"Krone"-Interview

Niels Frevert: “Das Glück ist wie Marmelade”

Musik
19.11.2014 09:00
Mit seiner alten Band Nationalgalerie war Niels Frevert mit der richtigen Musik zur falschen Zeit am falschen Ort. Mittlerweile hat er sich endgültig von den alten Tagen emanzipiert und bedient als allseits respektierter Solokünstler ein Publikum, für das es zu wenig musikalisches Angebot gibt. Im "Krone"-Gespräch erzählte Frevert, der am 21. November ins Wiener B72 kommt, warum sein Sound perfekt zu Wien passt, weshalb man beim Album aufnehmen jedes Detail akribisch durchdenken soll und weshalb es übers Spießertum nichts zu lachen gibt.
(Bild: kmm)

"Krone": Niels, ich habe dein neues Album "Paradies der gefälschten Dinge" sofort mit Wien assoziiert. Das Album klingt nämlich ähnlich opulent, wie es die Musikhistorie dieser Stadt ist.
Niels Frevert: Das höre ich gerne. Ich dachte selber, dass die Wiener was damit anfangen müssten. (lacht)

"Krone": Warum hast du dieses Mal auf die großen Gesten gesetzt?
Frevert: Ich hoffe, die Gesten sind nicht zu groß geworden, denn wir haben viel Zeit damit verbracht, nicht über das Ziel hinausschießen zu wollen. Der Grundsound der Band war nach zehn Tagen fertig – die weiteren zweieinhalb Monate haben wir wirklich überlegt, was wir hinzufügen oder wegnehmen sollen. In Hamburg gibt es den Spruch: "Nach fest kommt lose." Wenn man die Schraube also zu fest zieht, hält sie nicht mehr. Ich wollte einfach etwas wagen und größer und offener werden, mehr Dynamik reinbringen. Ich habe Plattenlabel und Management gewechselt, alles eine Nummer größer, aber auch nicht ganz groß.

"Krone": Warum wolltest du nicht zu einem großen Major-Label?
Frevert: Es hat doch alles zwei Seiten. Für eine große Plattenfirma habe ich derzeit nicht die Nerven und ich glaube, ich habe nicht die richtige Musik dafür. Ich sehe die Zukunft in kleinen bis mittelgroßen Labels, so wie eben jetzt bei Grönland. Die sind sehr erfolgreich und überlegen ganz genau, was sie veröffentlichen. Die wenigen Platten werden auch intensiv betreut. Dort wird reflektiert und professionell gearbeitet. Ich wollte auch einen Schritt weg machen vom Hamburger Indie-Label Tapete Records. Wenn ich bei einem Konzert ins Publikum schaue, sehe ich eher mündige, erwachsene Menschen, die einen gewissen Anspruch an Kunst und Kultur haben. Die konsumieren nicht nur, was angeboten wird oder aus dem Radio dudelt.

"Krone": Damit trennst du im Prinzip aber die Begriffe "Indie-Fans" und "mündiges Publikum".
Frevert: Mündig ist nur eine Umschreibung für erwachsen und erwachsen sagen fällt mir so schwer. Es klingt so, als dürften jüngere Leute dann meine Musik nicht hören. Tatsächlich habe ich aber nicht das klassische Indie-Publikum, das sich zwischen 16 und 26 bewegt. Meines geht von da weg erst los. Mitte 20 bis 50. Diese Gruppe wird ja oft genug vernachlässigt. Manchmal habe ich das Gefühl, sie hätten die Hoffnung aufgegeben, dass es noch deutschsprachige Pop-Musik geben kann, die ihr gefallen könnte. Die werden einfach etwas stiefmütterlich behandelt und dort liegt für mich die Zukunft. Deshalb habe ich mich auf der Platte "Du kannst mich an der Ecke rauslassen" bewusst musikalisch neu orientiert. Ich wollte was machen, was ich auch in 20, 30 Jahren würdevoll auf der Bühne singen kann. Ich glaube, hier gibt es durchaus einen Bedarf. An etwas, das unterhält und trotzdem eine gewisse Tiefe mitbringt. Es muss ja nicht zu verkopft sein. Ich habe auch noch das Glück, dass mein Publikum noch Platten kauft und den Wert in einer Musik hört. Ich will nicht sagen, dass andere Sachen wertlos seien, aber ich versuche Musik zu machen, die einen gewissen Wert hat. Man soll hören, dass man auf der Platte die Luft aus dem Studioraum hört, das es echt ist. Dafür gebe ich auch gerne Budget aus.

"Krone": Leben wir in einem Paradies der gefälschten Dinge?
Frevert: Wir umgeben uns doch alle gerne damit. Man tröstet sich mit Sachen, die eigentlich in der Situation gar nicht helfen. Auch im digitalen Bereich finden wir Dinge, die uns nachhaltig doch nicht glücklich machen. Ich habe zu diesem Albumtitel so viele Bilder, dass ich mich gar nicht auf eine Interpretation festlegen kann. Ich hatte auch mal das Bild, dass das Paradies für die Musik steht, die größer und offener geworden ist. Die gefälschten Dinge sind dann die Texte, die den Hörer mit unerwarteten Wendungen aufs Glatteis locken.

