"Krone"-Interview

Stromae: “Musiker überschätzen sich selbst”

Musik
25.07.2014 17:00
Zierlich, groß und stets mit kunterbunten Anzügen auf der Bühne zu sehen - der Belgier Stromae alias Paul Van Haver hat sich vor allem duch seine Singles "Alors On Dance" und "Papaoutai" einen Namen in Europa gemacht. Nach einem umjubelten Auftritt in der Wiener Arena wird er in wenigen Wochen auch beim Frequency Festival auftreten. Mit uns sprach Stromae ehrlich und offen über seine harte Kindheit, warum er seine eigene Auffassung von Wurzeln und Nationalität hat und weshalb die Sprache Englisch in der Musik überbewertet ist.
(Bild: kmm)

"Krone": Paul, dein neues Album "Racine Carée" ist in Frankreich, Belgien und der Schweiz auf Platz eins der Albumcharts gesegelt. Hast du dir diesen immensen Erfolg schon im Vorfeld ausgemalt?
Stromae: Nicht wirklich, zumal das Debütalbum "Cheese" zwar gut, aber eben nicht übermäßig großartig in die Charts einstieg und ich zumindest nicht viel Druck für das neue Werk verspürte. Als ich mich ans Werk zu "Racine Carée" machte, habe ich einfach aufgehört, an einen eventuellen Erfolg zu denken – das belastet nur deine Kreativität. Es geht darum, etwas zu machen, was man machen will. In erster Linie geht es um mich selbst, dann um die Menschen um mich herum und erst zum Schluss um das Publikum – nicht umgekehrt. Mir ist bewusst, dass das sehr egoistisch klingt, aber so ist nun einmal mein Job. Ich weiß auch, dass das nicht jedem gefallen wird, aber nur so kann ich ehrliche Musik produzieren.

"Krone": Hier in Österreich bist du vor allem mit den Songs "Alors On Danse" und "Papaoutai" populär geworden. Glaubst du, der Erfolg stellt sich deswegen ein, weil du eben gerade auf Französisch singst?
Stromae: Mittlerweile schon – die deutschsprachigen Länder haben uns aber die Ambition dazu gegeben. Alle haben mir gesagt, dass ein großer Erfolg nur mit englischsprachigen Songs möglich wäre, aber ihr habt mir gezeigt, dass das Gegenteil der Fall ist. Das ist verrückt – "Alors On Dance" etwa war zuerst in Deutschland erfolgreich, dann erst in Frankreich. Ich sehe das Singen auf Französisch als einen Kulturauftrag. Du willst doch keine Definition von etwas haben, sondern ein bestimmtes Gefühl, den richtigen Groove. Nur darum geht es, nicht um die Sprache. Zudem finde ich es wichtig, dass man sich eine Vision bewahrt, und das funktioniert am besten in deiner Muttersprache. Ich glaube nicht, dass du in Österreich einen Belgier hören willst, der versucht, seine Songs auf Deutsch vorzutragen. Das Gleiche gilt natürlich auch für England oder die USA. Wenn ich einen Song aus Indonesien höre, will ich ihn auch in der Landessprache hören. In meinem Fall habt ihr Menschen uns gezeigt, dass das gut funktionieren kann.

"Krone": Deine Musik ist ein flotter Mix aus Electro-Sounds, Pop, Jazz, Soul und Chanson. Angefangen hast du ursprünglich aber im Hip Hop. Wann entstand das Interesse für all die anderen Stile?
Stromae: Eigentlich hatte ich die Vorliebe dafür schon vor dem Hip Hop, aber wenn du dann ins Teenager-Alter kommst, beschränkt sich dein Blick und du bist der Meinung, dass die Musik, die du gerade hörst, das Einzige ist, was zählt. Aber vor all dem gab es den Drang, essen zu müssen, um zu überleben. Was ich dir damit sagen will, ist, dass es eigentlich völlig egal ist, was du dir darauf einbildest – es ist nicht wichtig. Das war wie eine Therapie für mich zu lernen, dass Musik einfach nicht so wichtig ist wie die Grundbedürfnisse eines jeden Menschen. Vor allem im Hip Hop überschätzt man sich gerne selbst. Ein Bauer oder ein Koch haben Berufe, die für Menschen wichtig sind. Das, was ich mache, hat im großen Ganzen gesehen keinen besonderen Wert. Also hör auf mit dem Credibility-Denken und dem ganzen Bullshit. Es gibt keine Hip-Hop-, Dance- oder Metal-Community. Du machst einfach nur Musik – deine wahre Community ist deine Familie. Ich versuche musikalisch einfach aus allen Sparten etwas zu verwenden und das möglichst gut zu mischen, aber das hat nichts Familiäres an sich.

