"Krone"-Interview

Kommt noch die Welt-Karriere, Frau Wurst?

Adabei
16.08.2014 16:55
Acht Komponisten weltweit schreiben an Nachfolge-Hits für die "Queen of Austria". 100 Tage nach ihrem Sieg beim Eurovisions-Song-Contest in Kopenhagen - "Rise like a Phoenix" - spricht Conchita Wurst (25) mit Conny Bischofberger über den Traum vom Grammy und ihr - und somit auch Toms - neues Leben.

Als Kulisse für das Treffen mit der "Krone" hat sie das "Falkensteiner Hotel" am Wiener Margarethengürtel gewählt. Sie mag es, wie hier Biedermeier und Moderne verschmelzen - und dass sie willkommen ist. In Lackpumps und einem sexy Kleid in Nude - der tiefe Schlitz legt beim Gehen die Oberschenkel frei - posiert sie vor einem goldverschnörkelten Glastisch. Sofort bringen japanische Touristen ihre I-Phones in Stellung, machen Fotos und filmen. Die 19-jährige Wyona Vihnalek geht gerade den Gürtel entlang und erblickt ihre "Göttin" in der Lobby. Geduldig wartet die Anwärterin auf eine Kochlehre eine Stunde lang, um dann Conchita Wurst die Hand zu schütteln.

Am Montag, den 18. August, sind es 100 Tage, seit die 25-jährige Bart-Lady für Österreich den Sieg beim Eurovisions-Song-Contest in Kopenhagen geholt und einen nie dagewesenen "Hype" ausgelöst hat. "Ich muss noch immer weinen, wenn mir Leute von dem Moment des Triumphes erzählen wie von einem Weltereignis. Da ist noch immer dieser Kloß im Hals und ich bekomme Gänsehaut", erzählt Conchita Wurst beim Interview. Schwarze Perücke, nachgezeichneter Bart, die Augen gemalt wie ein Kunstwerk. Ein Wimpernschlag reicht bei ihr bis zu den Augenbrauen. "Heute habe ich drei Bögen übereinander aufgelegt", lächelt sie.

Ihre Emotionalität und Sanftmütigkeit sind Charakterzug und Strategie zugleich. Noch kein einziges Mal ist der Künstlerin, hinter der ein bekennender Homosexueller namens Tom steckt, ein böses Wort über die Lippen gekommen - zu Hass-Postings zum Beispiel, die "die unerträgliche Tunte" zum Teufel wünschen. Stattdessen predigt sie unermüdlich "Offenheit und Toleranz".

Frau Wurst spielt ihre Rolle fast schon unheimlich perfekt.

"Krone": Heute war ein regnerischer Morgen, wie haben Sie ihn begonnen?
Conchita Wurst: Ich bin um 5.45 Uhr aufgewacht, und weil meine Freunde da noch nicht online sind, hab' ich mir ein paar YouTube-Videos angeschaut. 5.45 Uhr deshalb, weil ich vor meinem nächsten Termin noch jede Menge Klamotten durchprobieren musste. Und die Maske dauert nach wie vor eine Stunde, obwohl die Haare ja schon gemacht sind. Die muss ich nur aufsetzen (lacht).

Hier gibt's drei Audio-Ausschnitte vom Interview mit Conchita Wurst: Clip 1 (über Offenheit und Toleranz nach dem Song-Contest-Sieg), Clip 2 (über Respekt, persönliche Freiheit und Harmonie) und Clip 3 (über Schönheitschirurgie und das Älterwerden)

"Krone": Ist das nicht furchtbar anstrengend, sich immer schminken und verkleiden zu müssen?
Wurst: Da gibt es Vieles, was nicht angenehm ist, die Beine enthaaren zum Beispiel! Aber nichts ist stark genug, dass es mich davon abhalten könnte, Conchita Wurst zu sein.

"Krone": An 100 Tagen wird die Leistung des amerikanischen Präsidenten gemessen. Was war Ihre Leistung in diesen 100 Tagen?
Wurst: Leistung setzt für mich Anstrengung voraus… Ich musste mich aber nicht anstrengen. Ich war dauernd unterwegs, was sehr, sehr schön war, habe ganz viele interessante Menschen kennen gelernt - von Jean-Paul Gaultier bis Jane Fonda. In diesem Sinne habe ich außer meinem Statement keine Leistung erbracht. Ich habe mir einfach den Luxus geleistet, jetzt einmal Dinge zu machen, die mir Spaß machen.

"Krone": Wie lange darf man sich denn nach dem Song-Contest Zeit lassen mit einem neuen Hit?
Wurst: Wieso "dürfen"? Wenn ich jetzt sagen würde: Ich mag keine Musik mehr machen, dann würde es meinen Erfolg auch nicht schmälern. Dann hätte ich genug erreicht. Aber ich will Musik machen. Und ich habe noch immer die Chance, nach diesem Triumph was Gutes abzuliefern. Diese Chance lasse ich mir nicht nehmen.

