Harter Polit-Alltag

Broukal an Freund: “Dein Promi-Bonus nutzt nichts”

Österreich
18.01.2014 17:01
Nach seiner ORF-Pensionierung soll Eugen Freund (62) die SPÖ bei der EU-Wahl zum Erfolg führen. Sein ehemaliger "Zeit im Bild"-Kollege Josef Broukal gibt dem frischgebackenen Politiker in einem offenen Brief ein paar kleine Tipps für die Zukunft.

War das eine Überraschung! Nach dem warmen Nest der "Zeit im Bild"-Redaktion und zwei Wochen Pension mit voller Fahrt ins stürmische Meer der Politik. Wer hätte das gedacht? Ich, ehrlich gestanden, schon. Und zwar nicht, weil ich dich in den vergangenen 30 Jahren als festen Roten kennengelernt hätte. Sondern weil du mit deinen 62 Jahren viel zu jung bist, viel zu agil, um dich aufs Altenteil zurückzuziehen. Schon bei deinem Abschied in der "ZiB" war mir klar: Der will arbeiten, der sucht sich was. Meine Ahnung war damals schon: Spitzenkandidat der SPÖ für die Europawahl. Jetzt steht fest: Ich habe dich und deine unbändige Lust zu arbeiten richtig eingeschätzt...

Mich erinnert das an den 15. Oktober 2002. An den Tag, an dem ich vom Journalismus in die Politik wechselte. Ein paar Tage lang schwebte ich auf Wolke sieben. Gratulationen von Freunden, Anrufe, Mails, Briefe. Interviews, Interviews, Interviews. Einladungen in die Bundesländer. Applaus. Siegesgewissheit...

"Im Politiker-Alltag nutzt Promi-Bonus gar nichts"
Aber dann... Der Alltag eines Kandidaten. Er wird auch dich einholen. Termine vom Morgen bis in den Abend. Unterwegs im Auto, Zug, Flugzeug. Große Veranstaltungen und kleine. Oft an der Grenze der Belastbarkeit, manches Mal drüber. Mit dem übersichtlichen Leben eines "ZiB"-Moderators hatte das nichts mehr zu tun.

Und dann: der Wahlabend. In meinem Fall enttäuschend, in deinem Fall vielleicht mit Platz eins bei der EU-Wahl gekrönt. Noch ein paar Tage feiern und ausrasten, dann die ersten Sitzungen im Parlament. Alles ist noch neu, unbekannt, verlangt Aufmerksamkeit. Und auf einmal merkst du: Im Politiker-Alltag nutzt dir dein Promi-Bonus gar nichts. Das war schon in Wien so, wo einen alle kannten. Wie wird es erst in Brüssel sein?

"Mit Untergriffen musst du leben lernen"
Du wirst rasch merken: So ein Parlament ist eine große Maschine, betrieben von Hunderten Beamten und Hunderten Abgeordneten, die ihre Sache befördern wollen. Sie alle werden dich mit Arbeit eindecken. Hunderte Seiten an Unterlagen, die im Wochentakt gelesen werden wollen. Stunden-, ja tagelange Sitzungen. Und das Klima ist rau. Im ORF warst du gewohnt, eine prominente Stimme zu haben, auch im Kreis der Redaktion. In der Politik wirst du immer wieder angegriffen werden. In der Sache, aber auch persönlich. Mit diesen Untergriffen musst du leben lernen.

Das gilt auch für Live-Diskussionen im Fernsehen. Du wirst rasch merken: Als Moderator warst du der überparteiliche Schiedsrichter. Als Politiker bist du einer im Ring und bekommst Schläge. Bist umgeben von Männern und Frauen, die deine Sache schlechtreden und die ihre in den Himmel heben wollen. Wissen und Schlagfertigkeit sind die unentbehrlichen Hilfsmittel zum Überleben. Und das große Ziel ist: Den einen Satz, den einen klugen Gedanken zu finden, den dann die Zeitungen zitieren und die Menschen sich ein paar Tage merken.

"Bohren harter Bretter nur mit guten Mitarbeitern"
Aber der Großteil deiner Arbeit wird für die Menschen im Dunklen bleiben. Es ist das tägliche "geduldige Bohren harter Bretter", wie Max Weber das Politik-Geschäft schon vor fast schon 100 Jahren so richtig beschrieb. Zum Glück gibt dir das Europaparlament Geld für bezahlte Mitarbeiter. Wähle sie sorgfältig. Du brauchst gescheite, selbstständige Menschen, die aus eigenem Antrieb handeln und dennoch loyal bleiben. Ich hatte Glück. Meine erste Mitarbeiterin ist heute die Sprecherin des Herrn Bundespräsidenten, meinen zweiten Mitarbeiter schnappte die Arbeiterkammer weg - weil er durch Engagement und Biss auffiel. Solche Personen brauchst du, dann kommst du auch mit der vielen Arbeit zurecht.

Übrigens: In Österreich glaubt man ja gar nicht, was die Europa-Abgeordneten leisten. Sitzungen von Montag bis Donnerstag, immer wieder in neue Themen einlesen. Jeden Monat einmal umziehen von Brüssel nach Straßburg und wieder zurück. Ständig im Flieger nach Hause und wieder zurück. Und ganz Österreich als Riesenwahlkreis, den es zu betreuen gilt. Da bleibt kaum Zeit zum Luftholen.

"Mühsam - aber es lohnt sich"
Und die Medienarbeit! Hoffentlich glaubst du nicht, dass deine ehemaligen Berufskollegen dir besonders freundlich gesinnt sein werden. Ganz im Gegenteil: Mit dir werden sie härter umgehen. Du wirst um jede Schlagzeile kämpfen müssen und um jeden Artikel, in dem du dich den Menschen erklären willst. Und du wirst lernen müssen, ein Teamarbeiter zu sein. Deine Kolleginnen und Kollegen mögen zwar keine "ZiB"-Stars gewesen sein. Politikstars sind sie allemal, sonst hätten sie es nicht so weit gebracht. Dein Promi-Bonus hat ein Ablaufdatum. Du solltest dich rechtzeitig auf die Zeit danach einstellen.

Noch eines: Die Partei hat zwar nicht immer recht, aber immer unrecht hat sie auch nicht... Du wirst auch Standpunkte vertreten müssen, die nicht die deinen sind. Möge der Spagat gelingen!

Ich habe es genossen, nach vielen Jahrzehnten des Berichtens über Politik selbst Politik machen zu dürfen. Es ist eine Ehre und ein Privileg, den Weg unseres Gemeinwesens mitzubestimmen. Zum Glück gibt es immer wieder Augenblicke, in denen man zufrieden denkt: Der Job eines Politikers ist zwar unendlich mühsam, nicht zu vergleichen mit dem "Lenz" eines Fernseh-Profis - aber es hat sich gelohnt.

Loading...
00:00 / 00:00
play_arrow
close
expand_more
Loading...
replay_10
skip_previous
play_arrow
skip_next
forward_10
00:00
00:00
1.0x Geschwindigkeit
explore
Neue "Stories" entdecken
Beta
Loading
Kommentare

Da dieser Artikel älter als 18 Monate ist, ist zum jetzigen Zeitpunkt kein Kommentieren mehr möglich.

Wir laden Sie ein, bei einer aktuelleren themenrelevanten Story mitzudiskutieren: Themenübersicht.

Bei Fragen können Sie sich gern an das Community-Team per Mail an forum@krone.at wenden.



Kostenlose Spiele