"Krone": Gehst du in deinen Songs auf persönliche Themen ein?
Stromae: Nicht wirklich. Manchmal habe ich den Drang dazu, setze es dann aber doch nicht so um. Mein Fotografie-Lehrer in der Schule hat immer Folgendes zu mir gesagt: "Geh raus und mach ein aussagekräftiges Bild. Aber nimm dazu niemanden als Motiv, den du kennst. Nicht deine Freundin, nicht deine Mutter, nicht deinen Bruder. Du glaubst dann automatisch, dein Bild wäre wunderschön, weil Menschen, die du liebst, oben sind. Aber objektiv gesehen sind die Bilder meist furchtbar." (lacht) Für mich war das ein ganz wichtiger Hinweis darauf, dass man sich immer etwas Distanz bewahren sollte. So viele andere Geschichten sind interessanter als deine eigene. Das ist ganz wichtig für mich, meinen Job auszuführen. Es ist schließlich nur ein Job – nicht mehr. Ich versuche, so professionell wie möglich zu sein, mir aber auch genug Distanz zu bewahren.

"Papaoutai" ist ein gutes Beispiel. Die erste Version des Songs war sehr persönlich und auch wütend – das wollte ich aber so nicht nach außen bringen, also habe ich den Fokus auf Professionalität gesetzt und die Emotionen zurückgestellt. Die Ursprungsversion war mehr gegen eine Art bösen Vater. Jeder von uns kann einen bösen Vater haben, wenn wir ihn uns nur immer schlechtreden. Umgekehrt gilt natürlich das Gleiche. Wenn du Probleme mit deinem Vater hattest, dann hör auf, dauernd in der Vergangenheit zu leben, sondern schau nach vorne. Wenn du nicht nach vorne schaust, verschlimmerst du dein Leben und du wirst sehen, dass du die gleichen Probleme mit deinem Sohn haben wirst, wenn du selbst Vater bist.

"Krone": Du kommst immer als eine sehr lustige, fröhliche Person rüber. Gibt es auch dunkle Seiten an Paul Van Haver?
Stromae: Ich denke nicht. Natürlich bin ich manchmal wütend, aber niemals aggressiv. Stimmt doch nicht ganz – ich bin oft sehr aggressiv mir selbst gegenüber. Wenn ich etwa an meinem Computer sitze, komponiere und es nicht so läuft, wie ich es gerne hätte, dann kann schon mal sein, dass Laptop oder Tisch durch die Gegend fliegen. Ich sehe zwar sicher furchtbar lächerlich dabei aus, aber in dem Moment muss ich es einfach machen. (lacht) Das geht aber immer gegen mich selbst. Das größte Konfliktpotenzial nach außen gibt es noch am ehesten mit meinem Manager, aber das ist immer rein beruflich und nie privat. Ansonsten findet Wut manchmal in meiner Vorstellung statt. Ganz alltäglich. Etwa, wenn es grobe Auffassungsunterschiede zwischen mir und anderen Leuten gibt.

