"Krone"-Interview

Apocalyptica: “Gesichtslose Macht ist leider real”

Musik
28.04.2015 17:00
Nach fünfjähriger Pause sind die finnischen Cello-Metaller Apocalyptica endlich wieder ins Rampenlicht gerückt. Das brandneue Studioalbum "Shadowmaker" ist dabei ungewohnt sperrig und progressiv geraten, zeigt aber auch den unaufhaltsamen Humor, den die Band samt dem neuen Sänger Franky Perez verspürt. Wir haben uns im frühlingshaften Wien mit Cellist Paavo Lötjönen und Drummer Mikko Sirén über das neue Album, die Probleme mit Rockmusik in der Gegenwart und den "Teufel" Hansi Hinterseer unterhalten.
(Bild: kmm)

Als ungezwungene Metallica-Coverband gestartet und über mehr als 20 Jahre hinweg zu einem anerkannten globalen Act gereift – die finnische Cello-Metalschmiede Apocalyptica zählte bereits in den 90er-Jahren zu den größten Innovatoren der Musikszene und brachte das seltene Kunststück zusammen, ein aus der Klassik kommendes Instrument für junge Menschen und Headbanger gleichermaßen cool zu machen. Mehr als vier Millionen verkaufte Alben und hohe Chartplatzierungen von Finnland über Österreich bis in die USA sprechen Bände.

Vom Metal zur Klassik
Nach sieben Studioalben in 14 Jahren und unzähligen Welttourneen benötigte das Quartett dringend eine Pause. Obwohl das erfolgreiche letzte Studioalbum "7th Symphony" bereits fünf Jahre zurückliegt, war die Band in der Zwischenzeit nicht untätig. "2013 haben wir das Monsterprojekt 'Wagner Reloaded' zu Ehren des 200. Geburtstages des legendären Komponisten in Angriff genommen", erzählt Drummer Mikko Sirén im Gespräch mit der "Krone", "die Livekonzerte dazu waren eine Riesenproduktion und da wäre gar keine Zeit für etwas anderes gewesen."

"Etwas anderes" ist nichts weniger als das brandneue Studioalbum "Shadowmaker", mit dem Apocalyptica natürlich an die Erfolge der Vergangenheit anknüpfen wollen. Im Gegensatz zu früher hat sich bei den Finnen aber so einiges verändert. In erster Linie setzt die Band nicht mehr auf mehr oder weniger bekannte Gastsänger, sondern hat mit dem US-Amerikaner Franky Perez erstmals überhaupt einen fixen Frontmann am Start. Die Auswahl war laut Sirén nicht einfach. "Es gibt vielleicht zwei, drei Länder auf der Welt, die richtig gute Sänger haben. Uns war wichtig, dass die Stimme variabel ist. Er muss zärtlich, intim und fragil singen können, so wie eben auch die Celli klingen. Franky hat das alles drauf."

Eigenständige Note anstatt Topstar
Nachdem Apocalyptica früher bereits mit bekannten Namen wie Till Lindemann, Corey Taylor oder Max Cavalera gearbeitet haben, ist Sirén froh, dass Perez noch ein unbeschriebenes Blatt ist. "Wir sparen uns damit die medialen Direktvergleiche. Franky ist jetzt einfach die Stimme von Apocalyptica und nichts anderes. Mit einem Corey Taylor wären wir sofort die Cellisten-Slipknot gewesen. Zu unserem eigenständigen Sound benötigten wir aber auch 'unseren' eigenständigen Sänger." Es liegt auf der Hand, dass Perez auch die Livedates, die Apocalyptica im Oktober auch nach Wien führen, begleiten wird. Cellist Paavo Lötjönen legt aber fest: "Er ist kein festes Bandmitglied! Ob er fix an Bord sein wird, dass wir wissen wir wohl frühestens in zwei Jahren, wenn er alle Prozesse miterlebt hat."

