"Krone"-Interview

Wrabetz über Conchita: “Haben uns da was getraut”

Österreich
17.05.2014 16:33

Er hat alles auf eine Karte gesetzt - und gewonnen! Im Interview mit Conny Bischofberger spricht ORF-Chef Alexander Wrabetz (54) über das Phänomen Conchita, Toleranz als Bildungsauftrag, eine dritte Amtszeit und das umstrittene "Life Ball"-Plakat.

Freitagnachmittag im ORF-Zentrum, Büro des Generaldirektors. Noch immer treffen hier nach dem Song-Contest-Sieg vor acht Tagen Spitzenquoten ein. 400.000 sahen die Pressekonferenz nach Conchitas Ankunft am Flughafen, 413.000 "Willkommen Österreich" mit Conchita, 700.000 die Diskussion "Im Zentrum" über Conchita und eine Million "Thema" mit der Doku "Conchita - Queen of Austria".

Der ORF-Chef ist glücklich, aber heiser, und sein grau meliertes Haar ist etwas zerzaust. Als könnte er selbst noch kaum glauben, was ihm da gelungen ist, lässt Alexander Wrabetz sachte die Erfolgsmomente seit Kopenhagen Revue passieren, wägt Chancen und Risiken der Toleranz-Euphorie ab und entwirft ein neues Österreich-Image, das - allen Skeptikern zum Trotz - beim Song Contest 2015 in die Welt hinausgetragen werden soll.

"Krone": Herr Wrabetz, haben Sie sich schon bei Kathrin Zechner bedankt?
Alexander Wrabetz: Ich habe ihr und dem gesamten ORF-Song-Contest-Team selbstverständlich gratuliert.

"Krone": Sie sollen nämlich mit der Nominierung von Conchita Wurst gar keine so große Freude gehabt haben... Gerüchten zufolge musste die Fernsehdirektorin Sie zu diesem Schritt überreden.
Wrabetz: Da hat es keiner großen Überzeugungskraft bedurft, um zu wissen, dass wir mit einem Gesamtkonzept, wie Conchita Wurst es geboten hat, stärker punkten können als mit reiner Musikalität. Und nachdem der ORF sich unter meiner Führung seit vielen Jahren für Weltoffenheit und Toleranz einsetzt, lag Conchita Wurst ganz auf unserer Linie. Schon in meiner ersten Amtszeit als ORF-Generaldirektor habe ich den "Life Ball" im Hauptabend als Live-Event etabliert und bei "Dancing Stars" als Weltpremiere zwei Männer aufs Parkett geschickt. Ich denke, ich habe hier eine gewisse Glaubwürdigkeit, meine Haltung zu diesem Thema ist ja nicht erst seit diesem Erfolg bekannt.

"Krone": Toleranz als Bildungsauftrag?
Wrabetz: Durchaus. Toleranz, Vielfalt, Respekt - diesen Wertekatalog haben wir beim ORF. Der setzt sich aber nicht von heute auf morgen durch. Wir reden hier über Dinge, die zum Teil noch vor gar nicht so langer Zeit verpönt bis verboten waren, wie zum Beispiel Homosexualität. Da ist es unsere Aufgabe als Medium, auch Unterhaltung zu machen mit dieser Haltung... Das Beeindruckende an Conchita ist, dass sie diese Haltung in einer sehr feinfühligen und klugen Art repräsentiert.

"Krone": War es richtig, die Siegerin in jedem Fernsehformat - verzeihen Sie den Ausdruck - zu verwursten?
Wrabetz: Die Quoten zeigen, dass wir das Informationsbedürfnis der Österreicher richtig eingeschätzt haben. Wenn wir im Vorfeld gewusst hätten, wie hoch wir gewinnen, dann hätten wir es vielleicht sogar noch verstärken können.

"Krone": Ist Ihnen zum Beispiel aufgefallen, dass Christoph Feurstein bei seinem Interview mit Frau Wurst gestrahlt hat wie noch nie?
Wrabetz: Er hat sich sicher sehr gefreut.

"Krone": Aber sollte ein Interviewer nicht eine gewisse Distanz wahren?
Wrabetz: Nein, das war etwas, wo das ganze Land positive Emotionen gezeigt hat! Sich mit Conchita Wurst zu freuen, noch dazu, wo der ORF die Bühne für diesen großen Erfolg war, das hat schon gepasst...