"Krone": Wie viel Paul Van Haver steckt in der Bühnenperson Stromae?
Stromae: Es ist ein Teil von mir, aber im Prinzip verlaufen die beiden Personen separat. Es ist natürlich schwierig zu unterscheiden, wenn ich gerade mit Herzblut an meinen Projekten arbeite – dann verschwimmen die Grenzen zusehends. Das sind dann einfach wir. Ich bin aber nicht wie Stromae in meinem echten Leben. Ich bin der Meinung, dass du auch total anders sein musst als die Kunstfigur, die du auf der Bühne repräsentierst. Im echten Leben bin ich wahnsinnig schüchtern. Gefährlich ist das vor allem in den sozialen Medien. Dort kann ich den Leuten nicht persönlich die Hände schütteln, sondern bin oft erschrocken über viele Meinungen, die dort über mich kursieren.

"Krone": Neben den belgischen hast du auch ruandische Wurzeln von der Seite deines Vaters. Hast du das Land jemals besucht und dient es dir als Inspiration für deine Musik?
Stromae: Ehrlich gesagt habe ich meinen Vater vielleicht 20 Mal gesehen, bevor er damals dem Völkermord zum Opfer fiel. Ich war neun Jahre alt. Wenn ich an meine Ursprünge in Ruanda denke, muss ich meiner Tante danke sagen. Sie lebt jetzt in Brüssel und war wie eine zweite Mutter für mich. Wenn du in Europa geboren und aufgewachsen bist, so wie ich, dann kannst du nicht hergehen und einen auf "Hey, ihr seid alle meine Brüder und wir sind eine große Familie" machen. Ich denke, das wäre sehr unfreundlich.

Ich war auf vielen Familienpartys, wo traditionelle afrikanische Musik gespielt wurde. Da waren Leute aus Ruanda, Kamerun oder dem Kongo beisammen und unsere Vision von Afrika bildete sich ausschließlich aus den musikalischen Klängen, die von dort kommen. Das ist aber nicht wirklich Afrika. Selbst wenn du total schwarz bist, bist du als Europäer sofort ein Weißer, wenn du nach Afrika gehst. (lacht) Wenn du eine europäische Erziehung genossen hast und hieer ehrlich gesagt machen meine belgischen Wurzeln mindestens 70 Prozent aus.

"Krone": Würde es dich interessieren, ein bisschen stärker in diese Kultur einzutauchen und mehr Erfahrungen mit diesem Teil deiner Wurzeln zu machen?
Stromae: Ich würde das gerne machen. Du musst aber sehr respektvoll mit deinen Wurzeln umgehen, denn nichts ist leichter, als in Klischees zu verfallen. Etwa diese trügerische Gemeinsamkeit von "Hey Brüder, wir sind schwarz und hier aufgewachsen". Das stimmt aber nicht – ich bin in Brüssel aufgewachsen. Ich würde gerne nach Ruanda reisen und die Menschen treffen, die wirkliche, biologische Brüder sind. Aber das muss mit sehr viel Respekt vonstattengehen. Schließlich haben wir alle völlig unterschiedliche Kulturen kennengelernt.

"Krone": Was sind nun deine nächsten Karriereziele? Den amerikanischen Markt erobern?
Stromae: (lacht) Warum nicht? Ich glaube aber nicht, dass es so leicht gehen wird. Ich will überall dort hin, wo Menschen sind. Die USA sind oft ein Trugbild – ich möchte vor allen Menschen singen, die an meiner Musik interessiert sind. Auch wenn wir nicht die gleiche Sprache sprechen – wir werden uns verstehen.

"Krone": Könntest du ausschließen auf Englisch zu singen, wenn du weißt, dass du damit garantiert viel mehr Erfolg hättest?
Stromae: Ich denke nicht. Viele Leute glauben, das wäre die perfekte Lösung, aber ich bin da anderer Meinung. Ich würde auch nicht wollen, dass ein Österreicher in meiner Sprache singt. Jede Sprache ist international – nicht immer nur Englisch. (lacht)

Stromae wird nach seinem gefeierten Auftritt in der Arena zwischen dem 15. und 17. August auch beim Frequency Festival im St. Pöltner Green Park auftreten. Karten für das Event erhalten Sie unter 01/960 96 999 oder im "Krone"-Ticketshop.

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