"Krone": Sie wollen sogar einen "Grammy"…
Wurst: Ja, und dafür brauche ich tatsächlich Songs.

"Krone": Wie viele Songwriter haben Sie denn beschäftigt?
Wurst: Acht. Auf dem ganzen Globus verteilt.

"Krone": Brauchen die nicht etwas lange?
Wurst: Es ist ja schön, dass sich alle so viele Sorgen machen, das freut mich sehr. Vielen Dank! (lacht) Aber es ist ja nicht so, dass die bisher untätig waren. Ich habe Songs, aber ich muss sie auch aufarbeiten, ausprobieren, ob sie zu mir passen. Das beansprucht alles Zeit. Und ich sage auch ganz ehrlich: Im Studio zu stehen ist nicht meine Lieblingsbeschäftigung, denn da wird man sehr schnell mit seinem eigenen Fehlern konfrontiert.

"Krone": Kommt noch die Welt-Karriere?
Wurst: Ich hoffe… Denn ich will bis an mein Lebensende auf der Bühne stehen dürfen. Ich liebe es so sehr. Ich glaube, ich habe mich mein ganzes Leben darauf vorbereitet, berühmt zu sein.

"Krone": Wie schwer lastet der Druck auf Ihnen, dafür wieder einen Hit landen zu müssen? Falco ist daran fast zerbrochen…
Wurst: Ich hatte ja in Wahrheit noch keinen Hit. "Rise like a Phoenix" hätte ohne den ESC nie funktioniert. Wäre ich Sechstplatzierte geworden, wäre diese Nummer vielleicht ein paar Mal im Radio gespielt worden. Mein Gott, es ist Filmmusik! Ich bin so realistisch, alle anderen anscheinend nicht. Deshalb ist dieser Druck nicht sehr groß. Aber Künstler haben natürlich immer den Anspruch an sich selbst, immer noch besser, interessanter, innovativer zu werden.

"Krone": Und wenn es nicht gelänge?
Wurst: Könnte ich damit umgehen. Deshalb bin ich sehr dankbar für die Zeit nach "Starmania", für das Nichtfunktionieren. Da habe ich gelernt, wie sich Scheitern anfühlen muss. Ich habe keinen Verlust verspürt, sondern die Möglichkeit erkannt, mich zu drehen, einfach die Richtung zu ändern.

"Krone": Wie geht Tom, Ihr anderes Ich, eigentlich mit Ihrem neuen Leben um? Ist er manchmal eifersüchtig?
Wurst: Oh nein… Ich kann Ihnen sagen, wenn ich keine Termine habe, mich nicht schminke, dann genieße ich es, in der U-Bahn zu sitzen, Musik zu hören und nichts von alledem tun zu müssen, wo man sich selbst oft hinpeitscht. Darüber nachzudenken, ob meine Perücke oder mein Push-Up-BH richtig sitzt, zum Beispiel, oder ob das jetzt der richtige Winkel für die Kamera ist und so bescheuerte Sachen.

"Krone": Werden Sie als Tom erkannt?
Wurst: Das kann ich nicht sagen, weil ich mir mit Sonnenbrille und Kopfhörern so ein Schutzschild aufbaue, dass ich es nicht mitbekommen würde. Ohne dieses Schutzschild würde ich mich fühlen wie Niki Lauda ohne sein Kapperl. Ich muss ehrlich gestehen, dass es mir sehr unangenehm wäre, als Tom angesprochen zu werden.

"Krone": Warum?
Wurst: Das ist vielleicht wahnsinnig egoistisch, aber diese Zeit gehört mir. Ich habe es verdient, ein Privatleben zu haben. Deshalb bleibe ich auch nie stehen. Wenn du stehenbleibst, hast du verloren. Ich habe diesen Tunnelblick. Augen zu und durch!

"Krone": Wenn Sie Tom sind, wo ist dann Conchita?
Wurst: Diese beiden Persönlichkeiten verschmelzen manchmal ineinander. Es ist mir aber wichtig, dass beide von meinem Umfeld respektiert werden. Wenn Journalisten meinen, sie würden sich einen Vorteil verschaffen, wenn sie Conchita Wurst als Tom ansprechen, dann reagiere ich, sagen wir, sehr reserviert.

"Krone": Ist es schwer, die Stimme zu verstellen?
Wurst: Das habe ich nur am Anfang gemacht. Jetzt spreche ich mit derg>Kommt es vor, dass Leute wissen wollen, ob Sie jetzt ein Mann oder eine Frau sind?
Wurst: Ja, aber das stört mich eigentlich nicht. Weil es ein großes Kompliment ist, ein Beweis, dass meine Illusion gut gemacht ist!