"Krone": Die Frage ist: Was machen Sie als Generaldirektor des ORF jetzt mit diesem Erfolg?
Wrabetz: Erstens stärkt er den öffentlich-rechtlichen Rundfunk dabei, unkonventionelle Wege zu gehen, sich noch mehr zu öffnen. Er ist auch ein verstärkender Impuls für den kommenden "Life Ball". Zweitens gibt er uns die Chance, mit dem Song Contest 2015 ein Mega-Ereignis auszurichten und dabei eine Geschichte zu erzählen, die ein neues Österreich-Bild in der Welt positioniert.

"Krone": Wie lautet diese Geschichte?
Wrabetz: Es gibt ein neues, offenes Österreich in einem neuen, sich verändernden Europa. Ein Österreich der Gastfreundschaft, des Genusses, der Kreativität, der Jugend und Toleranz. Wir werden beim Song Contest aber auch ganz stark auf Nachhaltigkeit setzen, wir investieren viel Gehirnschmalz, um ihn als "Green Event" zu planen. Auch ein Thema, das der ORF gemeinsam mit Umweltorganisationen und der "Krone" ab Juni stark etabliert - mit der neuen Initiative "Mutter Erde braucht dich".

"Krone": Haben Sie sich einmal ausgemalt, was passiert wäre, wenn Conchita Wurst nicht einmal ins Finale gekommen wäre?
Wrabetz: Das wäre mit viel Häme für den ORF verbunden gewesen. Es hat ja im Vorfeld genügend Initiativen gegeben, die darauf abgezielt haben. Auch Drohungen gegen das Unternehmen und gegen mich. Wir haben uns da was getraut. Und weil am Ende des Tages, wenn es misslingt, immer ich an erster Stelle stehe, ist es jetzt auch ganz nett, dass ich da stehe, wenn es funktioniert hat.

"Krone": Hand aufs Herz, ist Frau Wurst jetzt der Joker im Wahlkampfauftakt um eine dritte Amtsperiode?
Wrabetz:(Lacht) Nein!

"Krone": Schaden wird Ihnen der Erfolg aber auch nicht dabei, noch einmal gewählt zu werden.
Wrabetz: Schaden wird er mir nicht, aber es ist in erster Linie ein Erfolg von Conchita Wurst, und in zweiter Linie ein Erfolg des ORF. Wenn ich überlege, was wir in der erwähnenswerten Vergangenheit alles gewonnen haben: den Oscar, den Emmy, den Song Contest... Das dürfte weltweit ziemlich einzigartig sein.

"Krone": Fehlt nur der Grammy.
Wrabetz: Ja, aber da werden wir wenig dazu beitragen können. Den muss Frau Wurst selber gewinnen.

"Krone": Also kandidieren Sie noch einmal 2016?
Wrabetz: Dazu sage ich nichts.

"Krone": Warum nicht?
Wrabetz: Weil wir erst in der Mitte der Geschäftsführungsperiode angelangt sind und in den nächsten zwei Jahren noch wahnsinnig viel vorhaben. Ich habe mich deshalb mit einer dritten Amtsperiode noch nicht sehr beschäftigt.

"Krone": Ist das ehrlich?
Wrabetz: Ja. Weil es per se kein Ziel sein kann, längstdienender Rundfunkgeneraldirektor in Europa zu werden. Es stellen sich zwei Fragen. Erstens: Macht man nach hoffentlich zehn erfolgreichen Jahren noch einmal etwas ganz anderes? Zweitens: Ist es wichtig für das Unternehmen, dass man einen Erfolgsweg fortsetzt? Meine schwedische Kollegin, die ich in Kopenhagen getroffen habe, hat die beiden Fragen schon abgewogen und für sich entschieden: Wenn es am schönsten ist, soll man aufhören.

"Krone": Hat sie Sie damit beeindruckt?
Wrabetz: Ja, weil es tatsächlich auch viele neue Möglichkeiten gibt. Obwohl von der Freude her, die mir die Arbeit hier macht, auch viel dafür spricht, es weiter zu machen.

