Viktor Orbans Ungarn

Vom Freiheits-Champion zum Demokratie-Muffel

Ausland
18.07.2014 12:06
Im Sommer vor 25 Jahren hatte Ungarn mit der Ermöglichung der Massenflucht von DDR-Bürgern den ersten Stein aus der Berliner Mauer geschlagen. Es wurde damit zum Vorreiter der Demokratisierung im Ostblock. Heute ist dieses Land das demokratische Schlusslicht im EU-Europa.

Das Schicksalsjahr 1989 war in Ungarn das Jahr des Umbruchs gewesen. Die kommunistische Macht begann zu bröckeln. Am 16. Juni wurde Imre Nagy, der hingerichtete Ministerpräsident des antisowjetischen Volksaufstands von 1956, in einem Staatsakt neu beigesetzt. Hunderttausende Menschen gedachten auf dem Budapester Heldenplatz der bis dahin tabuisierten Revolution von 1956.

Mehr noch: Sie trugen damit den Kommunismus in Ungarn symbolisch zu Grabe. Auch Ungarns Außenpolitik ließ dies nicht unberührt. Schon im Frühjahr 1989 hatte die reform-kommunistische Regierung unter Ministerpräsident Miklos Nemeth damit begonnen, den Eisernen Vorhang an der Grenze zu Österreich abzubauen.

Auf die Kunde vom Abbau der Grenzzäune strömten Zehntausende fluchtwillige DDR-Bürger nach Ungarn. Tausende gingen über die immer spärlicher bewachte "grüne Grenze" in den freien Teil des Kontinents.

Ungarns Kommunisten fielen DDR in den Rücken
Am 11. September öffnete die ungarische Regierung die Grenze offiziell für die noch in Ungarn festsitzenden DDR-Bürger. Hunderte Wartburgs und Trabants schlängelten sich auf der Landstraße zum Grenzübergang Hegyeshalom dahin. Budapester Taxifahrer fuhren Rucksack-Reisende aus der DDR bis zum ersten Auffanglager in Passau - gratis und überwältigt von der Begeisterung, einen historischen Moment des Freiheitswillens zu erleben. Mit der Massenflucht über Ungarn war der erste Stein aus der Mauer gebrochen. Das SED-Regime in Ost-Berlin konnte diese Dynamik nicht mehr im Zaum halten.

Doch das Ungarn von heute gleicht dem von damals nicht mehr. Die optimistische Aufbruchstimmung ist einer Atmosphäre der engstirnigen, nationalistischen Nabelschau gewichen. Ungarn ist heute möglicherweise das antiwestlichste EU-Land. Es ist nicht gut gelaufen in der Zeit nach der Wende.

Orban Hoffnungsträger des Wendejahres
Einer der Hoffnungsträger des Wendejahres 1989, der damalige liberale Studentenführer Viktor Orban, wurde 1998 erstmals zum Ministerpräsidenten gewählt. Er hat sich inzwischen ganz nach rechts gewendet. Seine stramme Regierungspartei Fidesz öffnete er für den rechten Rand. Orban machte die Verachtung für demokratische Regeln und Prozeduren salonfähig.

2002 wählten ihn zwar die Ungarn immerhin ab. Doch die darauffolgenden links-liberalen Regierungen beschränkten sich aufs Fortwursteln. Die von Orban aufgestachelten Wählerschichten beruhigten sie mit Wohlfahrtsgeschenken, für die es im Staatshaushalt keine Deckung gab. Deshalb wurde Ungarn von der Finanzkrise 2008 besonders hart getroffen. 2010 kehrte Orban im Triumph an die Macht zurück - sogar mit verfassungsändernder Zweidrittelmehrheit im Parlament.

Von der machte Orban auch ausgiebig Gebrauch, um seine Macht auf lange Zeit zu zementieren. Neue Gesetze höhlen die Demokratie aus, Kontrollinstanzen werden geschwächt oder abgeschafft. Wahlgesetze werden auf optimalen Ertrag für die Fidesz-Partei hingebogen, Chefredakteure kritischer Internet-Portale auf Druck der Regierung hin entlassen, unabhängige Zivilorganisationen, die über Bürgerrechte und Korruption wachen, behördlich schikaniert und als "vom Ausland gesteuert" an den Pranger gestellt.

"Putinistische Merkmale" bei Orban
Die EU, der Ungarn seit 2004 angehört, scheint kein Mittel gegen den schleichenden Demokratieabbau im mitteleuropäischen Mitgliedsland zu finden. Orban nimmt die Milliarden-Förderungen aus den Brüsseler Töpfen, die seinem Land zustehen, mit Handkuss. Zugleich lässt er aber seine Anhänger und Medien gegen die "Kolonialherren" in der EU-Zentrale wettern.

Orban selbst flirtet indes ungeniert mit Putins Russland. Man scheint einander zu verstehen. Entsprechend stellte die betroffene Bürgerrechtsunion TASZ in den jüngsten Attacken der Regierung gegen die NGO-Szene "putinistische Merkmale" fest.

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