Geist, der sich so oft wie möglich Gedanken über den Zustand der Welt macht. Auf seinem neuen Album "Ohne Warum" greift er einmal mehr scheinbar mühelos in die Welt der aktuellen Befindlichkeiten und kritisiert gängige Schemata und Dogmen mit feiner Spitze. Mit Wecker lässt sich wunderbar diskutieren und abschweifen - so wie auch bei unserem "Krone"-Interview mit dem 68-jährigen Münchner.
(Bild: kmm)

"Krone": Konstantin, Ihr neues Album "Ohne Warum" beginnt mit dem Song "Ich habe einen Traum" in Zeiten der Bootsflüchtlingsdramatik gleich tagespolitisch. Es geht im Prinzip darum, dass sie gerne alle notleidenden Menschen in das Land holen würden und wir vom Überfluss etwas abgeben sollten. Ist der Song auf diese Thematik zugeschnitten?
Konstantin Wecker: Ich habe alle Lieder des Albums in vier, fünf Tagen letzten Sommer in der Toskana geschrieben. Seit ich 16 bin, war das bei mir immer so, dass mir die Gedichte und Liedtexte eher zufällig passieren müssen. Ich nehme es mir nicht bewusst vor, aber natürlich fließt das, womit ich mich besonders beschäftige, am Kräftigsten ein. Gerade auf meiner Homepage und auf Facebook habe ich mich mit der Thematik stark beschäftigt und fand es unmenschlich und grausam, was da alles ablief. Das floss wahrscheinlich unbewusst alles ineinander. Ich scheue mich nicht, in diesem Led naiv zu wirken, weil ich denke, wir müssen uns diese Träume wieder erlauben. Ich habe den Text einmal gepostet und jemand antwortete daraufhin: "Herr Wecker, das ist ja alles schön. Aber die Waffen im Meer versenken geht doch aus umweltpolitischen Gründen nicht." (lacht) Es ist schon schade, dass das Wesen der Poesie kaum mehr wahrgenommen wird. Ich kann keine 50.000 Flüchtlinge bei mir am Tisch haben, das ist auch klar. Oft wird einem dann vorgeworfen, unrealistisch zu sein. Träume sind aber immer unrealistisch und die Realität der anderen gefällt mir nicht. Ich will eine andere Wirklichkeit und die ist möglich. Eine empathischere, liebevollere Wirklichkeit.

"Krone": Wenn wir vom Überfluss sprechen: Man hat das Gefühl, die Politik will uns weismachen, dass es uns gar nicht gut geht und wir uns vor allem und jedem hüten müssen. Das treibt viele Menschen zu den rechten Parteien. Gibt es da einen kausalen Zusammenhang?
Wecker: In Deutschland will man den Menschen weismachen, dass es den Südeuropäern schlecht geht und uns deswegen gut, sodass dem Bürger egal ist, was da draußen passiert, solange zuhause scheinbar alles in Ordnung ist. Ich fand zum Beispiel interessant, dass das Thema Pegida von der Presse stark begleitet wurde. Schon negativ, aber doch begleitet. In München haben unlängst 40.000 Menschen gegen TTIP protestiert, aber das ist außer in Bayern kaum überregional in den Medien vorgekommen. Ein junger Autonomer sagt sich doch dann zurecht, dass er dann halt wieder Scheiben einschlagen muss, damit irgendwas berichtet wird. (lacht)

"Krone": Die Thematik TTIP ist journalistisch für viele wohl auch nicht so knackig wie Pegida.
Wecker: Es liegt aber auch daran, dass man TTIP durchboxen will. Da sind viele Interessengruppen und große Verleger daran beteiligt – das ist einfach so, da braucht man sich nichts vormachen. Für mich ist das erschütternd. Wir haben ordentliche, kluge und friedliche Proteste mit guten Argumenten gebracht, aber was kommt am Ende des 300 Millionen Euro teuren G7-Gipfels raus? Obama und Merkel einigen sich darauf, dass TTIP so schnell wie möglich durchgewunken wird. Die haben uns doch verarscht. Lustig fand ich nur, dass im Bayrischen Rundfunk geschwärmt wurde: "Aber es war eine Riesenpromotion für Bayern". (lacht) Der G7 -Gipfel war also eine mit unseren Steuergeldern finanzierte Promo-Show für den bayrischen Tourismus?

