Literaturtage Rauris

Der Punk, der das Bier in der Melancholie bunkert

Salzburg
20.03.2015 17:45
Die Rauriser Heimalm auf 1600 Meter Seehöhe ist so wie sie heißt: Ein herrliches Holzhaus mit handgehobelten Balken und seit Jahren die Donnerstag-Heimat der Literaturtage. Und die stellte sich diesmal als besonders gelungen zu Wort: Mit Seher Cakir, Ann Cotten, dem tschechischen Punk-Piloten Jaroslav Rudis.

Es war eine kleine, dennoch nicht bedeutungslose Geste: Seher Cakir, 1971 in Istanbul geboren und mit 12 Jahre nach Wien gekommen, bedankte sich bei einer Dame, die sie zu einem Kaffee eingeladden hatte, mit einem Sprichwort: "Ein Kaffee ist mehr als 40 Jahre Freundschaft." Das mag übertrieben sein, dennoch schön. Cakir wandelt in ihren Texten in Kluften einer austro-türkischen Existenz und beschreibt die kulturellen Erfahrungen und Differenzen. Das hört sich zuweilen recht harmlos an, doch in der scheinbaren Normalität verharrt die Herausforderung. Und gelegentlich auch banal, etwa in der "Schatzkiste"-Geschichte, wo es um die Enthaarung des Venus-Waldes geht. Die Oma sagt, sonst bist du "eine schmutzige Frau". Das ist mittlerweile exzessiver West-Style, der kulturelle Hintergrund allerdings eine andere Kontroverse. "Der Ruf des Muezzins" ist eine hinreißende Erzählung von einem 10-jährigen Mädchen, das sich in einen verliebt. Geht natürlich schief. Es kommen auch so Platitüden vor wie "Wer Rosen liebt, muss auch Dornen lieben" oder "Die Hoffnung lebt länger als das Selbst, auch wenn sie immer stirbt". Aufhorchen ließ Seher Cakir mit einer Feststellung: "Migrationsliteratur gibt es als Genre nicht, was soll das sein. Und was wird bei der Integration gefordert? Jeden Sonntag Kirche und Schnitzel?"

"Ich bin eine funktionierende Wahnsinnige“
Sie wirkt, als würde sie sich fürchten, was in ihren Texten folgt: Ann Cotton, 1982 in Iowa (USA) geboren, in Wien aufgewachsen, lebt seit acht Jahren in Berlin. Sie schwimmt so herrlich hinreißend gegen den Strom des Gewöhnlichen, dass es eine helle Freude ist. Da fliegen Fische am Fenster vorbei, da schweißt sich der selbstschlachtende und -bratende Hase vom Dach gleich selbst ein und begibt sich ins Kühlfach. Man könnte sagen: "Ich bin eine funktionierende Wahnsinnige, kann es aber noch erklären", schäkert Cotten. Das kann alles Täuschung sein, wenn jemand "von Klischees oder Substanzen benebelt ist". Der "Wort-Landstreicher" Ludwig Hartinger, ohne den nicht nur die Rauriser Literaturwelt entschieden ärmer wäre, nennt Ann Cotten eine "Rösslspringerin". Auch da eine kleine Geste: Die handgehobelten Holzbalken der Heimalm erinnerten sie an japanische Tempel. Ein wenig drüber, und wieder schön.

Als ich ihn kennenlernte beim Fünf-Uhr-Tee, da war nach der Begrüßung das zweite Thema: "Welches Bier ist das?" Hab’s erklärt. Mit Jaroslav Rudis, 1972 in Tschechien geboren, ist so ein Start kein kleines Bier-Seminar mehr, da geht es an Hefe, Hopfen und Malz. "So hoch habe ich in Böhmen noch nie gelesen", sagt er. Sein jüngster Roman "Vom Ende des Punks in Helsinki" ist gleichsam ein Pendant zu den Filmen der finnisch-düster Kaurismäki-Brüder. Da schleift sich die Sehnsucht in die grobe Schachtel des Verlustes und der jämmerlichen Hoffnung. Es gibt einen wunderbaren Rudis-Text im neuen "Literatur und Kritik"-Heft über Karl Kraus in Jicin (Böhmen), seinem Geburtsort. Unbedingt lesen! Das "Helsinki" ist eine Bar der Gestrandeten, Punk als Popcorn, wo Tragödien-Geschichten der Welt im Tischfußball ungelöst bleiben und Leichen gerührt sind, die Band "Tote Hosen" 1987 ein skurriles Konzert in der Tschechoslowakei gibt, eingestreuselt von Deppen-Schlager-Typen und dann alle Jungforschen nur mehr Punk sein wollten. Jetzt noch eine Geschichte. "Lieblingsbier?", klar: Bernard, tschechische Familien-Brauerei. Eine junge Frau meinte, wie der Thomas Bernhard? Einen Vorschlag hat Jaroslav Rudis: "Österreich sollte ein Bernhard Bier brauen."

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