Flüchtlingsdrama

Augenzeugen: Kapitän war betrunken und hat gekifft

Ausland
22.04.2015 09:56
Der tunesische Kapitän des am Sonntag in libyschen Gewässern gekenterten Flüchtlingsbootes sei betrunken gewesen und habe seit der Abfahrt in Libyen Haschisch geraucht, berichteten Überlebende des bisher fatalsten Flüchtlingsunglücks im Mittelmeer mit rund 850 Todesopfern. Wegen des Zustands des 27-Jährigen sei es demnach zu einem falschen Manöver und zur Kollision des Bootes mit einem portugiesischen Handelsschiff gekommen, das dem Notruf gefolgt war. An Bord des hoffnungslos überlasteten Bootes sei laut den Zeugen Panik ausgebrochen.

Der Kapitän und ein syrisches Besatzungsmitglied wurden in der Nacht auf Dienstag festgenommen, als die 27 Überlebenden in Catania auf Sizilien an Land gehen konnten. Dem Kapitän werden vielfacher Totschlag, Verursachen eines Schiffsuntergangs und Beihilfe zur illegalen Einwanderung vorgeworfen. Gegen den 25-jährigen Syrer wird wegen Beihilfe zur illegalen Einwanderung ermittelt. Die beiden Männer müssen am Freitag zu einer ersten Anhörung vor Gericht erscheinen. Dem Kapitän des portugiesischen Handelsschiffes sei dagegen nichts vorzuwerfen, berichteten die sizilianischen Ermittler.

"Sie schlugen uns, um mehr Menschen ins Boot zu bringen"
Laut den Überlebenden wollten Schlepperbanden etwa 1.200 Menschen an Bord des Flüchtlingsbootes unterbringen. "Sie schlugen uns, um so viel Menschen wie möglich ins Boot zu bringen. Am Schluss waren wir mehr als 800 an Bord. Die meisten waren im Lagerraum eingeschlossen. Nach der Kollision bin ich ins Wasser gefallen, wo ich eine halbe Stunde lang warten musste, bis man mir ein Seil zugeworfen hat", berichtete der 16-jährige Somalier Said, der mit weiteren drei Minderjährigen gerettet werden konnte.

Die Überlebenden erzählten, dass das Flüchtlingsboot am Samstag von einem Hafen nahe der libyschen Hauptstadt Tripolis abgefahren sei. Die Migranten seien zuvor ein Monat lang in einem Bauernhof gefangen gehalten worden, bevor sie abfahren durften. Bis zu 1.500 Dollar (rund 1.400 Euro) pro Person hätten sie für die Reise nach Italien zahlen müssen. "Wir wurden geschlagen und bekamen kaum zu Essen. Wer erkrankte, wurde sich selbst überlassen. Ich habe viele Personen sterben sehen", berichtete der junge Somalier, der insgesamt neun Monate lang in Tripolis ausharren musste, bevor er die Reise nach Italien unternehmen konnte. Sein Ziel sei es jetzt, nach Norwegen weiterzureisen.

Die Geretteten seien "tief traumatisiert", sagte Carlotta Sami, die Sprecherin des Flüchtlingshilfswerks. Auf dem Boot befanden sich nach ihren Angaben vor allem junge Männer, aber auch mehrere Kinder im Alter von zehn bis zwölf Jahren.

Heuer bereits 30 Mal mehr Opfer als im Vorjahreszeitraum
Der Internationalen Organisation für Migration zufolge ist die Zahl der Toten im Mittelmeer seit Jahresbeginn damit auf mehr als 1.750 gestiegen. Im Vorjahreszeitraum habe es 56 Opfer gegeben, die nunmehrige Zahl liege also schon über 30 Mal höher. Allein am Montag und Dienstag griff die italienische Küstenwache mehr als 1.000 Flüchtlinge im Mittelmeer auf.

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