"Krone": Der Titel "Ohne Warum" impliziert auch, dass man nicht alles hinterfragen und im Jetzt leben sollte. War diese Botschaft Ihre Intention?
Wecker: Dass man im Jetzt leben sollte und passend zum Gedicht von Angelus Silesius: "Die Ros ist ohn Warum, sie blühet, weil sie blühet." Von der Rose aus ist das nicht so gedacht, dass du sie lieben oder pflücken sollst, sondern sie ist einfach da. So sollte auch die Kunst einfach da sein. Natürlich will ich auch etwas bewirken, vor allem, wenn ich etwas Politisches mache. Aber das "Ohne Warum" heißt auch, nicht an Geld und Ruhm zu denken, wenn ich ein Lied oder ein Gedicht schreibe. Zuerst einmal muss es raus. Vor mehr als 40 Jahren habe ich geschrieben "Ich singe, weil ich ein Lied habe" – das gleiche Thema. Anders ausgedrückt und mit Erfahrung angereichert.

"Krone": Haben Sie sich oft "warum" gefragt und sind dadurch in ausweglose Situationen geraten?
Wecker: Natürlich fragt man sich das oft – zum Beispiel wenn man sich nach dem Sinn des Lebens fragt. Der große Mystiker Meister Eckhart, der Pate steht für das "Ohne Warum", hat mich schon immer fasziniert. Er sagte: "Wer das Leben fragte tausend Jahre lang: ,Warum lebst du?' — könnte es antworten, es spräche nichts anderes als: ,Ich lebe darum, dass ich lebe.'" Wir alle leben in einer Tragödie und niemand lebt leidfrei. Die letzten Fragen braucht man sich nicht stellen, weil sie unser Verstand gar nicht begreifen kann und nie wird. Die Frage nach Gott ist auch sinnlos. Die Kirche beantwortet sie immer verkehrt. Warum will mir immer jemand erklären, was Gott will, was Gott denkt oder dass Gott straft. Überlegen Sie sich den Irrsinn. Man spricht von einem lieben Gott und gleichzeitig ist er bereit, manche Menschen in die ewige Verdammnis zu schicken. Ewige Verdammnis! Es gibt nichts Grausameres als dieses Wort. Wie kann das ein liebender Gott sein? Mit diesen Drohungen hält sich die katholische Kirche seit zwei Jahrtausenden an der Macht und bereichert sich auch noch. (lacht) Ich kann mit dem Wort Gott umgehen, weil ich als Lyriker gelernt habe, nicht alles sofort ausdeuten zu müssen. Je älter ich werde, umso mehr bin ich dafür, dass man Symbole einfach mal stehen lässt. Es interpretiert jeder das Wort "Freiheit" zum Beispiel ganz anders. Der Österreicher, der Amerikaner, der Nordkoreaner – und jeder ist der Meinung, seine Deutung sei die einzig richtige. Man kann aber die Worte in der Poesie auch mal einfach ohne zu interpretieren auf sich wirken lassen. Novalis sprach einmal von der Poetisierung der Welt. In diesem Sinne bin ich auch Romantiker.

"Krone": Man hört auch heraus, dass Sie nicht unbedingt ein gläubiger Mensch sind.
Wecker: Gläubig im Sinne dessen, dass ich an eine bestimmte Religion oder Kirche glaube, bin ich auf keinen Fall. Ich bin aber durchaus ein spiritueller und wahrscheinlich sogar religiöser Mensch. Ich suche die Religio, den Weg zurück im Inneren. Ich bin auch gut befreundet mit vielen Pfarrern und meiner pazifistischen Mitstreiterin Margot Käßmann. Es ist aber wie in der Politik: Je höher sie steigen, umso diplomatischer und von der Macht besessener werden sie. (lacht)

"Krone": In "An meine Kinder" wünschen Sie sich, dass Ihre Kinder keine Uniform tragen werden. Die Uniform ist aber per se nichts Böses.
Wecker: Natürlich wird mich dafür jeder U-Bahn-Schaffner für verrückt erklären. (lacht) Aber wenn er ein bisschen nachdenkt, weiß er, dass ich zuerst mal nicht seine Uniform meine. Uniform ist auch ein symbolisches Wort. Mein 15-jähriger Sohn erzählte mir neulich einen guten Witz: "Sagt ein Jugendlicher zum anderen: Wenn du besonders individuell sein willst, musst du dich anziehen wie wir und dieselbe Musik hören wie wir. Dann bist du individuell". (lacht)

"Krone": Sie sind wahrscheinlich froh darüber, dass Ihre Kinder gar nicht zur Uniform tendieren?
Wecker: Das tun sie überhaupt nicht. Die sind politisch hellwach.