"Krone": Das ist ja eine deiner besonderen Spezialitäten.
Frevert: Ich mag das auch bei anderen Musikern sehr gerne. Zum Beispiel Hildegard Knef. Bei ihr ist das Tanzorchester und alles wirkt so leicht, aber die Texte sind ganz schön düster. Das löst dann auch bei mir als Hörer etwas aus. Wenn etwas von hinten noch mal stößt und nicht der 10.000 Song über das Verlassenwerden, Unglücklichsein und die schlechte Welt ist. Ich brauche einfach eine Wendung und am besten ist es dann, wenn man es während dem Lied hört, wenn sich dort alles dreht. Das erwischt dich dann als Hörer umso tiefer. Wenn aus einem anfangs netten Lied was total Doppelbödiges wird.

"Krone": Ich stelle mir den Prozess dazu aber quälend vor, weil es auch in diese Richtung schon so viel gibt.
Frevert: Quälend nicht, aber es ist jetzt auch kein Ponyhof und braucht natürlich Zeit. Ich bin ohnehin nicht der Allerschnellste. Mittlerweile bin ich bei drei Jahren zwischen den Platten, das ist ein guter Rhythmus. Ich kann mich auch von Sachen trennen. Wenn mir was nicht schmeckt, landen Zeile oder Text auch schnell mal im Mülleimer. Du musst immer damit rechnen, dass das Ergebnis dann 20 Jahre im Plattenladen steht. Du kannst dann nichts mehr ändern.

"Krone": Gibt es auch gewisse gefälschte Dinge, für die du selber sehr empfänglich bist?
Frevert: Ich mag zum Beispiel gerne die Grenze zum Kitsch, das ist auch ein gefährliches Gebiet. Gehst du dort zwei Schritte zu weit, wird es langweilig und es bleibt nur noch Klischee. An dieser Grenze zu suchen, das kann ich aber nicht lassen, und da fallen mir viele gefälschte, kitschige Dinge ein. Zum Beispiel Herzen vom Jahrmarkt oder Plastikrosen.

"Krone": Im Song "Nadel im Heuhaufen" singst du über deine Heimatstadt Hamburg: "Zu Hause ist es immer am Schönsten und am Schrecklichsten." Hast du ein zwiespältiges Verhältnis zu deiner Heimat?
Frevert: Da geht es gar nicht mal so sehr um Heimat, sondern um jemanden, der sich zurückgezogen hat und unsicher ist, ob er rausgehen oder sich eher zu Hause vergraben soll. Er ging von einer Feier immer als Erster, weiß mit sich selbst aber nicht wohin. Da geht es um die eigenen vier Wände. Manchmal umarmt einen das eigene Zuhause und manchmal geht es einen wahnsinnig auf die Nerven.

"Krone": Der "Tagesspiegel" hat deine Songs als Drei-Minuten-Romane bezeichnet. Spiegelt das dein eigenes Empfinden wider?
Frevert: Es sind tatsächlich ein paar Kurzgeschichten auf dem Album. Ich fand dieses Format sehr spannend. Eine richtige Geschichte samt Ende zu erzählen. Man hat in diesen drei Minuten ja dann auch nicht so viel Platz und beim Song "UFO" bin ich echt lange davor gesessen, das war nicht einfach. Meiner Erfahrung nach mögen die Leute Geschichten, die sie noch nicht kennen.

"Krone": Wäre es für dich nicht auch interessant, Geschichten in Buchform zu veröffentlichen?
Frevert: Mal schauen. Es gibt tatsächlich schon Anfragen, aber ich traue mir das noch nicht so ganz zu. Vielleicht ist es irgendwann so weit, aber noch nicht. Ich bin bei Musik und Platten schon wahnsinnig kritisch und bei Büchern ist das noch schlimmer. Es ist aber nicht so, dass ich mich nicht mit dem Gedanken beschäftigen würde.

"Krone": Was man ein Buch beinhalten, damit es deine Gunst gewinnt?
Frevert: Es muss eine Geschichte sein, die ich nicht kenne, mit einer Wendung, die ich nicht erwarte, und einer Hauptperson, die Dinge tut, die man vorher nicht geahnt hat. Es muss mich einfach total überraschen. Von einem Drei-Minuten-Popsong zu einem Roman ist es schon ein gewaltiger Sprung. Vielleicht kann man ein Buch aber auch mit einem Album vergleichen – das ist dann schon dichter dran. Es wird sich zeigen.

