Minister "zornig"

Verwahrloster Häftling: Drei Beamte suspendiert

Österreich
21.05.2014 17:02
Die Verwahrlosung eines Strafgefangenen der Justizanstalt Krems-Stein hat am Mittwoch erste Konsequenzen nach sich gezogen. Wie die "Krone" aus dem Justizministerium erfuhr, wurden der Trakt-Kommandant der Justizwache, der Abteilungsleiter sowie dessen Stellvertreter vorläufig suspendiert. Solange die Ermittlungen in der Causa laufen, bleiben die Suspendierungen demnach aufrecht. Außerdem setzte Justizminister Wolfgang Brandstetter eine "größere" Reform des Maßnahmenvollzugs in Gang.

Alle Umstände dieses "wirklich erschreckenden" Falles müssten aufgeklärt werden, zeigte sich der Justizminister am Mittwoch "betroffen und zornig". Besonders brisant: Bei einem der drei suspendierten Beamten handelt es sich um den politisch aktiven Abteilungsleiter Roman Söllner. Er ist in der freiheitlichen Exekutivgewerkschaft AUF tätig und steht auf Platz 15 der FPÖ-Liste für die EU-Wahl.

Beamten droht Freiheitsstrafe von bis zu zwei Jahren
Er und die beiden anderen Beamten seien suspendiert worden, um die strafrechtlichen Ermittlungen nicht zu beeinträchtigen, betonte Brandstetter. Laut Christian Timm von der Vollzugsdirektion ermittelt die Staatsanwaltschaft Krems wegen Quälens oder Vernachlässigens eines Gefangenen (Paragraf 312 StGB). Es handle sich demnach um ein "seltenes Delikt", das eine Freiheitsstrafe von bis zu zwei Jahren nach sich zieht.

Der 74-jährige Gefangene in Krems-Stein hatte seine Strafhaft wegen versuchten Mordes bereits abgesessen, blieb jedoch im Maßnahmenvollzug, um als geistig abnormer Rechtsbrecher weiterhin intensive medizinische und psychologische Betreuung zu erhalten. Er wurde jedoch monatelang völlig unterversorgt. Erst im März fiel Beamten der Verwesungsgeruch in seiner Zelle auf, wie die Wiener Stadtzeitung "Falter" aufgedeckt hatte (siehe Story in der Infobox).

Wie konnte 74-Jähriger durch Betreuungsnetz fallen?
Bei dem 74-Jährigen, der sich laut Timm auf dem Weg der Besserung befinde, habe es sich um einen schwierigen Insassen gehandelt. Er verweigerte dem Mitarbeiter der Vollzugsdirektion zufolge sämtliche medizinische und therapeutische Behandlungen. Wenn ein Häftling nichts annimmt, dann werde das dokumentiert und dann werde periodisch erneut Kontakt aufgenommen, so Timm. Warum dieser Insasse der eigentlich engmaschigen Betreuung durchgerutscht war, "das fragen wir uns auch".

Insasse: "Habe den Verband verheimlicht"
Der "Krone" liegen die Einvernahmeprotokolle des 74-Jährigen vor. Der Mann wurde nach Bekanntwerden der Causa im März einvernommen - und habe sich nach Androhung einer "Zwangsversorgung" von einem Arzt versorgen lassen. Der 74-Jährige gab gegenüber den Beamten der Kriminalpolizei an, seine Wunde verheimlicht und den Verband stets versteckt zu haben: "Die Justizwachebeamten und auch die Ärzte hatten keine Möglichkeit, den langjährigen an meinem rechten Bein angebrachten Verband zu Gesicht zu bekommen."

Laut Timm soll der Mann auch regelmäßig zur Dusche gegangen sein, ob er sich auch tatsächlich gewaschen hatte, sei bei der hundertprozentigen Auslastung der Strafanstalt mit 800 Insassen in Einzelfällen jedoch nicht überprüfbar. "Es ist zu wenig Personal und zu wenig Geld da", gab der Experte zu bedenken. Und: "Der Strafvollzug ist keine Klinik. Solche Strafgefangene gehören nicht in Strafhäuser wie die Strafanstalt Krems."

Allerdings verwies bereits Timm auf Sofortmaßnahmen und weitere Konsequenzen, die man im Strafvollzug aus der Causa bereits gezogen habe. Auch Brandstetter verkündete noch am Mittwoch erneut Reformmaßnahmen. Er hat ab sofort ein 14-tägiges Reporting der Vollzugsdirektion direkt ans Ministerium verfügt, um besser informiert zu sein. Und in der Vollzugsanstalt Krems-Stein gibt es jetzt engmaschigere Kontrollen - und zwar medizinisch, dienstrechtlich und bei der Fachaufsicht.

Brandstetter zieht geplante Reform vor
Der Fall sei aber leider symptomatisch dafür, dass es im Strafvollzug allgemein und im Maßnahmenvollzug (einen ausführlichen Hintergrundbericht finden Sie in der Infobox) insbesondere "massive, auch strukturelle Schwächen" gebe, die man ausmerzen müsse: "Seit ich diese Funktion habe, liegt mir dieser Bereich im Magen." Deshalb zieht Brandstetter die im Regierungsprogramm enthaltene Reform des Maßnahmenvollzugs - die er eigentlich im Herbst angehen wollte - vor.

Möglicherweise werde man auch die Behördenstruktur ändern müssen, "ich bin für alles offen", so der Minister. Auch das Gesundheitsministerium werde in einer umgehend eingesetzten Arbeitsgruppe vertreten sein, vor allem im Hinblick auf die Frage der Betreuung psychisch Beeinträchtigter nach dem Strafvollzug. Mit Minister Alois Stöger hat Brandstetter schon gesprochen.

Minister: "Nötige Reform wird Geld kosten"
Letztlich werde man auch einen "Schulterschluss in der Regierung brauchen" - auch mit Finanzminister und Bundeskanzler. Denn: "Die nötige Reform wird sicherlich auch Geld kosten." Zuversichtlich macht Brandstetter, dass er bei den heurigen Budgetverhandlungen schon 100 neue Planstellen für den Strafvollzug bekommen hat.

Die Sache müsse jedenfalls "tabulos, schonungslos, ganz offen" angegangen werden, "da gibt es nichts zu beschönigen und nichts zu vertuschen". Und bei allem Verständnis für die Schwierigkeiten der Justizwachebeamten im Dienst speziell mit psychisch Beeinträchtigten sei klar, sagt Brandstetter: "So etwas wie hier in Stein darf einfach nicht passieren."

SPÖ, Grüne und NEOS nehmen Justiz ins Visier
Rufe nach einer Reform des Maßnahmenvollzugs kamen am Mittwoch auch aus den Reihen von SPÖ, Grünen und NEOS. Der Justizsprecher der Grünen, Albert Steinhauser, forderte zudem einen U-Ausschuss zur Überprüfung der schweren Missstände. "Das Justizministerium muss über die Probleme im Maßnahmenvollzug, wie aus Anfragebeantwortungen hervorgeht, Bescheid gewusst haben. Passiert ist aber nichts. Der Fall in Stein hat das Fass zum Überlaufen gebracht", so Steinhauser.

Die Institution des Maßnahmenvollzugs ist in Österreich am 1. Jänner 1975 in Kraft getreten. Mit einer auf den Betreffenden abgestimmten Therapie sollen die als gefährlich eingestuften Straftäter insoweit "geheilt" werden, als von ihnen im Fall ihrer Entlassung keine Gefahr mehr ausgeht. Die Realität sieht allerdings anders aus.

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