"Krone": Oft rebellieren Kinder ja gegen ihren Vater. Sie konnten das offensichtlich im Keim ersticken?
Wecker: Die größte Rebellion meiner Kinder wäre wahrscheinlich gewesen, Neonazi zu werden. Das ist Leuten in meinem Umfeld passiert, alten 68ern wie mir. Zum falschen Zeitpunkt kommt jemand in die falsche Clique und ist nicht mehr ansprechbar. Ich habe mit den Eltern mitgelitten.

"Krone": Haben Sie in der Erziehung darauf geachtet, die Kinder nicht zu stark in eine Richtung zu drängen?
Wecker: Wir haben nie gedrängt, sie durften immer an allen Gesprächen teilnehmen. Uns war wichtig ihr Interesse zu wecken an der Kultur und an dem, was in der Welt passiert. Viele Menschen wollen nicht weiterdenken, weil sie dann sehen könnten, dass sie eventuell was ändern müssten in ihrem Leben. Da lassen sie es lieber und sagen, es interessiere sie nicht. Natürlich sind die jüngeren Generationen auch indoktriniert vom neoliberalen System. Der Markt ist alles und alles andere ist nicht sexy. Sexy ist reich sein, Geld verdienen und berühmt sein. Als ob Ruhm nur um des Ruhmes Willen glücklich machen würde. Es gibt Kliniken, die voll sind mit diesen Leuten, die für ein halbes Jahr berühmt waren und anschließend verzweifeln. Oder - gerade heute stand es in der Zeitung - diese Sieben-Milliarden-Scheidung eines russischen Oligarchen. Mit Arbeit wird man nicht so reich. Nur durch Spekulation und Betrug. Wir sind überhaupt nicht mehr in der Lage, uns die Frage nach Eigentum zu stellen, weil das auch ideologisch nicht genehm ist. Als man in Texas zum ersten Mal Öl fand, beanspruchte es der Grundbesitzer für sich. Warum aber gehört das ihm, nur weil es auf seinem Grund ist? Öl gehört allen Menschen. Punkt. Über Jahrmillionen wurde es erzeugt. So wie die Sonne allen gehört. Ich garantiere, dass es in den nächsten Jahren einen Konzern geben wird, der die Sonne für sich beansprucht. Mit irgendeinem Trick – das wird passieren. Wäre von Anfang an klargestellt worden, dass Öl nicht im Privatbesitz sein kann, hätten wir den ganzen Ärger mit Saudi-Arabien nicht. Wie kann es sein, dass eine demokratische Regierung Deutschland diese Diktatur mit Waffen beliefert?

"Krone": Das von Ihnen angesprochene Desinteresse der Generation der jetzt 30-Jährigen könnte man auch mit Ihrem Song "Revolution" in Verbindung bringen. Ist es in Wohlfahrtsstaaten wie Österreich, Deutschland oder der Schweiz überhaupt möglich, zu protestieren? Eine Revolution zu starten?
Wecker: Eine Protestkultur wird es auch bei uns geben, wenn der Unterschied zwischen Arm und Reich noch deutlicher wird. Da habe ich aber die große Angst, dass die Revolution von der falschen Seite kommt – von den Rassisten und Faschisten. Deshalb gebe ich derzeit so viel laut, man kann das nur mit Aufklärung verhindern. Man braucht sich nur die Weimarer Republik vergegenwärtigen, um zu sehen, was falsch gemacht wurde. Wir haben einen gefährlichen Zustand. Jean Ziegler sagt, der Aufstand wird kommen. Davon bin ich auch überzeugt, weil die Leute nicht mehr alles erdulden werden. Wir müssen aber wach sein, diesen Aufstand nicht den Pegida-Leuten zu überlassen.

