Im "Schuldwahn"

Töchter getötet: 39-Jährige in Anstalt eingewiesen

Österreich
02.10.2014 15:03
Eine 39 Jahre alte Frau, die im Vorjahr in einer Wohnung im Wiener Bezirk Ottakring zwei ihrer vier Kinder erdrosselt hatte, ist am Donnerstag in eine Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher eingewiesen worden. Die Angeklagte hatte sich nach der schrecklichen Tat im September 2013 die Pulsadern aufgeschnitten und danach aus einem Fenster im vierten Stock gestürzt. Die Entscheidung ist bereits rechtskräftig.

Entgegen ärztlicher Prognosen überlebte die Frau den Fenstersturz. Sie war aus einer Höhe von elf Metern auf einem asphaltierten Gehweg aufgeprallt und hatte massive Kopf- und Schädelverletzungen, Serienrippenbrüche, ein zertrümmertes Becken sowie eine zerrissene Leber und Lunge davongetragen. "Am Anfang hat niemand gedacht, dass sie wieder aus dem Koma aufwachen wird", erklärte ihr Verteidiger.

Nun allerdings schleppte sich die Frau, die wider Erwarten das Bewusstsein wiedererlangte und im Dezember erstmals zu dem Vorgefallenen befragt werden konnte, auf einem Rollator in den Verhandlungssaal. Ohne fremde Hilfe kann sie sich nicht mehr fortbewegen.

Sohn leidet unter seltener Erbkrankheit
Die 39-Jährige aus Ägypten war im Jahr 2000 mit ihrem zweiten Mann nach Österreich gekommen und brachte in weiterer Folge vier Kinder - drei Töchter und einen Sohn - zur Welt. Der Bub litt unter einer schweren Krankheit, deren Ursache sich geraume Zeit nicht feststellen ließ. Erst im August 2013 diagnostizierten Ärzte Morbus Addison, eine Erkrankung der Nebennierenrinde.

Frau steigerte sich in "Schuldwahn" hinein
Bei Internetrecherchen fand die Mutter heraus, dass es sich dabei um eine genetisch bedingte Krankheit handelt, die ausschließlich von Frauen an die nächste Generation weitergegeben wird, wobei sie nur bei Männern ausbricht. Laut psychiatrischem Gutachten steigerte sich die Mutter binnen weniger Wochen in einen "Schuldwahn" hinein, für die gravierende Erkrankung ihres Sohnes verantwortlich zu sein. "Sie gelangte zur Überzeugung, sie sei schuld am Elend der Familie", sagte Gerichtspsychiater Karl Dantendorfer. "Aus ihrer Sicht war es besser, ich sterbe und nehme die Kinder, die die Krankheit weitergeben können, mit."

Nachdem die sechsköpfige Familie am Tag der laut Staatsanwaltschaft "grauenhaften" Familientragödie gefrühstückt hatte, begab sich der Vater mit dem Sohn zu einem Kontrolltermin ins SMZ Ost. Die älteste, zwölf Jahre alte Tochter bettelte, mitkommen zu dürfen - das dürfte ihr vermutlich das Leben gerettet haben. Denn nachdem die drei die Wohnung verlassen hatten, erdrosselte die Mutter ihre neun und sechs Jahre alten Töchter, wobei die Ältere eine Zwillingsschwester des Buben war. Als Tatwerkzeuge dienten ihr laut Anklagebehörde ein Schal bzw. das Kabel eines Bügeleisens (Bericht siehe Infobox).

Angeklagte wollte Familie von "Schande" befreien
Dass es sich dabei um einen erweiterten Selbstmord gehandelt haben dürfte, geht aus einem Abschiedsbrief hervor, der am Tatort sichergestellt werden konnte. Demzufolge ging es der 39-Jährigen darum, ihre Familie von "Schande" freizumachen. "Ich habe mich umgebracht, weil ich es nicht ertrage anzusehen, dass meine Kinder ihr ganzes Leben belastet und traurig sind. Ich wusste nicht, dass ich die Krankheit in mir trage. Ich habe mich umgebracht, weil ich verschmutzt-besudelt bin und den größten Fehler begangen habe, weil ich nicht wusste... Hätte ich gewusst, hätte ich nicht geheiratet und hätte nicht gebärt", ist in dem Brief zu lesen.

Auf die Frage, wie es gehe, erwiderte die 39-Jährige vor Gericht: "Seit ich erfahren habe, dass mein Kind krank ist, geht es mir sehr schlecht." Es handle sich um "meinen einzigen Sohn. Das ist Schicksal. Das ist eine Sache Gottes."

Starke Suizidgefährung bei Angklagter festgestellt
Laut einem psychiatrischen Gutachten leidet die 39-Jährige an einer "anhaltenden wahnhaften Störung", war damit zum Tatzeitpunkt nicht zurechnungsfähig und nicht schuldfähig. Dantendorfer stellte bei der Angeklagten, die sich nach eigenen Angaben an die Tat nicht mehr erinnern kann, zudem eine starke Suizidgefährdung fest.

Weiters stelle sie eine Gefahr für die überlebende Tochter dar, erklärte der Gerichtspsychiater. So könnte sie dieser in ihrem Wahn nach dem Leben trachten, um zu verhindern, dass die Zwölfjährige den Morbus Addison an männliche Nachkommen weitergibt. Auch für den Sohn liege ein Gefährdungspotenzial vor, zumal dem Abschiedsbrief auch die Passage "Wenn etwas krank ist, ist es zu töten" zu entnehmen ist.

Geschworene entschieden einstimmig
Der Sachverständige empfahl daher, die Frau im Maßnahmenvollzug unterzubringen, wo eine Behandlung ihrer Wahnvorstellungen gewährleistet sei. Dem kamen die Geschworenen nach eingehender Beratung einstimmig nach. Die Frau kann damit zeitlich unbefristet angehalten werden, bis ein Experte feststellt, dass von ihr keine Gefahr mehr ausgeht. Ob die weitere Anhaltung gerechtfertigt ist, hat von Amts wegen jährlich überprüft zu werden.

Entgegen ursprünglicher Informationen hält sich der 44-jährige Ehemann weiter in Wien auf. Die zwölfjährige Tochter und der neun Jahre alte Sohn wachsen jedoch bei Verwandten in Ägypten auf. Der Ehemann befand sich bei der Urteilsverkündung im Verhandlungssaal. Als seine Frau von Justizwachebeamten aus dem Saal gebracht wurde, ging er zu ihr hin und küsste sie auf beide Wangen.

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