"Krone": In deiner ersten Single "Das mit dem Glücklichsein ist relativ" geht es um einen verpatzten Heiratsantrag. Bist du jemand, der dem Glück immert das schon leicht? Mir hat mal jemand gesagt, Glück sei hausgemacht, und den Satz fand ich auch sehr gut. Ich verbinde damit Marmelade – weil sie auch hausgemacht ist. Ich hatte das Bild, dass man Marmelade einkocht, sie in Gläser füllt und ein Etikett draufklebt. Das soll symbolisieren, dass man gut mit sich selbst umgeht und auf sich aufpasst. Wenn man das tut, erhöhen sich die Chancen ungemein, inneres Glück zu empfinden. Das ist natürlich relativ. (lacht) Das Video dazu spielt in einem Eigenheim in der Vorstadtsiedlung. Für viele Menschen wäre das Leben dort der absolute Horror, für andere ist es die absolute Erfüllung. Das wollte ich damit auch ausdrücken und ich bin sicher niemand, der diese Menschen als Spießer beschimpfen würde. Ich kenne ja den Hintergrund nicht. Es kommt auch darauf an, wo jemand herkommt – da kann es für den einen oder anderen schon das Paradies sein. Vielleicht mag es jemand lieber, dort zu leben als in einem schicken Loft in Berlin-Mitte.

"Krone": Kann ein Künstler in einer Vorstadtsiedlung und dem klischeebehafteten Inbegriff des Spießertums überhaupt Glück empfinden?
Frevert: Ich lebe tatsächlich im Hamburger Schanzenviertel und sehr gerne in der Großstadt. Es hängt immer von der Konstellation ab. Was einem passiert und welche Menschen man trifft – das kann alles ändern. Ich bin schon in der Großstadt geboren, aber mir geht auch das Herz auf, wenn ich mal an der Ostsee stehe und einfach nur den Horizont sehen kann. Da kommt bei mir tatsächlich am ehesten noch Glück auf. Es hat bei mir jedenfalls nichts mit materiellen Dingen zu tun. Aber selbst das ist relativ. Ich kenne Menschen, die haben relativ viel Geld und sind nicht glücklich. Ich kenne auch Menschen, die leben von Hartz IV und sind auch nicht glücklich. Materielles spielt da oft gar keine Rolle.

"Krone": Du hattest vor deiner Solokarriere schon in den 90er-Jahren bei der Band Nationalgalerie respektablen Erfolg, aber keinen großen Durchbruch. Wäre da mehr drin gewesen? Warst du zum falschen Zeitpunkt in der falschen Band?
Frevert: Ich weiß gar nicht, ob mehr Erfolg möglich gewesen wäre. Wir haben uns ja aufgelöst, als sich die Türen öffneten, an denen wir jahrelang gerüttelt haben. Wir waren keine Vorreiter, aber Miterfinder von etwas, und das war spannend. Wir haben uns aber auch aufgerieben. Damals gab es Deutsch-Rock und der war immer so korrekt gespielt, sauber, typisch Deutsch halt. Wir wollten eher dreckigen College-Rock mit deutschen Texten machen. So wie die Lemonheads. Wir haben uns da viel vorgenommen und haben da wohl die eine oder andere Band inspiriert. Es hat aber irgendwie nicht mehr funktioniert. Ich habe etwa zehn Jahre ununterbrochen in der Band verbracht, wir haben nur getourt und irgendwann ging es einfach nicht mehr. Ich habe dann ein paar Jahre Pause gemacht und musste überlegen, wie es weitergehen sollte. Ich wollte aus den Fehlern auch mal lernen und habe dann anfangs alleine getourt und meine Stimme neu kennengelernt. Ich musste nicht mehr so laut gegen die Band ansingen und das gefiel mir. Die Texte hatten auch mehr Räume. Das war für mich der Weg. Einfach etwas weniger zu machen.

"Krone": Du greifst auch auf keine Lieder der Nationalgalerie zurück, wenn du live spielst.
Frevert: Schon lange nicht mehr, und das mache ich ganz bewusst. Ich wurde direkt nach dem Ende der Band als der "Ex-Sänger von" bezeichnet und das ist niemand gerne. Ich hab mich auch nicht als jemand gesehen, der die Hits von damals aufführen wollte. Das finde ich ganz schrecklich. Insofern habe ich von Anfang an beschlossen, dass ich nicht mehr ein einziges Lied spielen würde, weil ich doch was ganz anderes mache. Das hat dann auch funktioniert und mittlerweile gibt es mehr Soloplatten von mir als welche von Nationalgalerie. Jetzt hab ich es so weit geschafft, dass es heißt "die Ex-Band von". Das war für mich sehr wichtig. Es hat aber schon an die drei Platten gebraucht, bis es so weit war. Wir haben unlängst eine komplette Werkschau von der Band rausgebracht, haben dann noch letzte Interviews zu dieser Zeit gegeben und dann konnte ich richtig loslassen. Es war alles gesagt und es war in dieser Zeit eine tolle und spannende Zeit, aber eben auch rechtzeitig vorbei. Ich sag es mal ganz salopp – ich mag keine alten Herren in engen Klamotten. Das ist überhaupt nicht mein Ding und ich will damit nicht assoziiert werden.

Niels Frevert garantiert ohne Songs von Nationalgalerie gibt es am 21. November im Wiener B72 live zu bestaunen. Tickets für das Konzert erhalten Sie unter 01/960 96 999 oder im "Krone"-Ticketshop.

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