"Krone": Gehen Sie als Conchita Wurst auf die Damentoilette?
Wurst: Ja. Und die Damen haben den größten Spaß mit mir… Tom geht auf die Herrentoilette. Nur in Clubsituationen gehe ich dahin, wo gerade frei ist.

"Krone": Noch nie wurde in Österreich so viel über Offenheit und Toleranz gesprochen wie seit Ihrem Song-Contest-Erfolg. Glauben Sie, dass das auch in die Herzen der Menschen durchgedrungen ist?
Wurst: Das weiß ich nicht… Nach meinem Sieg haben sich natürlich viele eine gespielte Toleranz ans Revers geheftet. Aber selbst, wenn diese Menschen nur in der Öffentlichkeit so tun, als würden sie respektvoll mit Andersdenkenden umgehen, soll es mir recht sein. Weil es der erste Schritt in die richtige Richtung ist. Natürlich ist es nicht in allen Herzen angekommen. Das hat die Europa-Wahl, bei der sich die Konservativen gegen die Liberalen durchgesetzt haben, ganz deutlich gezeigt.

"Krone": Eine norwegische Zeitung hat geschrieben, Ihr Sieg sei eine "Ohrfeige für alle Homophoben" gewesen. Glauben Sie, dass das denen weh getan hat?
Wurst: Kein Bisschen. Russische Politiker haben zwar gemeint, dass ich der Untergang Europas sei. Ich bedanke mich herzlich für die Macht, die man mir da zurechnet, aber ich glaube nicht, dass das die Homophoben wirklich beeindruckt hat.

"Krone": Nach dem Sieg haben Sie gesagt: We are unstoppable - wir sind nicht zu stoppen. Wen haben Sie mit "wir" gemeint?
Wurst: Weil ich aus der Gay-Community komme, dachten natürlich alle, dass ich die Schwulen damit meine. Ich meinte aber viel mehr, nämlich alle, die an eine Zukunft ohne Diskriminierung glauben. Dafür kämpfe ich. Denn am Ende des Tages hat jeder Mensch verdient, respektiert zu werden. Vollkommen egal, wer er ist und wie er lebt.

"Krone": Finden Sie es auch okay, wenn jemand sagt: "Ich mag keine Schwulen und Lesben"?
Wurst: Nein, weil die Sexualität nichts zur Sache tut. Das ist, wie wenn ich sagen würde: "Ich mag keine Burgenländer".

"Krone": Bezeichnen Sie sich selbst als homosexuell oder schwul?
Wurst: Beides ist okay.

"Krone": Elton John wurde einmal in einem Interview gefragt, welches Detail seiner Körpersprache, möglicherweise auch gegen seinen Willen, verrate, dass er homosexuell sei….
Wurst: Fragen Sie das jetzt mich? Bei mir ist es einfach alles, vom Scheitel bis zur Sohle. Ich will mich nicht verstecken.

"Krone": Verstehen Sie Alfons Haider, der sein Outing manchmal bereut, weil er danach mit Hass verfolgt wurde?
Wurst: Das waren andere Zeiten… Wir, die jüngere Generation, können nur dankbar sein, dass es solche Wegbereiter wie Alfons Haider gibt. Ich fürchte, es wird noch einige Generationen in Anspruch nehmen, bis die sexuelle Orientierung keinen mehr interessieren wird.

"Krone": Sie haben in unserem letzten Interview gesagt, dass Sie sich Kinder wünschen und eine Hochzeit. Sind Sie im Moment verliebt?
Wurst: Nein… Hätte ich jetzt einen Freund, dann wäre er sehr einsam, weil ich ja dauernd weg bin. Zur Zeit ist meine Priorität ganz klar… Wobei: Wenn man sich verliebt, dann verliebt man sich.

"Krone": Im November werden Sie 26, in 14 Jahren sind Tom und Conchita 40. Wird das ein Problem für sie sein?
Wurst: Nein, denn wir Dragqueens haben Tricks ohne Ende. Leukoplast an die Schläfen, Perücke drauf, fertig! Ich persönlich - da spreche ich jetzt für Tom - würde Schönheitschirurgie aber nie ausschließen. Wenn mich was stört und ich es ändern kann, dann mache ich es.

"Krone": Um jung zu bleiben?
Wurst: Nein. Ich habe dieses Bedürfnis nicht, für immer jung zu sein. Ich habe das Bedürfnis, für immer schön zu sein.

Ihre Karriere
Geboren am 6. November 1988 in Gmunden. Tom Neuwirth will schon als Kind berühmt werden. 2006 nimmt er an "Starmania" teil, 2007 gründet er eine Band. 2011 kehrt er als Kunstfigur Conchita Wurst zum ORF - "Die große Chance" - zurück. Mit "Rise like a Phoenix" gewinnt Conchita Wurst den Eurovisions-Song-Contest 2014 in Kopenhagen.

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(Bild: kmm)



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