"Krone": Ihnen war schon als junger Mensch wichtig, dass die Botschaft der 68er-Generation weitergetragen wird. Wie gut ist das bis heute gelungen?
Wecker: Durch die ideologische Zersplitterung haben wir am Ende auch viele Fehler gemacht. Jeder wusste, wie die Welt auszusehen hat und das hat mich damals schon maßlos aufgeregt. Ich führte richtige Kämpfe mit ihnen, weil ich ein alter Anarcho bin. (lacht) Zwei Sachen waren damals sensationell. Das eine war, dass wir die Nazi-Seilschaften aufgedeckt haben – in Österreich hat das wohl länger gedauert und es blieb vieles noch im Untergrund bzw. nicht aufgedeckt. Man denke nur an Waldheim. Und den witzigen Kommentar von Fred Sinowatz: "Nehmen wir also zur Kenntnis, dass nicht Waldheim bei der SA war, sondern nur sein Pferd." (lacht)
Das zweite war die wunderbare Enttabuisierung des Denkens. Es durfte wirklich frei gedacht werden, das kannst du dir heute in Zeiten der NSA gar nicht mehr vorstellen. Das war vielleicht der letzte Versuch der Menschheit, ohne Tabus zu denken. Dann kam noch die so gern verhöhnte Hippie-Zeit mit jungen Menschen, die sich dem Markt nicht anpassen wollten. Ich fand sie großartig. Menschen, die keine große Karriere machen wollen, sondern lieber ein bisschen Shit rauchen, nach dem Prinzip "make love not war" existieren und einfach leben wollen. Sie waren nicht erfolgsgeil und das konnte dem Neoliberalismus nicht passen. Man muss leider sagen – danach hat die Konterrevolution gesiegt.

"Krone": Wie viel 68er-Generation steckt heute noch im 68-jährigen Konstantin Wecker?
Wecker: Schon viel, auch von dem Kampfgeist, den wir damals hatten. Ich muss aber sagen, dass ich heute politisch viel klarer und informierter bin. Damals passierte viel aus dem Bauch heraus. Ich war jung, ein Poet und wollte mich nicht auf ein Lager festlegen lassen. Heute muss ich allein durch meine Facebook- und journalistische Arbeit vieles fundiert begründen können. Ich bin auch befreundet mit Politologen und Historikern, die mich immer wieder mal gut beraten. Ich stelle fest, dass viele der großen alten Männer, wie Dieter Hildebrand oder Arno Grün, die ich zu meiner großen Freude kennenlernen durfte, in den letzten Jahren immer wütender geworden sind. Denn die soziale Ungerechtigkeit ist untragbar. Das muss in einer Katastrophe enden, wenn wir nichts unternehmen.

"Krone": Warum sind Sie nie selbst aktiv in die Politik gegangen?
Wecker: Ich bin viel zu dünnhäutig. Du musst, um dich in deiner eigenen Partei durchzusetzen, Nerven wie Drahtseile und eine Elefantenhaut haben. Das kriegt man außen gar nicht mit.

"Krone": Mit Margot Käßmann veröffentlichen Sie auch das Buch "Entrüstet euch!". Wie viel hat es mit Stephane Hessels "Empört euch!" zu tun?
Wecker: Es hat viel damit zu tun, vor drei Jahren habe ich auch ein Lied mit diesem Titel geschrieben und es Hessel gewidmet. Wir sind Herausgeber des Buches und haben Beiträge von PazifistInnen aus der Geschichte und der Jetztzeit gesammelt, damit die Stimme des Pazifismus nicht ganz vernichtet wird.

"Krone": Wie definieren Sie Pazifismus in der Gegenwart?
Wecker: In unserem letzten Pazifismus-Kongress haben wir uns für einen aktiven Pazifismus ausgesprochen. Pazifismus ist kein naives Weicheitum, wie es uns gerne unterstellt wird. Es geht uns darum, aktive Friedensarbeit zu fördern. Es ist nicht so, dass man zuerst jemand bewaffnen muss, um den Frieden zu wahren. Das passierte in der Menschheitsgeschichte immer. Irgendwann muss man beginnen, die Gewaltlosigkeit umzusetzen. Entweder es wird eine Menschheit ohne Kriege geben, oder keine Menschheit mehr.

Konstantin Wecker gibt es mit neuer CD und großen Hits auch einige Male live zu sehen. So unter anderem am 6. August in der Burgarena Finkenstein, am 7. August am Domplatz in Linz, am 8. August auf den Grazer Kasematten und am 9. August auf der Donaubühne Tulln. Karten erhalten Sie unter 01/960 96 999 oder im "Krone"-Ticketshop.

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