Brandneues Album

Belle & Sebastians stilistischer Parforce-Ritt

Musik
15.01.2015 17:00
Auf ihrem neunten Studioalbum haben die schottischen Indie-Folk-Größen Belle & Sebastian einen radikalen Kurswechsel eingeschlagen. "Girls In Peacetime Want To Dance" sucht bewusst die Nähe zur elektronischen Musik und ist auch deshalb ein sehr frühes Jahreshighlight am Pop-Firmament.
(Bild: kmm)

Man hätte schon vor Albumrelease ahnen können, dass sich im Lager von Belle & Sebastian einiges tut. Mastermind Stuart Murdoch hatte unlängst in einem Interview mit "The Daily Beast" das Touren mit einem Ritt auf den Meereswellen verglichen. Auch wenn sich die Schotten immer noch nur dann richtig wohlfühlen, wenn sie auf ausgewählten Festivals spielen und den Tour-Alltag beiseiteschieben können, schwang in dieser Aussage ein ungewöhnliches Maß an Kampfgeist mit. Und fürwahr – die Glasgower haben rechtzeitig zur Veröffentlichung ihres neunten Studioalbums einiges von ihrer markanten Schüchternheit abgelegt.

Veritabler Stilbruch
"Girls In Peacetime Want To Dance" nennt sich das pressfrische Werk, das Murdoch schon im Frühling beim Open-Air-Auftritt in der Wiener Arena ankündigte. In der für die Band typischen Langzeitschleife von mehr als vier Jahren zwischen den einzelnen Studioalben sammelten sich einerseits viele Ideen an und wurde andererseits überraschend radikal am Sound geschraubt. Die einstigen Liebkinder der Indie-Folk-Connaisseure, die sich vor allem an der harmlos-sanften Instrumentierung der Schotten labten, bekommen einen veritablen Stilbruch vor die Ohren geworfen.

Belle & Sebastian haben nicht nur elektronische Klänge für sich entdeckt, Murdoch hat sich für das neueste Album ganz offensichtlich von den Synthie-Pop-Größen der 80er-Jahre beseelen lassen. Nur so lässt sich erklären, dass schon der Opener "Nobody's Empire" eine herzhafte Verbeugung vor den Pet Shop Boys ist und zudem schon früh das untrügliche Melodiegefühl der Band wiedergibt. Für Aufregung sorgte freilich bereits im Herbst die erste Single-Auskoppelung "The Party Line", die vor allem altgediente Fans in einen mittelschweren Schockzustand versetzt haben dürfte. Die Disco-generierten Beats flutschen hier unwiderstehlich modern durch die Gehörgänge und präsentieren die Band in einem völlig neuen Soundgewand.

Oberste Prämisse: Pop
Im Gegensatz zu den künstlich generierten Mainstream-Chart-Spitzenreitern dient die elektronische Komponente bei Belle & Sebastian aber stets dem Song und nicht umgekehrt. Die oberste Prämisse ist das Verfassen eines eindrucksvollen Popsongs und nicht kurzlebiges Aufmerksamkeitslukrieren auf Kosten eines stringenten Lied-Gebildes. Ebenso hervorzuheben ist das überlange Tanzflächen-Manifest "Enter Sylvia Plath", eine Hommage an die berühmte amerikanische Schriftstellerin, die einen galoppierenden Rhythmus aufweist und sich mit laufender Fortdauer immer weiter steigert, bis sie sich nach knapp sieben Minuten in einem feurigen End-Furioso entlädt.

Doch woher die plötzliche Liebe zur Konservenmusik? Laut Bandmitglied Chris Geddes eine logische Schlussfolgerung der letzten Live-Auftritte. "Ich habe für diverse Soundeffekte live den Laptop benutzt und irgendwann ist es einfach logisch, das fortzuführen. Im Proberaum hat sich der Einsatz des Laptops ganz natürlich angefühlt. So, als ob es immer schon so gewesen wäre." Mitverantwortlich für den stilistischen Sprung war auch Animal Collective-Produzent Ben H. Allen III, der erstmals mit den Schotten zusammengearbeitet hat.

Doch keine Angst – obschon die Schotten sich auf dem neuen Album stark in die Moderne bewegen, werden die Erfolgsingredienzien der letzten Jahre nicht völlig außen vor gelassen. Romantische Indie-Folk-Hymnen gibt es in Form von "Ever Had A Little Faith" oder "Today This Army Is For Peace" zu bewundern, der zeitweise Keyboard-Bombast auf Songs wie "The Book Of You" und "Play For Today" erinnern sogar an skandinavische Pop-Größen mit Alternative-Touch.

Der Sprung ins kalte Wasser
"Girls In Peacetime Want To Dance" ist schlussendlich ein langes und voller Überraschungen steckendes Werk einer Band, das viel mehr nach einem zweiten Debüt denn nach einer schnöden Fortsetzung einer etablierten Karriere klingt. Belle & Sebastian haben den Mut gefunden, die eigene Komfortzone zu verlassen, um sich kurz vor dem 20. Bandgeburtstag noch einmal in kalte, unbekannte Wasser zu werfen.

Allein dafür gebührt Stuart Murdoch und Co. der höchste Respekt, doch die Tatsache, dass kaum eine Band die Fähigkeit besitzt, dermaßen eingängige, spannende und sich nicht ständig wiederholende Popsongs zu schreiben, macht die Schotten zu einer unverzichtbaren Konstante in der Musikwelt. Hier darf Pop noch Pop sein – ohne Bombast und Trara, aber mit Hirn und Fingerspitzengefühl. Danke dafür!

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