"Krone": Diesen Sonntag tritt Ihr neuer Star am Ballhausplatz auf. Ist es nicht ein bisschen peinlich, wie die Politik sich jetzt an Conchita Wurst heranschmeißt?
Wrabetz: Kulturminister Josef Ostermayer hat Conchita Wurst auch schon alles Gute gewünscht, bevor sie ins Finale gekommen ist. Warum sollen sich die Repräsentanten eines Landes nicht freuen und die Haltungen, die hinter diesem Sieg stehen, unterstützen? Ja, es ist ein Gerangel entstanden, aber ich glaube, der Bundeskanzler hätte nichts dagegen, wenn sich auch die anderen Parteien mit ihm freuen.

"Krone": Aber es gibt auch Menschen in diesem Land, die sich nicht freuen, die nicht tolerant sein wollen oder können. Ist Ihnen das bewusst?
Wrabetz: Natürlich! Es gibt auch Verbohrte und Fanatische...

"Krone": Und auch ganz normale Menschen, die Conchita Wurst nicht so toll finden. Muss die Toleranz nicht auch für sie gelten?

"Krone": "We are unstoppable", hat Conchita nach ihrem Sieg gesagt. Wen hat sie gemeint?
Wrabetz: Sie war so klug, keine Namen oder Gruppen zu nennen... Ich denke, sie hat diese Haltung gemeint. Conchita Wurst bekam Punkte von Irland bis zum Kaspischen Meer, von Israel bis Norwegen, da hat sich eine tiefe europäische Sehnsucht nach Vielfalt und Respekt gezeigt. Es war der Beweis, dass Fernsehen eine gesellschaftspolitische Rolle spielen kann und soll.

"Krone": Würden Sie sagen, dass der Song Contest ein Politikum war?
Wrabetz: Ja, der Song Contest hatte eine starke politische Dimension. Das hat auch die negative Resonanz von russischen Politikern gezeigt.

"Krone": Könnte es sein, dass die Toleranz-Euphorie umschlägt?
Wrabetz: Eine unmittelbare Gefahr sehe ich nicht. Aber man muss mit einem Feingefühl und einer gesunden Einschätzung dessen, was der Sache dient, weitermachen. Conchita hat jetzt so viele internationale Auftritte, dass sich das von selbst einpendeln wird.

"Krone": Wie weit geht eigentlich Ihre eigene Toleranz?
Wrabetz: Ich glaube schon, dass ich ein sehr toleranter Mensch bin... Haben Sie ein Beispiel?

"Krone": Wenn Ihre Tochter jetzt mit Bart daherkommen würde, wäre Ihnen das recht?
Wrabetz: Naja... Wenn sie sich einen Bart aufschminkt? Ich könnte damit leben.

"Krone": Und das "Life Ball"-Plakat, das eine Frau mit Brüsten und Penis zeigt, finden Sie das okay?
Wrabetz: Es ist sicher provokant, auch provokant gemeint. Aber das Plakat ist nicht anstößig, es hat eine gute Ästhetik. Jeder, der einmal in den Uffizien war, hat Ähnliches schon einmal gesehen.

"Krone": Wie würden Sie Ihrem Enkelkind das Plakat erklären?
Wrabetz: In unserem Medienzeitalter wissen Kinder ohnehin schon sehr viel. Ich würde ihm einfach sagen, dass es Männer gibt, die sich auch als Frauen fühlen wollen und umgekehrt, aber dass das für die Einschätzung eines Menschen keine Rolle spielt.

"Krone": Dass es, wie Conchita gern betont, "wurst" ist?
Wrabetz: Darauf hat sie das Copyright, und deshalb würde ich das nicht so in den Mund nehmen.

"Krone": Wie sprechen Sie persönlich Conchita Wurst an? Als Mann oder als Frau?
Wrabetz: Mit Conchita. Denn Tom bin ich lange nicht mehr begegnet. Zuletzt 2007, beim Finale von "Starmania".

Seine Karriere
Geboren am 21. März 1960 in Wien. Als Kind wollte er Operndirektor werden. Wrabetz studiert Jus und ist politisch für den roten Studentenverband VSStÖ aktiv. Diverse Jobs in der Privatwirtschaft. Zuletzt Geschäftsführer von Vamed, seit 1998 als kaufmännischer Direktor beim ORF. 2007 wird er ORF-Generaldirektor; das ist seine zweite Amtsperiode. Privat ist er mit der Sportmedizinerin Petra verheiratet. Das Paar hat zwei Söhne (Niko, Phillip) und eine Tochter (Julia).

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