Eine kräftige neue Brise erwartet sich die Band auch durch die kulturellen Unterschiede zwischen dem kühlen, dunklen Finnland und der heißspornigen USA. "Natürlich hätten sich bei uns als Sänger viele einen Wikinger erwartet und keinen Latino", lacht Sirén, "aber die Mischung aus diesen zwei Welten macht die Besonderheit aus. Las Vegas und Helsinki auf einer Bühne – klingt doch gut, oder?" Sehr gut klingt auch der Sound des Albums, mit dem die etablierten Chartstürmer einmal mehr neue Territorien betreten und den wuchtigen Sound mit einer progressiven Note würzen. Für Lötjönen logisch erklärbar: "Wir wollten uns von sämtlichen musikalischen Strukturen befreien, das Schema 'Vers-Refrain-Vers' nur mehr selten einsetzen. Die Songs haben viele Wendungen und sind teilweise sehr lang geraten. Das geschah in unserem vollen Bewusstsein."

Gegen die Macht von oben
Wie immer haben sich Apocalyptica auch bei den Texten Gedanken gemacht. "Einen 'Shadowmaker' kennt bestimmt jeder, deshalb ist der Titel auch frei interpretierbar. Es geht eben um Menschen, die Schatten werfen und das Gleichgewicht der Welt aus den Angeln heben." Schlagzeuger Sirén präzisiert etwas: "Wir leben in einer Welt, die von Ängsten regiert wird. Das Gesicht hinter dem Vorhang auf unserem Cover spiegelt im Prinzip die Anzugträger wider, die in den obersten Stockwerken ihrer Glasgebäude sitzen und die Welt so regieren und leiten, wie wir sie kennen. Dieser gesichtslose Missbrauch von Macht ist für mich beängstigend, aber leider real."

Bei einem derart düsteren Konzept wundern auch die wenig lebensbejahenden Songtitel wie "House Of Chains", "Slow Burn" oder "Reign Of Fear" wenig. Dass die Band damit mitten ins finnische Depressions-Klischee tappt, ist Sirén klar: "Wir sind aber nicht depressiv, sondern richten nur gerne das Licht auf die negativeren Themen, da sie mehr hergeben. Aber im Vergleich zu Chris Martin und Coldplay sind wir die reinsten Frohnaturen." Lötjönen ergänzt lachend: "Ich habe gehört, dass die Österreicher rund um die Uhr Schlager hören." Wie wäre es dann mit einer Kooperation zwischen Apocalyptica und Hansi Hinterseer, lieber Herr Lötjönen? "Das wäre höllisch. Satanischer würde es wohl kaum gehen. Aber den Schritt auf eine derart dunkle Seite würden wir wohl nicht machen."

"Der Rock stirbt"
Auf "Shadowmaker" arbeiten Apocalyptica erstmals überhaupt in ihrer Bandgeschichte nicht mit einem der beiden Majorlabel Universal oder Sony zusammen, sondern mit Eleven Seven Music. "Wir konnten zu 100 Prozent hinter unserem Sound stehen und niemand wollte uns in irgendeine Richtung schubsen", schwärmt Lötjönen von den Vorteilen der neuen Arbeitsbeziehung, "speziell in Amerika klingen so viele Bands, die von den A&R-Leuten der großen Plattenfirmen verpflichtet werden, gleich. Alleine Nickelback und Shinedown haben zahllose Epigonen. Alle haben Angst, aus dieser Box auszubrechen, und der Rock, der nicht genauso klingt, stirbt im Radio. Auch bei euch in Österreich."

Zumindest das Live-Segment liegt in Österreich nicht auf dem Totenbett. Am 12. Oktober sind Apocalyptica live im Wiener Gasometer zu sehen und werden neben den großen Hits natürlich auch eine Handvoll der progressiven neuen Songs von der Bühne zaubern. "Da kommen wir mit all unseren Trucks und können showtechnisch volle Geschütze auffahren", freut sich Lötjönen schon jetzt auf die große Europa-Tour, "bis Herbst sind wir auch schon so gut mit den neuen Songs eingespielt, dass wir ein großes Konzertvergnügen garantieren können." Und zu den vier Millionen verkauften Alben werden sich bis dahin auch ein paar weitere dazugesellt haben.

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