"Sinnloser Krieg"

Nahost: Dutzende Reservisten verweigern Dienst

Ausland
25.07.2014 13:27
Die überwiegende Mehrheit der Israelis befürwortet die derzeit laufende Offensive gegen die Hamas im Gazastreifen. Doch Dutzende Soldaten weigern sich, in einen aus ihrer Sicht sinnlosen Krieg zu ziehen. In einem von rund 50 Armeeangehörigen unterzeichneten Protestbrief wird neben der jüngsten Militäroperation vor allem die grundsätzliche Militarisierung der Gesellschaft kritisiert. Die Reaktionen auf den Brief waren scharf, die Verfasser gelten als Verräter.

"Wir weigern uns, als Reservisten zur Verfügung zu stehen", heißt es in dem Brief, der in der US-Zeitung "Washington Post" veröffentlicht wurde. Es handelt sich aber nicht nur um eine Verweigerung, sich an den Kämpfen zu beteiligen. Auch jegliche Unterstützungstätigkeiten in der Militäradministration betrachtet die Gruppe als Verbrechen.

Armee als Unterdrückungsapparat
Schließlich sei die israelische Armee ein fundamentaler Bestandteil des Staates und seines Macht- und Unterdrückungsapparates, den insbesondere die palästinensische Bevölkerungsgruppe in den besetzen Gebieten zu spüren bekomme, erklärt die Gruppe. Demnach würden für alle Probleme zunächst militärische Lösungen gesucht. Dadurch komme es zu regelmäßigen Menschenrechtsverletzungen.

In ihrem Protestbrief kritisieren die Unterzeichner auch die Postenvergaben bei den Streitkräften. Niemand könne sich seinen Wehrdienstjob aussuchen. Häufig würden Frauen in Büros geschickt, junge Männer aus wohlhabenden europäisch-jüdischen Familien dürften in Eliteeinheiten dienen, während arabische Juden unbeliebte Posten erhielten. Damit verstärke die Armee als wichtiges Sprungbrett für die spätere Karriere die Segregation der Gesellschaft, kritisieren die Reservisten, die laut eigenen Angaben während ihres bisherigen Armeedienstes immer wieder Diskrimination erleben mussten.

Protestgruppe gilt als "Nestbeschmutzer" und "Verräter"
Es dauerte nicht lange, bis die ersten heftigen Reaktionen auf den Protestbriefen in sozialen Netzwerken auftauchten und die Initiatoren als "Nestbeschmutzer" bezeichnet wurden. "Ich werde immer wieder auf Facebook und in E-Mails als Verräterin beschimpft", erzählte Reservistin Chen Tamir am Freitag gegenüber "Spiegel Online". "Dabei kann man ein guter Jude und ein guter Israeli sein, auch wenn man die Regierung kritisiert." Sie selbst sei eine "echte Patriotin": "Ich liebe dieses Land. Ich will, dass das Leben besser wird für uns alle hier. Deswegen mache ich das alles."

"Wir haben diese Kriege schon zu oft erlebt", so Tamir weiter. "Wenn wir nicht in zwei Jahren schon wieder an demselben Punkt stehen wollen, müssen wir jetzt die Blockade des Gazastreifens und die Besatzung der palästinensischen Gebiete beenden. Wir brauchen eine politische Lösung, keine militärische."

"Shministim" als Kern der Friedensbewegung
Protestkampagnen wie die aktuelle gab es auch schon in der Vergangenheit. Vor allem junge Israelis, die gerade ihre Sekundarausbildung abgeschlossen haben und als "Shministim" ("Zwölftklässler") bezeichnet werden, sind immer wieder an breiten Kriegsdienstverweigerungskampagnen beteiligt.

2001 schickten mehrere Hundert zum Wehrdienst einberufene Israelis einen offenen Brief an den damaligen Premierminister Ariel Sharon, in dem sie erklärten, ihren Dienst nicht in den besetzten Palästinensergebieten zu leisten. Daraus entstand die "Shministim"-Bewegung. Sie bezieht sich auf eine Tradition, die seit Anfang der 1970er-Jahre besteht, als eine Gruppe von Schülern der Premierministerin einen ähnlichen Brief der damaligen Premierministerin Golda Meir schrieb.

Wer Militärdienst verweigert, kommt ins Gefängnis
Wer sich in Israel dem Militärdienst entzieht, muss mit einer mehrjährigen Gefängnisstrafe rechnen. In Israel gibt es kaum ein Recht auf Kriegsdienstverweigerung, sodass Friedensaktivisten fast nur die Totalverweigerung als Alternative zum Militärdienst bleibt.

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